Putin und Syrien Warum der Kreml Soldaten aus Syrien abzieht

Präsident Putin hat einen Teilabzug aus Syrien angekündigt – und nährt damit die Hoffnung auf eine Entspannung im Bürgerkriegsland. Doch hinter dem Schritt des Kremls steckt ein Kalkül. Eine Einordnung.

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Soldaten begrüßen eines russischen Kampfjet-Piloten bei seiner Rückkehr nach Russland. Quelle: Reuters

Düsseldorf Aufatmen in Genf: Die ersten russischen Kampfjets haben Syrien verlassen. Der von Präsident Wladimir Putin am Montag angeordnete Teilrückzug russischer Truppen aus dem Konfliktgebiet hat damit begonnen. Nun ist der Weg frei für weitere Friedensgespräche zwischen der syrischen Regierung unter Präsident Baschar al-Assad und den verschiedenen Oppositionsgruppen, die seit mehr als fünf Jahren für eine Ende des Assad-Regimes in ihrem Land kämpfen.

Eine friedliche Lösung liegt allerdings, trotz des russischen Teilrückzugs, noch immer in weiter Ferne. Denn der angekündigte Abzug von Truppenteilen aus dem Luftstützpunkt in Hamaimim, einer Militärbasis in der westsyrischen Provinz Latakia, war für die Rebellen lediglich ein entscheidendes Kriterium, um die in der Schweiz derzeit noch unter Uno-Aufsicht indirekt geführten Verhandlungen überhaupt wieder aufzunehmen.

Nichtsdestotrotz scheint der Uno-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, vorsichtig optimistisch. Er hoffe, dass die Ankündigung einen „positiven Einfluss“ auf die Verhandlungen in Genf habe, erklärte dessen Sprecher Ahmad Fawzi gegenüber der Nachrichtenagentur afp. De Mistura selbst sprach von einem „wichtigen Schritt“, der Hoffnung auf erste Erfolge der Gespräche wecke.

Syrische Oppositionsvertreter reagierten dagegen skeptisch. „Niemand weiß, was Putin im Kopf hat“, sagte etwa Oppositionssprecher Salem al-Meslet mit Blick auf den russischen Präsidenten. „Wir müssen abwarten, wie umfassend der Abzug und was der zeitliche Rahmen ist“, erklärte auch Monzer Machus, Sprecher des Hohen Verhandlungskomitees (HNC) der Opposition.

Tatsächlich denkt Moskau nicht daran, den „Kampf gegen den Terrorismus“ in Syrien aufzugeben. Nur einen Tag nach der Ankündigung Putins räumte der Leiter des russischen Präsidialamts, Sergej Iwanow, sogar ein, Russland wolle sein Engagement in der Region noch weiter verstärken. „Aber dafür benötigen wir nicht solch ein Truppenkontingent, wie wir es bisher haben.“ Doch warum so plötzlich?

Fragt man die russische Regierung selbst, ist die Antwort eindeutig. Die Piloten hätten ihre Aufgabe erfüllt, heißt es lapidar in einer Mitteilung des Kreml. Die erzielte Waffenruhe habe demnach zu einer deutlichen Verringerung des Blutvergießens in Syrien geführt. „Es ist gelungen, die Voraussetzungen für den Beginn eines Friedensprozesses unter Leitung der Uno zu schaffen.“


Moskau hat seine Ziele erreicht

Eine dieser „Voraussetzungen“ war offenbar: die gesicherte Vormachtstellung der syrischen Armee. Denn auch, wenn russische Kampfjets seit Beginn ihres Einsatzes im November zwar durchaus auch Stellungen der Terrormiliz Islamischer Staat bombardiert haben – immer wieder warfen Beobachter Moskau vor, auch die Stützpunkte gemäßigter Rebellen zu attackieren und damit die Machtposition der Assad-Regierung zu stützen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Kreml den syrischen Machthaber an der Macht lassen möchte.

