Im schlimmsten Fall hätte die Terrormiliz mit Wasser hunderttausende Menschen auf einen Schlag töten können. Als die Kämpfer des Islamischen Staats im August 2014 den Staudamm nahe der irakischen Stadt Mossul übernahmen, war das denkbar.
Von der größten Talsperre des Landes hängen nicht nur knapp die Hälfte der Stromversorgung im Irak und ein Großteil der Wasserversorgung der kurdischen Gebiete im Norden ab. Eine Sprengung, wie sie manche Beobachter befürchteten, hätte katastrophale Auswirkungen gehabt. Eine rund 20 Meter hohe Flutwelle hätte Mossul, die zweitgrößte Stadt des Landes, wohl ausgelöscht. Selbst die talabwärts, einige hundert Kilometer entfernt gelegene Hauptstadt Bagdad wäre schwer beschädigt worden.
Die kurdischen Streitkräfte im Nordirak, die Peschmerga, ließen es soweit nicht kommen. Sie eroberten die Talsperre zurück – mit der Unterstützung der Amerikaner aus der Luft.
„Wenn dieser Damm gebrochen wäre, hätte das zu einer Katastrophe führen können - samt Flutwellen, die das Leben von Tausenden sowie unsere Botschaft in Bagdad gefährdet hätten“, hatte US-Präsident Barack Obama damals nach der Rückeroberung gesagt. In einem kürzlich erschienen Report geht die deutsche Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) von bis zu einer halben Million möglicher Todesopfer aus.
Aus welchen europäischen Ländern radikale Islamisten kommen
Das "International Centre for Study of Radicalisation and Political Violence" (ICSR) hat in Kooperation mit der Münchener Sicherheitskonferenz für 50 Länder ausgewertet, wie viele Bürger aus den jeweiligen Staaten nach Syrien oder in den Irak gezogen sind, um sich militanten Gruppen anzuschließen. Die Daten für die einzelnen Länder beziehen sich auf die zweite Hälfte des Jahres 2014. Aus Westeuropa – so wird geschätzt – sind mittlerweile 4000 Kämpfer vor Ort. Ende 2013 waren es nicht einmal halb so viele. Geordnet werden die Länder nach der Anzahl der Kämpfer pro eine Million Einwohner.
Circa 80 Kämpfer im Irak und in Syrien stammen aus Italien. Das macht 1,5 Kämpfer pro eine Million Einwohner.
Zwischen 50 und 100 Spanier haben sich militanten Gruppen angeschlossen. Auf eine Million Einwohner kommen damit rund zwei Kämpfer.
Das ICSR schätzt die Zahl der Schweizer Kämpfer auf 40. Damit sind fünf Schweizer pro eine Million Einwohner nach Syrien oder in den Irak gezogen.
Aus Irland stammen rund 30 Kämpfer. Das entspricht sieben pro eine Million Iren, die sich militanten Gruppen angeschlossen haben.
Aus Deutschland kommen 500 bis 600 Menschen, die in Syrien und im Irak kämpfen. Damit gehört das Land zu der Gruppe europäischer Länder, aus denen insgesamt die meisten stammen. Pro eine Million Einwohner macht das 7,5.
Die gleiche Zahl an Kämpfern, 500 bis 600, stammt aus Großbritannien. Auf die Zahl der Einwohner heruntergerechnet sind es 9,5 pro eine Million.
60 Menschen, die im Irak oder in Syrien kämpfen, kommen aus Norwegen. Auf eine Million Einwohner heruntergerechnet, sind das zwölf Kämpfer.
Für Finnland schätzt das ICSR die Zahl derer, die nach Syrien oder in den Irak gezogen sind, auf 50 bis 70. Das entspricht 13 Kämpfern pro eine Million Einwohner.
Die Zahl der Niederländer, die in den Krieg gezogen sind, liegt zwischen 200 und 250. Heruntergerechnet auf eine Million Einwohner sind das 14,5 Kämpfer.
Aus Österreich ziehen zwischen 100 und 150 Radikale nach Syrien oder in den Irak. Pro eine Million Einwohner sind das 17.
1200 Kämpfer im Irak und in Syrien stammen aus Frankreich. Damit kommen die meisten Europäer dort aus Frankreich. Weltweit kommen nur aus Jordanien, Marokko, Saudi-Arabien und Tunesien mehr. Auf eine Million Einwohner heruntergerechnet macht das 18.
Zwischen 150 und 180 Schweden kämpfen als Extremisten. Pro eine Million Einwohner sind das 19.
Dänemark gehört zu den Ländern mit einem der größten Probleme, was radikale Islamisten angeht. Zwischen 100 und 150 Dänen sind nach Syrien oder in den Irak gezogen, um zu kämpfen. Das entspricht 27 Kämpfern pro eine Million Einwohner.
Pro eine Million Einwohner in Belgien sind 40 in den Irak oder nach Syrien gezogen. Insgesamt sind es 440.
Und auch wenn diese Katastrophe verhindert wurde, anderenorts nutzt der Islamische Staat das Wasser längst als tödliche Waffe. „Seit der IS wichtige Wasservorkommen in Syrien und im Irak kontrolliert, setzt er Wasser für seine militärischen und politischen Ziele ein“, schreibt SWP-Wissenschaftler Tobias von Lossow in einer Analyse für die Denkfabrik.
