Merkel und Griechenland „Unsere gute Freundin“

Deutsch-griechischer Frühling: Vor nicht allzu langer Zeit war Merkel noch die unbeliebteste ausländische Politikerin in Griechenland. Die Flüchtlingskriese hat Premier Tsipras und die Kanzlerin auf Schmusekurs gebracht.

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Der griechische Premier Alexis Tsipras und Bundeskanzlerin Angela Merkel sind gut gelaunt: Nicht immer war die Stimmung zwischen den beiden so heiter. Was die Flüchtlingskriese angeht, steht Deutschland aber hinter den Hellenen. Quelle: AFP

Athen „Go back, Mrs. Merkel, verschwinden Sie, Frau Merkel!“, rief Alexis Tsipras im Wahlkampf. Seine Anhänger johlten. Jetzt dürfte das Motto lauten: Angela, lass mich nicht im Stich! Vom Popanz hat sich die Kanzlerin zur wichtigsten Verbündeten des griechischen Premiers gewandelt. Es herrscht Tauwetter in den lange frostigen deutsch-griechischen Beziehungen. Die Flüchtlingskrise bringt Athen und Berlin einander näher.

Beispiel: Yanis Varoufakis. Bisher war der gescheiterte griechische Finanzminister auf Angela Merkel gar nicht gut zu sprechen. Er unterstellte der Kanzlerin einen „Geheimplan“ mit dem Ziel, „ganz Europa zu unterwerfen“. Doch für Merkels Flüchtlingspolitik ist Varoufakis voll des Lobes: „Es ist schlicht großartig, ein solches Zeichen der Menschlichkeit von einem politischen Gegner zu hören.“ Auch Ioannis Mouzalas, der griechische Vizeminister für Migrationspolitik, äußert Anerkennung: In der Flüchtlingskrise habe Merkel „die Würde Europas gerettet“. Deutschland, sagt Mouzalas, sei „die Stimme der Vernunft“.

Das Rapprochement beruht auf Gegenseitigkeit. Lagen Athen und Berlin während der vergangenen sechs Krisenjahre meist im Clinch, entdeckt man nun gemeinsame Interessen. Sogar der strenge Wolfgang Schäuble, früher neben Merkel der meistgehasste deutsche Politiker in Griechenland, zeigt ein Herz für die Hellenen: Griechenland leide unter einem „erschreckenden Mangel an Solidarität“ vieler EU-Staaten, beklagte Schäuble kürzlich bei einer Veranstaltung in London. Der Bundesfinanzminister belässt es nicht bei milden Worten. Seinem griechischen Amtskollegen Euklid Tsakalotos signalisiert er Entgegenkommen bei der Rentenreform und den Haushaltszielen – wegen der „schwierigen Situation“ des nun auch noch von der Flüchtlingskrise gebeutelten Landes. „Berlin ändert den Kurs“, frohlockte die Zeitung „Ethnos“ bereits. Auch über Schuldenerleichterungen will Schäuble mit sich reden lassen, wenngleich er dieses Thema nicht für vordringlich hält, weil die EU-Partner Griechenland ohnehin bis Anfang der 2020er Jahre von Tilgung und Zinszahlungen weitgehend befreit haben.

Lange lautete die offizielle Lesart in Berlin, die Flüchtlingskrise und Griechenlands chronische Schuldenmisere seien zwei grundverschiedene Dinge. Inzwischen wird vielen klar, dass es einen Zusammenhang gibt – schon wegen der enormen Kosten, die auf das finanzschwache Griechenland bei der Unterbringung und Versorgung der gestrandeten Menschen zukommen. Tsipras hofft daher, dass ihm Berlin bei der Umsetzung der Reform- und Sparagenda etwas länger Leine lässt. Dafür könnte sprechen, dass der Kanzlerin nicht daran gelegen sein dürfte, dass nun zusätzlich zur Flüchtlingsdebatte und der Brexit-Diskussion auch noch die griechische Finanzkrise wieder virulent wird.