Nach den Luftschlägen scheint Russland zumindest diesem Ziel deutlich näher gekommen. Durch die Hilfe des russischen Militärs konnten die Assad-Truppen zuletzt deutliche Geländegewinne im Norden des Bürgerkriegslands verbuchen – und zwar vor allem gegen die oppositionelle Freie Syrische Armee, die mangels Ausrüstung einen klassischen Guerilla-Krieg gegen die Regierungstruppen führt. Inzwischen kontrolliert die Regierung in Damaskus wieder einen Großteil des Landes, wohl vor allem dank der Hilfe Putins.

Auch ein anderes Ziel hat Moskau erreicht: nämlich den Westen in ein Gespräch „auf Augenhöhe“ zu zwingen. Galt Russland seit der Annektierung der Krim und den anhaltenden Kämpfen in der Ostukraine als globalpolitisches Enfant terrible, zwang die Krise in Syrien die Westmächte, allen voran die USA, in einen Dialog mit Moskau. Und das trotz höchst unterschiedlicher Vorstellungen – denn anders als für Russland ist für die USA ein Machterhalt Assads nur schwer vorstellbar.

Dennoch arbeiteten die beiden Großmächte nach anfänglichen Startschwierigkeiten in dem Konflikt zuletzt eng zusammen. Noch im November trainierten russische und US-amerikanische Kampfpiloten zusammen für gemeinsame Militäreinsätze in Syrien. Vergessen ist, dass russische Soldatene im Februar 2014 ukrainische Flughäfen und Regierungsgebäude besetzten. Keine Rolle spielt offenbar auch nicht mehr der Ausschluss Russlands aus der „Gruppe der Acht“, die seit dem März 2014 nur noch als G7 firmiert. Für Moskau war der Einsatz in Syrien darum bisher ein voller Erfolg.


Druck auf die syrische Opposition

Völlig aufgeben will der Kreml seine Position jedoch nicht. Von den derzeit 3000 bis 6000 russischen Soldaten, die US-Behörden in Syrien vermuten, sollen etwa 1000 weiter in Syrien stationiert bleiben. Sie sollen die zwei verbleibenden russischen Stützpunkte schützen – und Moskau wohl eine Tür zur Rückkehr offenhalten, sollten die Friedensgespräche zwischen dem Assad-Regime und den Rebellen in Genf scheitern. Ob russische Spezialeinheiten oder Artilleriegeschütze in Syrien verbleiben, bleibt unklar.

Der stellvertretende russische Verteidigungsminister Nikolai Pankow sagte am Dienstag gegenüber der AP, russische Kampfflugzeuge würden weiterhin die Terrormiliz Islamischer Staat, den Al-Kaida-Ableger Nusra Front und andere von den Uno als terroristisch eingestufte Gruppen in Syrien angreifen – Russland bleibt also grundsätzlich kampfbereit.

Fest steht: Die anhaltende Präsenz russischer Truppen bei gleichzeitigem Teilrückzug setzt die syrischen Oppositionsgruppen unter Druck – sowohl was die Gesprächsbereitschaft mit Assad als auch die Verhandlungen selbst betrifft. Denn bei einer Verweigerung der Verhandlungen könnte die Uno ihnen Kompromisslosigkeit unterstellen und sie als Terroristen einstufen. Sprechen sie mit Assad, müssen sie womöglich weitere Konzessionen machen – angesichts des Hintertürchens, das sich Moskau mit seiner nur verringerten Militärpräsenz offengehalten hat.

Gekostet hat der Erfolg den Kreml bisher allerdings rund 2,5 Millionen US-Dollar pro Tag – eine stolze Summe für ein Land, das in Zeiten sinkender Rohstoffpreise immer noch den Großteil seines Haushalts durch Öl- und Gasverkäufe deckt. Vielleicht ist auch hierin der Grund für den plötzlichen Richtungswechsel zu suchen: Man soll bekanntlich aufhören, wenn es gut läuft – bevor es allzu teuer wird.

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