Politologe über den G20-Gipfel "Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis"

Die G20-Staaten müssen sich wieder auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik konzentrieren, sagt Politologe Thorsten Benner. Wie sich das Format verändern muss und was von Donald Trump in Hamburg zu erwarten ist.

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Thorsten Benner ist Direktor des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin. Er schreibt über Perspektiven der nicht-westlichen Welt und was sie für Europa, den Westen und die liberale Demokratie bedeuten.

WirtschaftsWoche: Beim G20-Gipfel muss Angela Merkel gemeinsame Positionen mit Donald Trump, Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin ausloten. Angesichts der politischen Lage scheint das fast aussichtslos. Könnte man sich diesen Gipfel nicht sparen?

Thorsten Benner: Das wäre ein Fehler. In Hamburg kommen die Chefs der Staaten zusammen, die gemeinsam für 90 Prozent der globalen Wirtschaft stehen, für 80 Prozent des Welthandels und zwei Drittel der Weltbevölkerung. Die Staats-und Regierungschefs können informell aktuelle Krisen diskutieren, wodurch der Gipfel einen wichtigen Beitrag zur globalen Diplomatie leistet.

Und doch wird wohl kaum etwas bei dem Gipfel rumkommen.

Der G20-Prozess wird immer aufwändiger – das stimmt. Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis mehr zueinander. Zu allem Überfluss gibt es jetzt auch G20-Treffen der jeweiligen Fachminister, die auch alle vorbereitet werden müssen.

Also sollte man auf die Treffen der Fachminister einfach verzichten?

Zumindest dann, wenn sie keine klare Agenda und Ergebnisse haben. Und jenseits der G20-Regierungen gibt es auch einen immer stärker aufgeblähten Apparat des G20-Groupietums – ein B20 für Unternehmen oder ein T20 für Think Tanks.

Auf diese Sechs kommt es beim Treffen an
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die dienstälteste Regierungschefin in Europa. Für sie wird der G20-Gipfel ein Treffen mit schwierigen Gesprächspartnern. Quelle: dpa
Donald Trump ist in viel schlechterer Verfassung als sein Land. Er tut sich fünf Monate nach der Amtsübernahme innenpolitisch schwer - G20 wird für ihn ebenfalls ein schwieriges Parkett. Quelle: AP
Donald Trump wird beim Gipfel versuchen, „Make-America-Great“-Themen zu spielen. Quelle: dpa
Der russische Präsident Wladimir Putin reist vor allem nach Hamburg, um erstmals Donald Trump zu treffen. Quelle: dpa
Russlands starke Stellung im Syrien-Konflikt ist trotzdem ein Pfund, mit dem Wladimir Putin bei der G20 wuchern kann. Quelle: dpa
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hat mehr Macht an sich gerissen als seine Vorgänger und damit auch eine stärkere Position bei den G20. Quelle: REUTERS
Chinas Staatschef Xi Jinping ist ein Vorkämpfer gegen den Protektionismus. Er will eine größere Rolle auf der Weltbühne spielen. Quelle: REUTERS

Klingt doch ganz charmant.

In der Praxis hängt die Qualität allerdings sehr vom Gusto und den Ressourcen der jeweiligen Präsidentschaft ab. Oft ist das nur ein großer Zirkus, der vereinzelt gute Ideen, aber auch viel heiße Luft produziert. Zumal die Rückkopplung an den G20-Kernprozess fehlt. Viele dieser zusätzlichen Treffen können wir uns sparen.

Vor zehn Jahren hatten die G20 ihren Durchbruch. Damals galt es, die internationale Finanzkrise zu bekämpfen. Was ist schief gelaufen seitdem?

Tatsächlich hatten die G20 ihren besten Moment im Rahmen der Finanzkrise im Jahr 2008. Da gab es fokussierte Diskussionen, weil alle den nahenden Abgrund sahen. Doch in wirtschafts- und finanzpolitischen Normalzeiten ist die Gruppierung weniger konstruktiv, weil der Einigungsdruck fehlt.

Dabei wäre gerade in Sachen Finanzmarktregulierung noch viel zu tun.

Nur haben Trump und die Republikaner gerade ein massives Deregulierungspaket in den USA verabschiedet. Das macht die Aussichten auf weitere globale Regulierungen noch einmal schlechter.

In einem Telefonat hat der US-Präsident der Kanzlerin einen erfolgreichen G20-Gipfel versprochen. Wird das klappen?

Es wird gemeinsame Erklärungen zum internationalen Terrorismus geben, die das Papier nicht wert sind. Die G20-Staaten haben völlig unterschiedliche Vorstellungen, wie Terrorismus bekämpft werden soll. Vielleicht ist das der vordergründige Erfolg im Sinne von Trump.

„Die G20 ist keine Weltregierung“

Dürfte Trumps „America First“ nicht eine ziemliche Belastung für den Gipfel werden?

Mit Blick auf fairen und freien Handel wäre ein Minimalkonsens schon ein Erfolg. Trumps „America First“-Rhetorik setzt starke protektionistische Akzente – ein totaler Widerspruch zu den G20-Positionen der letzten Jahre. Ein weiterer Streitpunkt dürfte die Klimapolitik werden. Hier wird Trump blockieren.

Das verspricht hitzige Auseinandersetzungen zur Abschlusserklärung.

Die Abschlusskommuniqués sind unverbindlich, es gibt keine Umsetzungskontrolle. Viel ist von Task Forces die Rede, doch danach passiert kaum etwas. Denn die G20 ist keine Weltregierung, die verbindliche Verabredungen für die ganze Welt trifft.  Jedes Land, das die jährlich wechselnde Präsidentschaft übernimmt, setzt jeweils einen eigenen Schwerpunkt. Die entsprechenden Themen werden leider selten weitergeführt nach dem Ende einer Präsidentschaft.

Was könnte man verbessern?

Die Regierungen sollten sich verpflichten, einen Bericht vorlegen, in dem überprüft wird, ob und wie die G20-Ziele umgesetzt werden. Experten und Zivilgesellschaft können diese Berichte dann kritisch analysieren. Ansonsten gilt: Weniger ist mehr. Die G20 sollten sich auf wenige Themen beschränken und die dann in der Tiefe diskutieren – allen voran wirtschafts-und finanzpolitische Fragen.

Nur strahlt die Wirtschafts- und Finanzpolitik in viele andere Bereiche aus.

Selbstverständlich. Und natürlich kann man diese Themen nicht diskutieren, ohne sich mit Fragen der Nachhaltigkeit und anderen globalen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Aber eine ausufernde Agenda, die dann eh nicht umgesetzt wird, bringt nichts. Aber die inhaltliche Frage ist nur das eine, die Struktur das andere.

Sie meinen, wer daran teilnimmt? 

Ja, gegenwärtig haben die G20 eine starre Mitgliedschaft. Im Zeitalter von Machtverschiebungen sollte die Mitgliedschaft regelmäßig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Dafür sind für mich drei Kriterien wichtig: Wirtschaftliche Kraft, Bevölkerung und der Beitrag eines Landes zu globalen Aufgaben – beispielsweise Klimaschutz und humanitäre Hilfe.

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