Jordanien Der perfekte Nährboden für IS-Terroristen

Jordanien will den Zulauf zur IS-Terrormiliz eindämmen. Doch bislang fruchten die Ansätze des Königreichs wenig. Denn Armut, fehlende Perspektiven und mangelnde politische Teilhabe bringen immer mehr Extremisten hervor.

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Die jordanischen Behörden gehen intensiv gegen die IS-Extremisten vor.

Amman Etwa zwei Dutzend junge Männer sind in den Käfig im Saal des Gerichts für Staatssicherheit in Amman gequetscht. Der Vorwurf gegen sie lautet Unterstützung der Terrormiliz Islamischer Staat. Der Richter befragt sie kurz, dann werden sie abgeführt, und die Wachen treiben die nächste Gruppe von Angeklagten in den Saal. Es ist ein inzwischen typisches Bild.

Die jordanischen Behörden gehen intensiv gegen die IS-Extremisten vor. Hunderte wurden schon zu Haftstrafen verurteilt, andere warten auf ihren Prozess oder werden verhört wegen mutmaßlicher Verbindungen zum IS. Seit die Antiterrorgesetze verschärft wurden, kann man schon im Gefängnis landen, wenn man in den sozialen Medien seine Zustimmung zur Propaganda der Terrormiliz mit einem „Like“ ausdrückt oder die Inhalte mit anderen teilt – zusammen mit den jüngsten Anschlägen – jedoch auch ein Zeichen dafür, dass das prowestliche Königreich ein weitaus größeres Problem mit einheimischen Extremisten hat, als es das öffentlich eingesteht.

„Wir haben eine Ausbreitung des IS-Netzwerks in Jordanien“, sagt der Extremismusexperte Mohammed Abu. Dabei handele es sich nicht nur um arme Bevölkerungsschichten, sondern auch zunehmend um die Mittelschicht. „Es ist eine Minderheit, aber sie ist sehr gefährlich“, warnt er.

Erst in der vergangenen Woche belegten dies die Extremisten. Bei einem Selbstmordattentat auf einen Grenzposten töteten sie sieben Soldaten. Es war der schwerste Anschlag in Jordanien seit Jahren.

Als der IS 2014 große Teile der Nachbarländer Syrien und Irak unter seine Kontrolle brachte, erschütterte das auch Jordanien. Die USA investierten Millionen, um dem Königreich zu helfen, seine Grenzen zu sichern. Jordanien schloss sich der US-geführten, militärischen Koalition gegen die Terrormiliz an.

Der jordanische Regierungssprecher Mohammed Momani betont, Extremismus sei ein globales Problem. Jordanien sei im gleichen Ausmaß wie jede andere Gesellschaft in der Welt gefährdet. Die Herausforderung sei es, die Extremisten auszumachen und zu verfolgen. Außerdem müsse man sicherstellen, dass „in der Gesellschaft ein ausreichendes Bewusstsein gegen diese Elemente“ vorhanden sei.

Für den Westen ist Jordanien einer der wichtigsten Verbündeten in der Region. Jedes Zeichen von Instabilität würde große Besorgnis auslösen. Dazu gehört auch der wachsende Zulauf für den dschihadistischen Salafismus, die gewalttätige Auslegung des sunnitischen Islam, auf den sich der IS und sein Vorgänger Al-Kaida stützen.


Die Bürger sind unzufrieden

Der amerikanische Experte David Schenker sagt, es sei schwierig zu messen, wie stark die extremistische Aktivität sei. Doch die jüngste Zunahme deutet auf eine nicht unwesentliche Bedrohung hin. Extremismusexperte Abu Ruman schätzt, dass es in Jordanien etwa 10.000 dschihadistische Salafisten gibt. Etwa 2.000 von ihnen haben sich demnach dem IS und der Al-Kaida angeschlossen und kämpfen im Irak und in Syrien.

Über die Jahre haben verschiedene Faktoren den Extremisten einen fruchtbaren Boden für die Rekrutierung neuer Anhänger bereitet. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, Meinungsfreiheit und politische Teilhabe sind eingeschränkt. Dazu kommt die Empfindung bei vielen Menschen, dass die Welt nur zusieht, wenn Sunniten im syrischen Bürgerkrieg oder im sunnitisch-schiitischen Konflikt im Irak getötet werden.

Jordanien sieht seine Anti-IS-Strategie als Teil eines breiter angelegten Antiradikalisierungsprogramms, an dem 13 Regierungsorganisationen beteiligt sind. Kritiker monieren dagegen, es sei ein Fehler, sich so auf IS-Sympathisanten zu fokussieren.

Schenker verweist darauf, dass Haft die Bindungen zwischen Dschihadisten noch verstärkt. Sicherheitszentrierte Ansätze ignorierten zudem andere Gründe für die Radikalisierung, sagt der Experte des Washington Institute for Near East Policy.

Ein Umfrage unter Jordaniern, die vergangene Woche vom amerikanischen International Republican Institute veröffentlicht wurde, ergab einen starken Anstieg der Unzufriedenheit mit der jordanischen Wirtschaft und den politischen Institutionen. 89 Prozent der Befragten gaben jedoch auch an, sie hielten den IS für eine Terrororganisation. Vier Prozent fanden das nicht, sieben Prozent waren sich nicht sicher. Das entspricht den Werten des Vorjahres.

Wenn der dschihadistische Salafismus sich weiter in der Region ausbreite, müsse sich Jordanien darauf einstellen, sagt Schenker. „Am Ende wird es einfach mehr Salafisten geben, und der König kann sie nicht mehr alle übersehen.“

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