Flut, Dürre, Verunreinigung
Laut Lossow gibt es im Wesentlichen drei Wege, Wasserressourcen als Waffe einzusetzen: indem dafür gesorgt wird, dass zu wenig, zu viel oder Wasser in unzureichender Qualität bereitsteht. „Der IS hat alle drei Varianten mehrfach angewendet und damit sowohl auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene Wirkung erzielt“, analysiert der Wissenschaftler.
Die Variante, bei der zu viel Wasser gegen die Bevölkerung eingesetzt wird, schien im Fall Mosul möglich. In einem anderen Fall im April 2014 zerstörte der IS mit Hilfe von aufgestautem Wasser aus dem Falluja-Damm rund 200 Quadratkilometer fruchtbares Ackerland sowie 10.000 Häuser. Bis zu 60.000 Menschen verloren laut SWP-Report ihre Lebensgrundlage und ergriffen die Flucht.
Das Dilemma der Anti-IS-Allianz
In der zweiten Variante dreht der Islamische Staat den Wasserhahn einfach zu. „Werden Leitungen gekappt oder Wasserressourcen an einem Damm zurückgehalten, entzogen oder umgeleitet, lässt sich in bestimmten Gebieten gezielt ein Wasser- und Strommangel herbeiführen oder ein bestehender Engpass verschärfen“, erklärt Analyst Lossow. Widerspenstige Bewohner von Städten können so recht einfach im Sinne des IS gefügig oder eben vertrieben werden.
Gleiches gilt für verunreinigtes Wasser. In Tikrit, Aleppo und andernorts wurden Wasserquellen mit Rohöl und weiteren Chemikalien vergiftet.
Die westlichen Interventionsmächte können Peschmerga, irakische Armee und andere bestenfalls aus der Luft mit Bombenangriffen unterstützen, um diesen Wasserkrieg einzudämmen. Gleichwohl sind die Möglichkeiten Washingtons, Paris’ und Co. ohne eigene Bodentruppen begrenzt.
Wasser als letzte Waffe
Für Wissenschaftler Lossow befindet sich der Islamische Staat jedoch in einem Dilemma. Denn die Terrororganisation möchte sich weiterentwickeln. „Eine Grundversorgung mit Wasser und Strom gewährleisten zu können, dient nicht zuletzt einem übergeordneten Ziel des IS in der Region: ein Kalifat etablieren, das staatliche Dienstleistungen bereitstellt.“ Aber: Bislang fehlen dem IS die Ressourcen, die Expertise und das Personal die Wasser- und Stromversorgung entsprechend warten zu können.
Geht es dem IS langfristig tatsächlich darum, dass die Bürger in seinen kontrollierten Gebieten von solchen staatlichen Strukturen profitieren, ergibt es wenig Sinn, diese zu zerstören.
Getötete und gefangen genommene Top-Terroristen
US-Eliteeinheiten töten nach Pentagon-Angaben einen ranghohen Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Der Mann mit dem Kampfnamen Abu Sajjaf sei für Öl-, Gas- und andere finanzielle Operationen des IS zuständig gewesen.
Aden Garer, März 2015: Bei einem US-Drohnenangriff in Somalia wird der mutmaßliche Drahtzieher der Terrorattacke auf das kenianische Einkaufszentrum Westgate, ein Mitglied der radikalislamischen Al-Shabaab-Miliz, getötet.
Der Anführer der Al-Shabaab-Miliz stirbt infolge eines gezielten amerikanischen Raketen-Angriffs in Somalia.
Der Führer der libyschen Islamistengruppe Ansar al-Scharia wird fast zwei Jahre nach dem tödlichen Angriff auf das US-Konsulat in Bengasi als mutmaßlicher Drahtzieher des Anschlags von einem US-Kommando gefasst.
Ein US-Kommando überwältigt den als Spitzenmann der Al-Kaida gesuchten Libyer vor seinem Haus in der Hauptstadt Tripolis. Er wurde im Zusammenhang mit den Angriffen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 gesucht. Er stirbt im Januar 2015 kurz vor Beginn seines Prozesse in New York.
Nach fast zehnjähriger Jagd erschießen US-Elitesoldaten bei einer Kommandoaktion in der pakistanischen Stadt Abbottabad den meistgesuchten Terroristen der Welt.
Das Worst-Case-Szenario von Mossul - oder die Sprengung anderer wichtiger Staudämme - würde der IS wohl nur wählen, wenn sich die Organisation „unmittelbar an der Schwelle zur Apokalypse und in einer finalen Schlacht mit seinen Feinden“ befände, wie es im SWP-Report heißt.
Anders ausgedrückt: Je näher der IS an eine Niederlage rückt, desto wahrscheinlicher wird der Fall, dass die Organisation das Wasser nutzt, um zigtausende Menschen zu töten. Es wäre seine letzte Waffe. Das wiederum stellt die Anti-IS-Allianz vor ein gewaltiges Dilemma.
Lesen Sie hier den vollständigen Report: „Wasser als Waffe: Der IS an Euphrat und Tigris“