Katar-Krise Sieben Forderungen, die Krieg bedeuten können

Kaum Chance auf einen Kompromiss: Katar wird die Forderungen seiner Nachbarstaaten nicht erfüllen. Nun dürften Sanktionen folgen und eine lang anhaltende Konfrontation am Golf – mit Folgen für die deutsche Wirtschaft.

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Kaum Chance auf einen Kompromiss: Katar wird die Forderungen seiner Nachbarstaaten nicht erfüllen. Quelle: dpa

Berlin Wenn saudi-arabische Top-Offizielle heute über Katar reden, dann schwingt derselbe Hass mit wie bei ihren Reden über den Erzfeind Iran. Das ist aber erst seit dem 5. Juni so – dem Tag, an dem Katars arabische Nachbarn das kleine Emirat blockierten, alle Luft-, See- und Landwege abschnitten sowie die diplomatischen Beziehungen abbrachen.

Nun hat Katar bis Mittwochmorgen Zeit, den Forderungskatalog Saudi-Arabiens, der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrains und Ägyptens zu erfüllen. Am Mittwoch wollen die Außenminister der vier Blockade-Länder in Kairo über ihr weiteres Vorgehen gegen Katar beraten. Und Dohas Antwort auf ihren 13 Punkte umfassenden Forderungskatalog prüfen, die der katarische Außenminister am Montag dem Herrscher von Kuwait, Scheich Sabah, übergab. Er vermittelt zwischen den verfeindeten Staaten.

Auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel ist gerade auf großer Tour durch den Nahen Osten, seit Wochen spricht er bereits mit den Kontrahenten, ob bei persönlichen Treffen in Berlin und Wolfenbüttel oder per Telefon. Nun also vor Ort: Am Montag traf der deutsche Vizekanzler in der saudischen Hafenstadt Dschidda, wo König Salman, die Regierung und die ganze Entourage dem heißen Sommer in der Hauptstadt Riad entfliehen, Außenminister Adel al-Jubeir, dann ging es weiter zur Führung der VAE in Abu Dhabi, anschließend nach Kuwait und Katar.

„Wir stehen weder auf der einen, noch der anderen Seite. Wir ergreifen nicht Partei“, sagte Gabriel über seine Nahost-Mission, bei der er offiziell gar nicht als Vermittler auftreten will. Aber deutsche Stärke ist die Pendeldiplomatie. Er unterstütze „mit Nachdruck“ Kuwait bei den Vermittlungsversuchen. Das Schicksal der Region und der Konflikt „betrifft auch uns und unsere Interessen“, betonte der SPD-Politiker. In Dschidda unterstrich er nach seinem Treffen mit al-Jubeir die Notwendigkeit zur gemeinsamen Bekämpfung von Terrorfinanzierung. Das ist der offizielle Vorwurf, den die vier Blockade-Staaten gegen Katar erheben.

Inoffiziell geht es noch viel weiter: Katar mische sich massiv in die Politik Saudi-Arabiens, der VAE, Ägyptens und Bahrains ein, heißt es von Top-Offiziellen. Ob Finanzierung eines Anschlags auf die heilige islamische Stadt Mekka, Unterstützung schiitischer Oppositioneller gegen den sunnitischen König von Bahrain oder die Hilfe für die Moslembruderschaften in Ägypten oder den VAE.

Die Moslembruderschaften würden dort politischen Islam und Wahlen gegen Monarchie oder Militärherrschaft propagieren. In Saudi-Arabien sollen die Kataris angeblich die mutigen Umbaupläne des Kronprinzen Mohammed bin Salman durch Propaganda bezahlter Kritiker torpedieren. Hinter all dem soll das aufgrund seiner gigantischen Gasreserven megareich gewordene Land stehen, das nicht wisse wohin mit seinem überbordenden Ego. Katar wolle beweisen, dass es alle und alles kaufen könne, verlauten Offizielle der Contra-Seite – ob Fußball-WM in glutheißer Wüste oder scharfe Kritik in den Bruderländern.

Offiziell umfasst die Forderungsliste an Katar 13 Punkte. Sie sei so gestrickt, dass Katar sie ablehnen müsse, kritisierte Katars Außenminister Mohammed Abdulrahman Al-Thani schon bald nach der Veröffentlichung vor nun elf Tagen. Inzwischen wurde er konkreter und ließ in seiner an Kuwaits Herrscher übergebenen offiziellen Antwort seines Landes wissen, dass Katar viele Forderungen gar nicht erfüllen könne: Die geforderte Auslieferung iranischer Revolutionsgarden-Vertreter scheitere schon daran, dass sie sich gar nicht in Doha aufhielten. Das sind die Hauptforderungen an Katar, die das Handelsblatt zusammengefasst hat:


1 – Stopp der Terrorfinanzierung.

Hiermit meinen die vier Blockade-Staaten vor allem Katars vermeintliche Unterstützung der palästinensischen Hamas, der libanesischen Hisbollah, der Moslembruderschaft, der Extremisten-Miliz „Islamischer Staat“ und der al-Nusra Front, die in Syrien gegen Diktator Baschar al-Assad kämpft, aber als Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida gilt.

