Hartz IV New York macht vor, wie Arbeitsvermittlung funktioniert

In New York erleben erfahrene Arbeitsvermittler aus Hessen, wie schnell und effizient sie arbeiten könnten – wenn sie dürften.

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Hessen-USA

Dieser Betonklotz soll eine Modell-Behörde sein? Rainer Burelbach wundert sich am Eingang des „Linden Job Center“ in Brooklyn: nahezu fensterlose Metallfassade, Sicherheitsleute am Eingang, richtige Festung. Innen dann Neonlicht über fleckigem Kunststoffboden: „Die müssten mehr in ihre Infrastruktur investieren“, findet der Deutsche.

Genau hier soll der hessische Jobvermittler dazulernen: Zusammen mit fünf Kollegen ist er darum nach New York geflogen. Die Metropole gilt als vorbildlich in Sachen Reform des Sozialstaats. Schneller soll es hier zugehen und pragmatischer als in Deutschland, hat Burelbach gehört. Er ist gespannt, aber keineswegs eingeschüchtert: „Mit dem, was wir in Deutschland machen, brauchen wir uns nicht zu verstecken.“

Seit drei Jahren leitet der heute 44-jährige Betriebswirt das Jobcenter „Neue Wege“ im südhessischen Kreis Bergstraße. Gewissen Ruhm in Fachkreisen hat er mit der Einrichtung einer Einstiegsoffensive gewonnen, die Leuten, die Hartz IV beantragen, schneller zu einer Stelle verhelfen soll – Motto: „Ihr Job ist es, Arbeit zu finden!“ In Deutschland klingt das für viele provokativ. In den USA gar nicht.

Sozialleistungen gegen Arbeitsengagement

Das Linden Center ist für rund 30000 Arbeitslose zuständig und liegt in Downtown Brooklyn, einer Gegend, deren Betreten Ortsfremde vor 20 Jahren noch mit dem Leben bezahlen konnten. Seither hat sich viel geändert, auch wenn das dem Sozialamt von außen nicht unbedingt anzusehen ist. Die Reform betrifft vor allem die konsequente Durchsetzung eines Tauschprinzips: Sozialleistungen gegen Arbeitsengagement.

Burelbach rutscht auf einem rückenfeindlichen Plastikstuhl herum, während zwei Amerikaner erklären, wie im Linden Center gearbeitet wird: Pat Garcia, eine zierliche Dame im schwarzen Kostüm, und ein Mann im hellen Anzug, der sich als Mr. Fields vorstellt. Früher, sagen sie, sei es bei ihnen ähnlich zugegangen wie in Deutschland: Wer Sozialhilfe („welfare“) wollte, füllte ein Formular aus und ging wieder nach Hause. Heute sendet der Sachbearbeiter die Bewerber umgehend zu einem privaten Dienstleister im Erdgeschoss des gleichen Gebäudes.

Gruppenweise erfahren die Neulinge dort, wie es für sie weitergeht. Bereits am nächsten Tag müssen sie sich im Trainingszentrum einfinden. Dort werden sie in Rechnen und Rechtschreibung geprüft, Computerkenntnisse werden abgefragt, Bewerbungsunterlagen vervollständigt, Kurse und Praktika vereinbart. „Ein Viertel der Leute findet innerhalb von sechs Wochen Arbeit.“ Die anderen kommen in Probe- oder Übergangsjobs, meist finanziert von der Stadt.

Es geht Schlag auf Schlag. Fristen sind einzuhalten, Verpflichtungen zu erfüllen. „Was passiert, wenn jemand nicht mitmacht?“, fragt eine von Burelbachs Kolleginnen. „Wer die Vorschriften nicht befolgt, bekommt kein Geld“, sagt Mr. Fields freundlich, aber bestimmt.

Die Kombination von Fördern und Fordern scheint zu wirken: Die Zahl der Sozialhilfeempfänger in New York sank innerhalb der vergangenen 15 Jahre von über einer Million auf 360000 zum Jahresende 2009. Kritiker aus den Wohlfahrtsverbänden führen das allerdings auf rigide Behördenpraktiken zurück, wodurch mancher Arme einfach nicht die für ihn notwendige Hilfe bekomme.

