Nach gescheitertem Putschversuch Erdogan will das Militär umbauen - Kritik an US-Ratingagentur

Erdogan will die Struktur des Militärs verändern. Ein weiterer Putschversuch sei möglich, sagt er. Auch für die Herabstufung der Kreditwürdigkeit der Türkei durch eine Ratingagentur findet der Staatschef deutliche Worte.

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„Wir sind wachsamer“, sagt der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan während eines Interviews. Quelle: Reuters

Ankara Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält einen weiteren Putschversuch für möglich und kündigt einen raschen Umbau des Militärs an. Ein erneuter Umsturzversuch würde Aufrührern aber nicht leicht fallen, sagte Erdogan am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters.

„Wir sind wachsamer.“ Schon bald werde eine neue Struktur des Militärs umgesetzt. Das Militär müsse aus dem Putschversuch ernste Lehren ziehen, sagte er. „Wir können es uns nicht leisten, selbstzufrieden zu sein.“

Erdogan räumte ein, dass es vor dem Putschversuch vom Freitagabend vergangener Woche „erhebliche Lücken und Schwächen“ im Geheimdienst gegeben habe. Dies könne man weder leugnen noch verheimlichen. „Ich habe das der Spitze des nationalen Geheimdienstes gesagt“, fügte er hinzu.

Der islamisch-konservative Präsident, dem Kritiker eine immer autoritärere Führung vorwerfen, sagte, es gebe kein Hindernis für eine Verlängerung des gerade für drei Monate verhängten Ausnahmezustandes.

Die Zahl der Todesopfer sei auf 246 gestiegen - getötete Putschisten nicht mitgerechnet. Fast 2200 Menschen seien verletzt worden, sagte Erdogan.

Die Herabstufung der Kreditwürdigkeit seines Landes durch die US-Ratingagentur Standard & Poor's hält er für politisch motiviert. Die türkischen Finanzmärkte hätten keine Liquiditätsprobleme, sagte Erdogan. Der Finanzsektor sei sehr stark.

Erdogan warf S&P vor, sich auf die Seite der Putschisten geschlagen zu haben und nicht auf die der Demokratie. Sollte die Ratingagentur Moody's den Experten von S&P folgen, wäre das keine objektive Entscheidung, sagte Erdogan.

S&P hatte am Mittwoch angesichts der politischen Turbulenzen in der Türkei die Note für das Land um eine Stufe auf BB gesenkt. Zugleich stufte die Ratingagentur den Ausblick auf „negativ“ von bislang „stabil“ herab.

Als Begründung nannte die Agentur die zunehmende Polarisierung der Politik in dem Nato-Staat. Nach dem Putschversuch sei mit einer Phase der erhöhten Unsicherheit zu rechnen, schrieben die Experten. Das könne Investoren davon abhalten, ihr Geld in der Türkei anzulegen.

Eine Verlängerung des zunächst auf drei Monate befristeten Ausnahmezustands in seinem Land behält sich Erdogan vor. Es gebe keine Hindernisse für eine Verlängerung, wenn sich dies als nötig erweisen sollte, sagte er.

Zugleich versicherte der Staatschef, dass der Ausnahmezustand das Leben der Bürger nicht über Gebühr beeinträchtigen werde. „Der Ausnahmezustand ist keine Ausgangssperre“, sagte Erdogan. Die Menschen würden weiter auf die Straßen gehen können, ihre Angelegenheiten regeln und ein Alltagsleben führen.

Erdogan kündigte an, die Bewegung des islamischen Klerikers Fetullah Gülen, den er für den versuchten Putsch in der vergangenen Woche verantwortlich macht, wie eine Terrororganisation zu behandeln. Sie werde als „weitere separatistische Terrororganisation“ gesehen. „Wir werden sie weiter bekämpfen, egal, wo sie sind. Diese Leute haben die staatlichen Institutionen dieses Landes unterwandert und sie lehnten sich gegen den Staat auf“, sagte Erdogan in seinem ersten Interview seit Verhängung des Ausnahmezustands am Mittwoch.


EU nennt türkisches Vorgehen an Universitäten unakzeptabel

Das massive Vorgehen der türkischen Regierung stößt auf immer stärkere Kritik westlicher Staaten. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte am Donnerstag in Washington, das Verhalten der Regierung in Ankara sei in Teilen nicht akzeptabel.

Zwar stehe die Europäische Union klar hinter den demokratischen Institutionen des Landes. Dies sei der türkischen Regierung auch deutlich gemacht worden. Allerdings sei „das, was wir besonders in den Bereichen der Medien, Universitäten, der Justiz sehen, nicht akzeptabel“, sagte Mogherini.

Doch zuvor schon hatte sich Erdogan Kritik am Vorgehen gegen von ihm als Putschhelfer angesehene Gruppen in den verschiedenen Gesellschaftsbereichen zuvor verbeten.

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