Obama über Nemzow-Mord „Tat spiegelt ein Klima innerhalb Russlands wider“

Zahlreiche Trauergäste kommen heute zur Beerdigung des ermordeten Kremlkritiker Nemzow nach Moskau. Seine Begleiterin in der Mordnacht durfte Russland inzwischen verlassen. US-Präsident Obama kritisiert den Kreml scharf.

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Auch in Berlin liegt ein Kondolenzbuch für den ermordeten Boris Nemzow aus. Quelle: dpa

Moskau Freunde und Weggefährten des ermordeten Kremlkritikers Boris Nemzow nehmen am Dienstag in Moskau Abschied von dem bekannten Oppositionspolitiker. In den Räumen der Menschenrechtler vom Sacharow-Zentrum ist zunächst eine Trauerfeier geplant. Am Nachmittag soll der 55-jährige Nemzow dann auf dem Prominentenfriedhof Trojekurowo beigesetzt werden. Zu der Beerdigung werden auch der litauische Außenminister Linas Linkevicius sowie die FDP-Politiker Wolfgang Gerhardt und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erwartet.

Aufsehen erregte, dass der polnische Senatspräsident Bogdan Borusewicz kein Visum für das Begräbnis erhielt. Der ehemalige Bürgerrechtler kritisierte die Entscheidung und warf dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, das Land in Richtung Diktatur zu führen. „Das ist zweifellos ein autoritäres System, das auf eine Diktatur zugeht“, sagte er dem polnischen Fernsehsender TVN24. Nach Angaben einer Sprecherin der russischen Botschaft in Warschau steht Borusewicz auf der Liste der EU-Politiker, die wegen der gegen Russland verhängten Sanktionen nicht in das Land einreisen dürfen.

Nemzow, ein bedeutender Gegner Putins, war am späten Freitagabend mit vier Schüssen in den Rücken auf einer Brücke in Kremlnähe getötet worden. Er starb am Tatort. Der Schütze entkam unerkannt. Nemzows Begleiterin blieb unverletzt.

Mittlwerweile ist die 23-Jährige in die Ukraine zurückgekehrt. Kurz nach Mitternacht flog Anna Durizkaja am Dienstagmorgen nach Kiew, wo sie umgehend von einem Sicherheitsdienst fortgebracht wurde. Sie hatte sich seit Samstag in Russland unter Polizeischutz befunden und war ausführlich befragt worden.

Die Ukrainerin, die Nemzow zum Zeitpunkt des Attentats begleitet hatte, ist die bislang einzige Zeugin in dem Fall. In einem Interview des unabhängigen russischen Fernsehsenders Doschd sagte sie am Montag, sie habe Nemzows Angreifer nicht gesehen. „Ich drehte mich um und alles, was ich sah, war ein hellfarbenes Auto, als es weg fuhr“, erklärte Durizkaja. Sie habe Nemzow seit drei Jahren gekannt.

Ihr Anwalt Wadim Prochorow, der sie zurück in die Ukraine begleitete, sagte, seine Mandantin hätten die Fragen der Ermittler emotional ausgezehrt. „Sie hat eine vollständige und erschöpfende Schilderung ihrer letzten Stunden mit Boris abgegeben“, sagte er. Sollten weitere Ermittlungen angefordert werden, werde sie wie versprochen kooperieren. „Die Hauptsache ist, dass die Schuldigen verfolgt werden“, fügte Prochorow hinzu.


Oppositionelle vermuten die Schuldigen im Kreml

Der Mord an Nemzow hatte international für Entsetzen gesorgt. Die Bundesregierung fordert eine lückenlose Untersuchung. Putin sagte zu, alles für die Aufklärung des „zynischen Mordes“ zu tun. Zu einem Trauermarsch für den früheren Vizeregierungschef Nemzow waren am Sonntag Zehntausende Menschen gekommen.

Nach den Worten von US-Präsident Barack Obama hat die Tat die Menschenrechtslage in Russland weiter verschlechtert. „Die Tat spiegelt ein Klima innerhalb Russlands wider, in dem die Zivilgesellschaft, kritische Journalisten und Internet-Nutzer sich zunehmend bedroht und eingeschränkt fühlen“, sagte Obama der Nachrichtenagentur Reuters. „Es ist zunehmend so, dass die russische Öffentlichkeit sich Informationen nur durch staatlich kontrollierte Medien verschaffen kann“.

Was genau in Moskau geschehen sei, könne er derzeit nicht sagen, erklärte Obama. „Aber ich weiß, dass die Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Informationsfreiheit und grundlegende Bürgerrechte in Russland heute einen weit schlechteren Stand haben als noch vor fünf oder zehn Jahren.“ Obama hatte Nemzow 2009 bei einem Besuch in Moskau getroffen. Das gleiche Klima, in dem der Mord an dem Oppositionellen geschehen sei, ermögliche Russland auch sein aggressives Vorgehen gegen die Ukraine, so der US-Präsident.

Die russischen Behörden setzten Berichten zufolge den erfahrenen Ermittler Igor Krasnow auf den Mordfall an. Er soll eine zwölfköpfige Sonderkommission leiten. Krasnow hatte sich zuvor in Fällen mit nationalistischem Hintergrund profiliert. Beobachter gehen davon aus, dass die Behörden den Mord als Angriff des ultranationalistischen Milieus auf die prowestliche Opposition sehen. Oppositionelle vermuten die Schuldigen aber eher im Kreml. Kritiker befürchten, dass die Tat nie aufgeklärt wird – wie frühere Attentate auf Kremlgegner.

Der EU-Außenpolitiker Elmar Brok sieht weitere Oppositionelle „akut bedroht“. Namentlich nannte er der Zeitung „Die Welt“ Alexej Nawalny, Michail Kasjanow und Garri Kasparow. Der Nemzow-Mord zeige, dass diese mutigen Männer die nächsten Opfer sein könnten, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament.

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