Die Hamas herrscht im Gaza-Streifen, während die von den anderen arabischen Golfstaaten unterstützte Regierung von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas nur auf der West-Bank herrscht. Im Gazastreifen bezahlt Katar Wohnungsbau und greift schon einmal tief in die Taschen, wenn die Hamas die dortigen Verwaltungsbeamten nicht bezahlen kann.

Katar nenne die Hamas Widerstandskämpfer, dabei sei sie als Terrororganisation eingestuft, sagen Vertreter der Katar-Gegner. Kontakte zur Hisbollah, al-Qaida und dem IS bestreitet Katar.

„Wenn man sich vorstellt, was die beste Lösung wäre, die herauskommen kann aus diesem Konflikt, dann glaube ich, (es ist) eine gemeinschaftliche Verabredung über die Beendigung jedweder Unterstützung terroristischer oder extremistischer Organisationen“, sagte Bundesaußenminister Gabriel in Dschidda.

Daran müsste sich dann nicht nur Katar, sondern auch Saudi-Arabien halten, schoss er einen kleinen Giftpfeil in Richtung der Blockade-Länder. Denn auch saudischen radikalen Stiftungen wird immer wieder vorgeworfen, radikalislamische Organisationen, Moscheen und Schulen zu finanzieren.

Katar merkte süffisant an, dass in den Flugzeugen beim 9/11-Anschlag auf die Twin Towers in New York saudische und VAE-Staatsbürger als Terroristen saßen – aber keine Kataris.


2 – Abbruch der Beziehungen zum Iran.

Die arabischen Golfstaaten werfen der Führungsmacht der moslemischen Schiiten vor, sich Saudi-Arabien und Bahrain als Teil eines neuen Persischen Reichs einverleiben zu wollen und alle Schiiten weltweit als iranische Staatsbürger anzusehen.

Saudi-Arabien, wo die heiligen Stätten Mekka und Medina liegen, versteht sich als Schutzmacht der Sunniten – der großen Mehrheit der Moslems. Iran, so lautet ein weiterer Vorwurf, wolle seine Islamische Revolution (im Jahr 1979, Imam Chomeini gegen den Schah von Persien) exportieren und überall Mullah-Regime etablieren.



3 – Schließung von Al Dschasira.

Der in Doha ansässige Satellitenkanal Al Dschasira hat immer wieder kritisch auch über arabische Staaten berichtet – so etwa über das diktatorische Regime des im „Arabischen Frühling“ gestürzten Hosni Mubarak in Ägypten.

Al Dschasira ließ immer auch die jungen Revolutionäre des Aufbruchs in der arabischen Welt zu Wort kommen. Al Dschasira hat mit beIN SPORTS zudem einen mächtigen Sportkanal aufgebaut, der zur ernsthaften Konkurrenz bei der Vergabe von Sport-Übertragungsrechten geworden ist.

Saudi-Arabien und andere werfen Al Dschasira, seiner Website und anderen katarischen Internet-Medien vor, Terrorpropaganda zu betreiben. So sei der inzwischen von einer US-Spezialeinheit in einer Kommandoaktion in Pakistan erschossene al-Qaida-Terrorchef Osama bin Laden im Programm als „Held“ oder „Kämpfer gegen den US-Imperialismus“ dargestellt worden statt als blutrünstiger Terrorboss.

Bin Laden war saudischer Staatsbürger, er entstammt der Bin-Laden-Familie, die einen der mächtigsten Baukonzerne am Golf besitzt.



4 – Schließung der türkischen Militärbasis bei Doha.

Dort, wo auch die USA ihre 11.000 Mann starke Al Udeid Air Base unterhält, hat Ankara seit 2014 auch einen kleinen Stützpunkt. Er wurde in jenem Jahr vereinbart, als die arabischen Nachbarn schon einmal Katar unter Druck setzten: Für neun Monate zogen sie ihre Botschafter aus Doha ab - als Protest gegen Katars Politik der Unterstützung vor allem der Moslembruderschaft in Ägypten.

Das ist Riad bis heute ein Dorn im Auge: Saudi-Arabien stärkt mit Milliarden Militärmachthaber al-Sisi, Katar die islamistischen Moslembrüder. „Die verbrennen unser Geld“, echauffierte sich kürzlich ein ranghoher Vertreter der Anti-Katar-Koalition.

Die türkische Militärbasis bei Doha ist seit Ausbruch der Krise am 5. Juni von 88 auf 113 Mann verstärkt worden. 5.000 Soldaten und Offiziere können es nach dem Willen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Katars Emir Tamim bin Hamad Al-Thani werden.

Die Türkei ist aber vor allem den um Vorherrschaft in der Region bemühten Saudis ein Dorn im Auge – wegen Erdogans Willen eines „neo-osmanischen Reiches“.

Die US-Airbase bei Doha sei das US-Hauptquartier für alle Einsätze im Nahen Osten, betonte der frühere CIA-Chef und Militärkommandeur in Afghanistan, David Petraeus, in einem Interview mit dem französischen „Journal du Dimanche“.

