Griechenland Tsipras überdreht die Steuerschraube

Rund zwei Dutzend Steuern hat der griechische Premier Alexis Tsipras erhöht oder neu erfunden. Aber viele Steuerzahler sind am Ende ihrer finanziellen Kräfte. Fachleute warnen: Die Überbesteuerung würgt die Wirtschaft ab.

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Griechenlands Premier ist seit zweieinhalb Jahren verzweifelt auf der Suche nach neuen Einnahmequellen. Quelle: Reuters

Athen Der 23. Juli war für die Griechen ein besonderer Tag. Die meisten haben es nur nicht bemerkt. In diesem Jahr arbeiten die Hellenen 203 Tage nur für den Staat. Am 23. Juli hatte der statistische Durchschnittsgrieche endlich genug verdient, um seine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen. So eine Berechnung des Athener Dragoumis-Zentrums für liberale Studien (Kefim). In anderen EU-Ländern war die Schwelle deutlich früher erreicht: In Zypern am 29. März, in Malta am 18. April und in Irland am 30. April. Vor Beginn der Krise konnten auch die Griechen den „Steuer-Befreiungstag“ erheblich früher feiern, nämlich Ende Mai.

Ein weiteres wichtiges Datum, das die meisten Griechen allerdings sehr gut kennen, war der 31. Juli. Am vergangenen Montag wurde die erste Rate der Einkommensteuer für 2016 fällig. Gut 2,4 Millionen Steuerpflichtige sollten 1,11 Milliarden an den Fiskus überweisen. Inzwischen hat man bei den Finanzbehörden nachgezählt – mit ernüchterndem Ergebnis: Es gingen bis zum Stichtag nur 775 Millionen ein. Rund 670.000 Steuerpflichtige konnten oder wollten nicht zahlen. Sie schulden dem Staat 339 Millionen Euro.

Fachleute sehen darin einen weiteren Beweis dafür, dass Ministerpräsident Alexis Tsipras die Steuerschraube überdreht. Die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) kommt auf nicht weniger als 26 Steuererhöhungen und neue Abgaben, die Tsipras den Bürgern in seinen zweieinhalb Regierungsjahren aufgebürdet habe. So stieg die Mehrwertsteuer von 23 auf 24 Prozent. Den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer erhöhte die Regierung von 42 auf 45 Prozent. Der Solidaritätszuschlag stieg von 2,8 auf bis zu zehn Prozent. Unternehmensgewinne werden mit 29 statt 26 Prozent besteuert, Dividenden mit 15 statt zehn Prozent. Die Benzinsteuern setzte Tsipras um drei Cent pro Liter herauf, Dieselfahrer müssen acht Cent mehr pro Liter zahlen. Auch die Kfz-Steuern und die Tabaksteuer wurden mehrfach erhöht – mit dem Ergebnis, dass im vergangenen Jahr rund 120.000 Griechen ihre Autos stilllegten und geschätzt jede vierte gerauchte Zigarette Schmuggelware ist.

Das Beispiel Tabaksteuer zeigt: Bei vielen Verbrauchssteuern ist die Schmerzgrenze längst überschritten. Nach Expertenschätzungen wird der Anteil der unversteuerten Tabakwaren von 20 Prozent im vergangenen auf 25 Prozent in diesem Jahr steigen. Weitere Steuererhöhungen bringen also nichts mehr. Deshalb verwendet Finanzminister Euklid Tsakalotos viel Phantasie darauf, sich immer neue Abgaben auszudenken. In diesem Jahr führte er eine zehnprozentige Sondersteuer auf Pay-TV ein. Festnetztelefonate und Internetgebühren werden, zusätzlich zur Mehrwertsteuer, mit weiteren fünf Prozent belastet. Eine Kaffeesteuer verteuert den Kilopreis um bis zu vier Euro und die Tasse im Café um rund 20 Cent. Weil viele Raucher aus gesundheitlichen Gründen oder wegen der hohen Tabaksteuern auf E-Zigaretten umsteigen, kassiert der Fiskus nun auch dort ab: Das Liquid wird mit einem Euro pro 10 Milliliter besteuert.

Weitere Erhöhungen kommen im nächsten Jahr auf die Griechen zu: Ab 1. Januar will der Finanzminister den Kauf von Mobiltelefonen, Tablets, Laptops und PCs mit einer Sonderabgabe von zwei Prozent belasten. Ab 2018 will Tsipras auch die Touristen schröpfen: Sie sollen dann eine „Übernachtungssteuer“ zahlen. Die Abgabe beträgt, je nach Hotelkategorie, bis zu vier Euro pro Tag. Der Verband der griechischen Touristikunternehmen fürchtet, dass dadurch die Übernachtungskosten in den griechischen Hotels um fünf bis sechs Prozent steigen werden.