Brooklyn Bridge in New York Quelle: REUTERS

Begonnen hatte die amerikanische Sozialstaatsreform unter dem Präsidenten Bill Clinton. Er unterzeichnete 1996 ein neues Sozialhilfegesetz mit dem TANF-Programm („Temporary Assistance for Needy Families“ – zeitweise Unterstützung bedürftiger Familien).

TANF beschränkt Unterstützung im Wesentlichen auf Alleinerziehende, die sich im Gegenzug um Arbeit bemühen müssen. Gleichzeitig zwingt das Gesetz Bundesstaaten und Kommunen, mindestens der Hälfte der Hilfsempfänger eine Arbeits- oder Qualifizierungsmaßnahme zu besorgen. Sonst fließt für die Sozialhilfe kein Geld aus Washington.

TANF ist nicht unumstritten. Kritiker bemängeln unter anderem, die fast ausschließliche Förderung Alleinerziehender habe die Erosion der Familien beschleunigt. Unzweifelhaft aber ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger in den gesamten USA von rund fünf auf rund zwei Millionen Empfänger gesunken.

Und die Auflage, dass mindestens die Hälfte der Hilfsempfänger arbeiten muss, führt dazu, dass Kommunen kreativ werden: Sie bieten etwa Kinderbetreuung für arbeitswillige Alleinerziehende an oder sorgen für spezielle Jobangebote für Leute mit gesundheitlichen Problemen.

Erfolgsabhängige Bezahlung

Wer im Linden Center angibt, wegen einer Krankheit nicht arbeiten zu können, durchläuft einen standardisierten Prozess und wird von einem externen Dienstleister umfassend auf Jobfähigkeit untersucht – medizinisch und psychologisch.

Das geht seit vier Jahren so: In dieser Zeit wurden insgesamt rund 40000 Menschen untersucht. 19000 davon wegen Erwerbsunfähigkeit an die Rentenversicherung überwiesen. Von den übrigen fand über die Hälfte einen Job und behielt ihn mindestens sechs Monate, selbst ein Viertel derjenigen, denen nur eingeschränkte Arbeitsfähigkeit attestiert wurde.

Die eingespannten privaten Dienstleister werden erfolgsabhängig bezahlt. Dabei verteilt sich der Bonus danach, wie lange der vermittelte Klient auf seiner neuen Stelle bleibt. Das ist ein Anreiz dafür, die Leute auf Stellen zu vermitteln, die wirklich zu ihnen passen.

Deutscher Grabenkrieg

Für die Hessen ist das eine neue Welt. Organisiert hat ihre Reise Dick Vink, ein Holländer, der die hessische Landesregierung bei der Reform der kommunalen Jobcenter beraten hat und gute Kontakte zur New Yorker Sozialverwaltung besitzt. Teilnehmer sind neben Burelbach und seiner Mitarbeiterin Christine Herzberg-Pirih die Leiterinnen des Jobcenters vom Kreis Offenbach sowie zwei weitere Vermittler.

Die Reise ermöglicht ihnen einen Erkenntnisgewinn, den keine Weiterbildung in Deutschland bescheren könnte. Guido Westerwelles Äußerungen zur „spätrömischen Dekadenz“ der Hartz-IV-Empfänger hat in deutschen Kommunen eine sachliche Diskussion erschwert.

Es gibt noch einen zweiten Grabenkrieg, und der betrifft das Verhältnis der deutschen kommunalen Jobcenter zur Nürnberger Arbeitsverwaltung. Seit der Einführung von Hartz IV gibt es insgesamt 69 sogenannte Optionskommunen, die ihre Klientel allein verwalten und in Konkurrenz zu den Arbeitsagenturen stehen.

Das hat im Wesentlichen der hessische Ministerpräsident Roland Koch durchgesetzt. Seine Idee ist, dass diese Kommunen zu Reformwerkstätten werden, so wie die Einstiegsoffensive von Rainer Burelbach. Doch das Modell der Optionskommunen ist bislang nur bis Ende 2010 gesichert. Selbst manche Führungskräfte wie Herzberg-Pirih haben Zeitverträge. Mit der New-York-Reise wollen die politisch Verantwortlichen in Hessen auch zeigen, wie innovativ und unersetzlich die Optionskommunen sind.

Szenenwechsel. Ein Kleinbus bringt die Hessen in den New Yorker Stadtbezirk Queens, zur Niederlassung der städtischen Parkverwaltung.