Und: „Unsere Partner sollten sich daran erinnern, dass Katar auf unsere Bitten hin Delegationen der (afghanischen) Taliban und der (palästinensischen) Hamas in Doha empfangen hat.“


5 – Stopp der Unterstützung der Opposition.

Katar mische sich mit der Finanzierung oppositioneller Gruppen in Saudi-Arabien, VAE, Bahrain und Ägypten massiv in die Politik dieser Länder ein, heißt es. Dies müsse sofort beendet werden.

Alle namentlich genannten Anführer von Organisationen, die von Katar aus Terror und Propaganda verbreiteten, müssten sofort ausgeliefert werden. Katar wurden dafür zehn Tage eingeräumt. Diese Frist wurde um 48 Stunden bis Mittwochmorgen verlängert.

Katars Außenminister behauptet, viele dieser Menschen seien gar nicht in Doha. Riad betont, man wisse genau wo diese Personen sich aufhielten und von wem sie finanziert würden – etwa per Barschecks katarischer Botschafter.



6 – Ende von Katars eigener Außenpolitik.

Eine weitere Forderung: Ende einer eigenen Außenpolitik Katars und Bezahlung einer hohen „Kompensation und Reparationsleistungen“ für die dadurch angerichteten Schäden. Die Summe solle mit Katar verhandelt werden.

Die eigenständige und nicht mit dem Golf-Kooperationsrat GCC (Saudi-Arabien, VAE, Bahrain, Kuwait, Oman und Katar) abgestimmte Politik Dohas habe zum „Verbrennen unseres Geldes“ geführt, werfen die Katar-Blockierer dem Land vor. Saudi-Arabien und die VAE stecken Milliarden in den Aufbau Ägyptens, auch in die Schaffung einer völlig neuen Hauptstadt außerhalb Kairos.

Aber die politische Dividende kann Militärmachthaber al-Sisi, der laut Menschenrechtsgruppen den Nilstaat mit noch eiserner Faust führt als der im „Arabischen Frühling“ gestürzte Diktator Mubarak, nicht einfahren.

Das liege sowohl an den „Fake News“ bei Al Dschasira, das inzwischen in Ägypten, Saudi-Arabien und andernorts gesperrt wurde, als auch an der katarischen Unterstützung der al-Sisi Gegner - der Moslembruderschaft.

Auch die saudischen Reformbemühungen der ambitionierten „Vision 2030“ – die das Königreich fit machen soll für die Ära nach dem Öl – würden durch die aus Doha finanzierte Propaganda unterminiert. Dafür soll Katar zahlen. Wie viel? Das bleibt unklar!


7 - Monatliche Berichtspflicht.

Katar soll jeden Monat den Mitgliedstaaten des Golf-Kooperationsrats GCC Bericht ablegen, inwiefern die Forderungen nun erfüllt werden. „Dies alles ist kein Forderungskatalog, sondern eine Verunglimpfung“, kommentiert Marwan Bishara, politischer Chef-Analyst bei Al Dschasira, das Gesamtpaket.

Katar wird es in Großteilen ablehnen. Doha betont das im GCC-Vertrag festgeschriebene Recht auf Souveränität. Nun solle versucht werden, diese von außen zu unterminieren. In Doha wird mittlerweile ganz offen darüber gesprochen, dass Katar das Recht auf eigene Politik genommen werden solle.

Am Ende sollten der Emir Tamim und sein noch immer im Hintergrund agierender Vater gestürzt werden, die das Königshaus in Riad infrage stellten. Einige dort in der saudischen Hauptstadt sehen ohnehin bis heute Katar als Teil Saudi-Arabiens an.

Sollte Emir Tamim nicht freiwillig gehen und an eine andere Familie übergeben, sei sogar ein militärischer Einmarsch wie in Bahrain auf dem Höhepunkt des „Arabischen Frühlings“ durch saudische und emiratische Truppen nicht mehr ausgeschlossen.

„Der Konflikt am Golf geht nicht nur die an, die dort miteinander im Zwist liegen, sondern betrifft auch uns und unsere Interessen“, sagte Bundesaußenminister Gabriel. Damit meint er vor allem den Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS), in dem die Golfstaaten eine wichtige Rolle spielen, aber er meint auch eigene wirtschaftliche Interessen.

Denn im Rahmen des gigantischen Umbaus in Saudis „Vision 2030“ sowie im Vorfeld der Fußball-WM 2022 in Katar sind deutsche Firmen in der Region stark engagiert. Schon beim Atomabkommen mit Iran hatte Saudi-Arabien verlangt, deutsche Unternehmen sollten sich dort und nicht im Iran engagieren.

Dies dürfte Riad jetzt in Bezug auf Katar wiederholen. Zudem dürften die arabischen „Brüder“ – im Falle des erwartbaren Nicht-Einlenken Dohas – in Kürze die Finanzkanäle nach Katar kappen und Wirtschaftsbeziehungen noch härter sanktionieren.


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