In der Flüchtlingskrise auf Merkel angewiesen

Tsipras hat seit seinem Amtsantritt Ende Januar 2015 einen langen Lernprozess durchlaufen. Zunächst wollte der Grieche mit anderen EU-Südstaaten eine Allianz gegen Berlin schmieden. Aber der naive Plan scheiterte ebenso wie die Versuche, in Russland oder China Hilfskredite für Hellas locker zu machen. Während der quälenden Verhandlungen über das dritte Rettungspaket im vergangenen Frühjahr begriff Tsipras allmählich: In Europa läuft nichts ohne Merkel - und schon gar nicht gegen sie.

In der Flüchtlingskrise ist Tsipras mehr denn je auf die Kanzlerin angewiesen. Seit die Balkanstaaten ihre Grenzen dichtgemacht haben, stauen sich zehntausende Flüchtlinge und Migranten in Griechenland. Regierung und Behörden sind völlig überfordert, wie die katastrophalen Zustände in den Elendslagern von Idomeni und Piräus zeigen. Die Grenzschließungen und die Debatte um einen Ausschluss Griechenlands aus der Schengenzone unterstreichen die wachsende politische Isolierung der griechischen Regierung. Tsipras hatte in Europa nie viele Freunde. Mit seiner Politik des Durchwinkens hat er in den vergangenen Monaten weitere Sympathien verspielt.

Umso willkommener ist ihm jetzt Merkels Rückendeckung. Die Kanzlerin appelliert, die EU dürfe Griechenland nicht im Stich lassen: „Wir können es uns nicht in 27 Ländern nett machen und ein Land allein mit dem Problem lassen.“ In den Augen vieler Griechen hat sich Merkel damit von einer hartherzigen Zuchtmeisterin zur verständnisvollen Fürsprecherin ihres Landes gewandelt. Die konservative Zeitung „Kathimerini“ präsentierte ihren Lesern die Kanzlerin kürzlich als „Merkel, unsere gute Freundin“.

Zur wichtigsten Partnerin für Tsipras wird damit nun ausgerechnet jene Frau, die er noch im Wahlkampf als „gefährlichste Politikerin Europas“ dämonisierte. Merkel spiele „Poker mit dem Leben der Griechen“ und richte in den Krisenländern „eine humanitäre Katastrophe“ an, hetzte Tsipras seinerzeit. Merkel war damals die unbeliebteste ausländische Politikerin in Griechenland. In Umfragen äußerten mehr als acht von zehn befragten Griechen eine „schlechte Meinung“ über die deutsche Kanzlerin. Sie galt als treibende Kraft hinter den harten Sparauflagen der internationalen Kreditgeber. „Es muss weh tun“, habe ihm Merkel bei den Verhandlungen über das erste Hilfspaket im Frühjahr 2010 gesagt, berichtet der damalige griechische Premier Giorgos Papandreou.

In den folgenden Jahren erreichte das griechisch-deutsche Verhältnis einen Tiefpunkt nach dem anderen. Griechische Zeitungen druckten Fotomontagen, die Merkel mit Hitlerbart und Hakenkreuzbinde zeigten. Ein Karikaturist der Zeitung „To Vima“ zeichnete die Kanzlerin als Zirkusdompteuse, die mit ihrer Peitsche griechische Rentner zum Sprung durch einen brennenden Reifen antrieb – mitsamt Rollator.

Inzwischen hat sich die Wahrnehmung gewandelt, auch bei Tsipras: Als Oppositionschef verhöhnte er die damaligen Regierungspolitiker als „Merkelisten“ – jetzt ist er selbst einer: „Er telefoniert häufig mit der Kanzlerin“, heißt es in der Umgebung des Premiers. Merkel bestätigte öffentlich, sie sei „in ständigem Kontakt“ mit Tsipras. In einem Interview mit dem Sender „Star TV“ nahm der Grieche die Bundeskanzlerin sogar in Schutz: Die Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik sei „unfair“. Und eine regierungsnahe Zeitung, die noch vor einem Jahr Wolfgang Schäuble als KZ-Kommandanten karikierte, der aus den Griechen „Seife machen“ wolle, pries die Kanzlerin jetzt als „Schutzengel der Flüchtlinge“.

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