Kassenwart Tsakalotos steht unter Druck: Den internationalen Kreditgebern hat er versprochen, in den kommenden Jahren im Haushalt einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erwirtschaften. Dabei setzt der Finanzminister vor allem auf Steuererhöhungen. Aber Fachleute warnen: Immer höhere Abgaben könnten die Wirtschaft, die nach acht Jahren Rezession gerade zaghaft zu wachsen beginnt, wieder abwürgen. Vasilis Korkidis, Präsident des griechischen Groß- und Einzelhandelsverbandes ESEE, sieht in der Überbesteuerung einen „Schlag gegen die Unternehmen“.

Delia Velculescu, die den Internationalen Währungsfonds (IWF) in der Griechenland-Troika vertritt, erkennt in den hohen Steuern ein „Investitionshindernis“. Auch der griechische Industrieverband SEV hält die Steuerpolitik der Regierung für „kontraproduktiv“. Er kritisiert, die Regierung bürde den ehrlichen Steuerzahlern immer größere Lasten auf, tue aber nicht genug, um die grassierende Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Nach einer Studie der Denkfabrik DiaNeosis entgehen dem Fiskus durch die Steuerhinterziehung jährlich rund 16 Milliarden Euro. Zum Vergleich: 2016 beliefen sich die gesamten Steuereinnahmen auf 54 Milliarden Euro.


Selbstständige zahlen 82 Prozent ihres Einkommens

Kyriakos Mitsotakis, Vorsitzender der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) wirft der Regierung Tsipras vor, sie schanze ihren Parteigängern gut dotierte Posten im Staatsdienst zu, während sie Arbeitnehmer, Rentner und Selbständige mit einem „Steuer-Tsunami“ überziehe. Nach Berechnungen der Ökonomin Miranda Xafa müssen Selbständige in Griechenland inzwischen bis zu 82 Prozent ihres Einkommens für Steuern und Sozialabgaben aufwenden. Xafa wirft der Regierung Tsipras vor, sie saniere die Staatsfinanzen durch ständige Steuererhöhungen, statt Ausgaben zu kürzen. Weitere Erhöhungen sind bereits programmiert: Ab 2019 sinkt der Grundfreibetrag in der Einkommensteuer von 8.636 auf 5.685 Euro. Für ein Jahreseinkommen von rund 9.000 Euro brutto, wie es etwa die Hälfte der Beschäftigten in der Privatwirtschaft verdient, werden dann statt 300 Euro rund 950 Euro Einkommensteuer fällig.

Dabei sind schon jetzt viele Steuerzahler am Ende ihrer finanziellen Kräfte, wie das magere Aufkommen bei der ersten Rate der Einkommensteuer zeigt. Fast 4,2 Millionen Griechen stehen beim Staat in der Kreide – fast jeder zweite Steuerpflichtige hat Schulden. Unter dem Strich summieren sich die Forderungen des Fiskus und der Sozialkassen auf rund 95 Milliarden Euro. Die Steuerschulden der Griechen haben sich damit seit Beginn der Krise 2010 mehr als verdoppelt. Gegen 850.000 säumige Zahler haben die Finanzbehörden inzwischen Zwangsmaßnahmen eingeleitet. Aber bei vielen ist nichts zu holen. Denn zahlreiche Schuldner sind pleite – oder tot.

Im Athener Finanzministerium hofft man, dass von den 670.000 Steuerpflichtigen, die den Zahlungstermin Ende Juli verstreichen ließen, viele doch noch zahlen. Wer Bedürftigkeit nachweist, kann seine Steuerschuld in zwölf Monatsraten abstottern. Allen anderen drohen Verspätungszuschläge, die sich auf 0,73 Prozent Zinsen pro Monat belaufen, und Pfändungen ihrer Bankkonten.

Dass die Griechen seit dem „Steuer-Befreiungstag“ am 23. Juli nun den Rest des Jahres in die eigene Tasche verdienen, ist nur eine theoretische, statistische Annahme. Tatsächlich kommen in den nächsten Monaten weitere Belastungen auf sie zu. Knapp 30 Milliarden Euro will der Fiskus in den letzten vier Monaten des Jahres kassieren. Im September und November werden die zweite und dritte Rate der Einkommensteuer fällig. Ende August verschickt die Finanzverwaltung außerdem die Bescheide zur verhassten Immobiliensteuer Enfia. Als Oppositionsführer versprach der Linkspopulist Tsipras, die Immobiliensteuer abzuschaffen. Stattdessen hat er sie erhöht.

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