Das ist eine riesige Behörde mit rund 10 000 hauptamtlichen Mitarbeitern, Zuständigkeit für 4000 Grünflächen, 1000 Spielplätze, 600 Sportplätze und 14 Meilen Strand. Und dann eben auch der größte Arbeitgeber für Übergangsjobs in New York. Ständig laufen 2500 bis 3000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die je ein halbes Jahr dauern.

Eine Diskussion, ob die Zeit-Jobs reguläre Arbeitsverhältnisse verdrängen, gibt es nicht. Viele New Yorker erinnern sich, wie viele ihrer Parks noch Mitte der Neunzigerjahre als kaum betretbar galten.

Die Teilnehmer verdienen 9,21 Dollar pro Stunde. Sie kehren drei oder vier Tage pro Woche Laub, reparieren Rutschbahnen und überwachen die Ordnung im Park: nicht immer die attraktivsten Tätigkeiten. Aber „wir bläuen unseren Klienten ein: Du musst Schritt für Schritt gehen, dann schaffst du es“, sagt Annika Holder, bei der Parkverwaltung für das Jobprogramm verantwortlich.

In der restlichen Zeit erhalten sie eine Weiterbildung, und die muss keineswegs mit Grünflächen zu tun haben. Einige lassen sich zur Krankenhilfsschwester ausbilden, andere zum Lkw-Fahrer oder zur Bürokraft.

Einfach mehr Mut

Burelbach ist voll des Lobs. „Vorbildlich. Stringent. Das gibt es bei uns nicht!“ Wer in Deutschland für ein Zubrot zum Arbeitslosengeld von einem Euro Wege kehrt, wird zwar beschäftigt, aber nicht qualifiziert.

Die Deutschen diskutieren untereinander: Kann man das übernehmen? Lassen die Vorschriften des Sozialgesetzbuchs eine begleitende Qualifizierung zu? Wohl nicht, lautet die enttäuschende Erkenntnis. Doch der Helfer ist vielleicht nah: Marcus Lübbering, in der hessischen Staatskanzlei für Verwaltungsmodernisierung verantwortlich und Reisebegleiter der Arbeitsvermittler.

Er verspricht, sich zu Hause für eine Gesetzänderung stark zu machen: „Wir brauchen manchmal einfach mehr Mut.“

Im Bus von Queens zurück ins zentrale Manhattan, brütet Burelbach über einer Liste, die er auf die Rückseite eines Info-Zettels geschrieben hat. „Schnelligkeit“ steht da und „Konsequenz“, „Aktivierung“ und „Incentives“. „Darum sind die Amerikaner so erfolgreich“, erklärt er. Er tippt auf „Aktivierung“: „Ganz wichtig. Die Leute müssen beschäftigt sein, sie dürfen nicht vercouchen.“

Mit Mängeln leben

Natürlich gibt es auch in New York Menschen, die sich gegen eine Vermittlung sperren. Um mit Mr. Fields zu sprechen: „Es wird immer Leute geben, die mit dem System Katz und Maus spielen.“ Dafür halten auch die innovativen Amerikaner keine Lösung parat. „Wir versuchen es weiter“, sagt Mr. Fields lachend. Aus der Gelassenheit, mit der die Amerikaner ein gelegentliches Scheitern akzeptieren, lässt sich vielleicht auch etwas lernen.

Es gibt noch mehr, was den Deutschen gefällt. Die Hilfsempfänger haben „Benefit Cards“, auf denen sämtliche persönliche Daten und die Fallgeschichte elektronisch gespeichert sind.

Die Bearbeiter ziehen sie durch ein Lesegerät und haben alle Informationen auf dem Bildschirm. Die Karten können gleichzeitig mit einem Guthaben – der Transferzahlung – aufgeladen werden. Praktisch, aber... „Ist es den Leuten nicht peinlich, mit der Karte einkaufen zu gehen?“, fragt einer vorsichtig. „Überhaupt nicht“, sagt Mr. Fields, „sie können sie an der Supermarktkasse durchziehen wie eine Kreditkarte.“

Nicht nur die Sozialhilfeempfänger werden in New York straff geführt. Die Mitarbeiter im Job Center müssen ihre Anwesenheit mit einem Handscan nachweisen. Von wegen Vertrauensarbeitszeit. Die Deutschen wechseln Blicke. „Alles“, sagt Frau Herzberg-Pirih, „muss man ja vielleicht nicht übernehmen.“ 

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