Neuer Chefökonom Weltbank setzt auf Neo-Kolonialismus

Paul Romer soll neuer Chefvolkswirt der Entwicklungsbank werden. Der Ökonom hat provokante Vorschläge formuliert. Zum Beispiel macht er sich für sogenannte Charter Cities nach dem Vorbild Hongkongs stark.

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Paul Romer macht sich für sogenannte Charter Cities nach dem Vorbild Hongkongs stark. Quelle: dpa

Frankfurt Paul Romer, der neuer Chefvolkswirt der Weltbank in Washington werden soll,  gilt als ewiger Anwärter auf den Nobel-Gedächtnispreis für Ökonomie der Schwedischen Reichsbank, die höchste Ehrung, die ein Ökonom empfangen kann. Denn Paul Romer hat die Theorie des endogenen Wachstums maßgeblich mit aus der Taufe gehoben. Dabei steht im Vordergrund, wie Wissen und Innovationen als Hauptwachstumstreiber entstehen. Die alte Wachstumstheorie hatte technischen Fortschritt unerklärt vom Himmel regnen lassen.

Was der Professor der University of New York aus seiner Theorie für die Entwicklungspolitik ableitet, ist provokant und umstritten. Er macht sich seit einigen Jahren für sogenannte Charter Cities nach dem Vorbild Hongkongs stark. Das ist eine extremere Form der Free Enterprise Zones, oder Freihandelszonen, mit denen Entwicklungsländer schon länger experimentieren. Geht es bei letzteren darum, bestimmte Zonen für Investoren attraktiv zu machen, indem dort bestimmte staatliche Regulierungen nicht gelten und Zölle nicht erhoben werden, gehen Charter Cities einen großen Schritt weiter: Romer schlägt vor, arme Entwicklungsländer mit schlecht funktionierenden Regierungen und Verwaltungen sollten Teile ihres Hoheitsgebiets langfristig an die Regierungen erfolgreicher Industrieländer verpachten und damit jegliche Kontrolle aufgeben. Das was die Engländer in Sachen Hongkong mit Waffengewalt gegenüber China durchsetzten, sollen die armen Länder freiwillig tun. Zum Ausgleich für den Verlust an Souveränität und demokratischer Mitbestimmung verspricht er wirtschaftlichen Wohlstand für die verpachteten Regionen und ihre Einwohner, ganz ohne Entwicklungshilfegelder. Ein Weltbank-Manager bezeichnete 2010 die Idee, kurz nachdem Romer sie propagiert hatte,  auf dem internen Blog der Organisation als „neo-mittelalterlich“ und „neo-kolonialistisch“.


Mit Lernsoftware zu einem Vermögen

Nun soll Romer nach einem Bericht der Financial Times, der von einer Weltbank-Ökonomin per Twitter bestätigt wurde, neuer Chefvolkswirt der Entwicklungsbank werden. Das wäre für die Bank eine Rückkehr zum Washington Consensus , der bis vor etwa 15 Jahren galt. Der Washington Consensus von Weltbank und Schwesterorganisation Internationalem Währungsfonds, bezeichnet die Philosophie, dass der beste Weg zur Entwicklung im Abbau von Regulierungen und möglichst großen Freiheiten für Unternehmen und den internationalen Handelsverkehr liege. Seither war unter anderem mit Joseph Stieglitz ein scharfer Kritiker dieser Philosophie Chefvolkswirt, sowie der Chinese Justin Lin, ein Vertreter der Theorie der staatlich geförderten und gelenkten Industrialisierung, wie sie China sehr erfolgreich betrieben hat.

Der Name Charter Cities geht auf Städte in den USA zurück, die sich in manchen Regionen nach eigenen Statuten gründen und regulieren dürften, anstatt auf der Grundlage von staatlichen Kommunalgesetzen.

Bei denen, die sich so entwickeln sollen, stieß die Idee bisher auf begrenzte Euphorie. In Madagaskar plante die Regierung zwei Charter Cities, verlor aber die Macht, bevor sie den Plan umsetzen konnte. In Honduras, einem mittelamerikanischen Land unter starkem US-Einfluss, in dem 2009 das Militär putschte, wurden 2011 die nötigen Gesetzesänderungen beschlossen und Romer zum Vorsitzenden eines zugehörigen „Transparenz-Komitees“ gekürt. Doch das Verfassungsgericht erklärte die geplanten Charter Cities für verfassungswidrig, weil darin die honduranischen Gesetze keine Geltung hätten. Das Verfassungsgericht wurde entmachtet und das Projekt wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Romer ist nicht mehr beteiligt, dafür aber einige Vertreter des republikanischen Polit-Establishments der USA.

Romer erwarb seinen Doktortitel an der Universität Chicago, die als Hort der Marktliberalen gilt. Er nahm sich 2001 einige Jahre Auszeit vom akademischen Leben und machte mit einem von ihm gegründeten Unternehmen für Lernsoftware, das er 2007 verkaufte, ein Vermögen.

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