„Ich habe keine Angst“ Eine Frau übernimmt Afghanistans Polizei

Lange Zeit war es den Frauen in Afghanistan verboten, ohne männliche Begleitung das Haus zu verlassen. Nun hat das Land erstmals eine Frau als Polizeichefin. Dschamila Bajas will ein Zeichen setzen – und lebt gefährlich.

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Oberst Dschamila Bajas ist die erste Polizeichefin Afghanistans. Hier bei ihrer Amtseinführung in Kabul Quelle: dpa

Kabul Sie trägt die gleiche graue Uniform wie ihre männlichen Kollegen – mit einem Unterschied: Ihr Haar bedeckt Dschamila Bajas mit einem schwarzen Kopftuch. „Ich bin bereit zu dienen, ich habe keine Angst“, sagt die 50-Jährige, die als erste Frau das Amt eines Polizeichefs in Afghanistan übernommen hat.

Seit Anfang der Woche ist Oberst Bajas für den Bezirk Nummer eins der Hauptstadt Kabul verantwortlich. Es ist nicht irgendein Bezirk, denn dort liegen unter anderem der Präsidentenpalast, mehrere Ministerien, die Zentralbank sowie die wichtigsten Geldwechsel- und Goldmärkte. „Ich arbeite Tag und Nacht“, sagt die fünffache Mutter, während sie durch einen Basar läuft.

Begleitet wird Bajas von einer Gruppe Polizisten, die zu ihrem Schutz abgestellt sind. Obwohl sie einen Führerschein hat, wird sie von ihren Leibwächtern durch die Stadt und zurück zur Polizeiwache gefahren. Denn sie lebt gefährlich. Immer wieder werden Polizistinnen in Afghanistan von islamischen Extremisten bedroht, mehrere wurden in den vergangenen Jahren getötet.

Während der fünfjährigen Herrschaft der Taliban, die 2001 endete, durften Frauen das Haus nur mit Burka und nur in Begleitung eines männlichen Angehörigen verlassen, Mädchen war der Schulbesuch verboten. Auch Bajas durfte in dieser Zeit nicht arbeiten. Sie blieb zu Hause, kümmerte sich um ihre zwei Töchter und drei Söhne. Obwohl sie mittlerweile mehr Freiheiten haben, werden Frauen in Afghanistan noch immer diskriminiert, häusliche Gewalt und Übergriffe sind in der ultrakonservativen islamischen Gesellschaft weit verbreitet.

Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind besonders gefährdet, wie sich in den vergangenen Monaten mehrfach zeigte. Zwei Polizistinnen fielen im Süden des Landes einem Mordanschlag zum Opfer. Eine indische Schriftstellerin, die einst vor den Taliban geflohen war und ein Buch über ihre Erlebnisse veröffentlicht hatte, wurde im Osten Afghanistans getötet. Eine Senatorin geriet in einen Hinterhalt und trug Verletzungen davon. Eine andere Parlamentarierin wurde von den Taliban entführt, sie kam im Zuge eines Gefangenenaustauschs frei.

Viele befürchten, dass die Frauen die Rechte, die sie in den vergangenen Jahren gewonnen haben, bald wieder verlieren könnten - dann nämlich, wenn die Soldaten der internationalen Schutztruppe ISAF das Land verlassen haben. Der Abzug soll Ende des Jahres abgeschlossen sein.

Bajas hofft, dass sie andere Frauen inspirieren kann, in den Polizeidienst einzutreten. Schließlich seien die Frauen „Teil der Gesellschaft“, sagt sie. Bislang haben die Bemühungen, Polizistinnen anzuwerben, nur mäßig Erfolg gezeigt. Angaben der Hilfsorganisation Oxfam zufolge waren im Juli vergangenen Jahres 1551 von rund 157.000 Polizisten weiblich - das entspricht einem Anteil von nicht einmal einem Prozent.

Bajas kam schon vor drei Jahrzehnten zur Polizei. Bevor sie ihre jetzige Führungsposition übernahm, arbeitete sie als Zivilfahnderin. In Uniform zieht sie nun wesentlich mehr Aufmerksamkeit auf sich, wie sie bereits bei ihren ersten Einsätzen bemerkt. „Als ich aus dem Auto ausgestiegen bin, waren alle Augen auf mich gerichtet“, erzählt sie. „Es war interessant für die Leute, eine Frau in Uniform zu sehen.“

Welches Risiko ihre exponierte Stellung mit sich bringt, weiß Bajas genau. „Ich bin der erste weibliche Bezirkschef in Afghanistan. Es ist schwierig, aber ich mache weiter.“ Ihre Familie steht hinter ihr. Der jüngste Sohn ist zwölf Jahre alt. Er besucht seine Mutter kurzerhand bei der Arbeit, weil er sie seit Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen hat. „Ja, meine Mutter arbeitet jetzt sehr viel mehr“, sagt er, „aber ich bin glücklich, dass sie diesen Job hat.“

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