Der europapolitische Zweck des Referendum ist klar: „Orbán wird mit den Rückenwind der Unterstützung durch das Referendum darauf drängen, die europäischen Verträge mit dem Ziel zu verändern, dass für Fragen der Migration die Länder und nicht die EU verantwortlich sein soll“, sagt ein politischer Analyst in Budapest. Im vergangenen Jahr hatte die EU die Verteilung von rund 160.000 Flüchtlingen in Griechenland und Italien beschlossen.
Ungarn lehnt die Aufnahme von Flüchtlingen ab. „Wir brauchen keine Menschen aus sicheren Ländern“, sagte Kovács in Anspielung auf die Flüchtlingssituation in Serbien, Mazedonien, Griechenland und den Rückstau von Tausenden überwiegend islamischer Flüchtlinge auf der geschlossenen Balkan-Route.
Orbán, der sich vom CSU-Ehrenvorsitzenden und früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gerne Ratschläge holt, stößt mit seinem Referendum im eigenen Land auch auf scharfe Kritik. „Migranten werden von der Regierung als Bedrohung der Sicherheit dargestellt. Die Botschaften der Plakate sind manipulativ“, sagt Marta Pardavi, Co-Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Helsinki-Komitee in Budapest dem Handelsblatt. „Die Regierung Orbán hat die Bürger von Furcht vor Fremden zum Hass gegen Fremde verführt“, sagt die Juristin.
Ungarns Schwächen
Einzelne Sektoren wie Banken oder Energie haben in Ungarn mit extremen steuerlichen Belastungen zu kämpfen.
Vor allem in technischen Berufen herrscht in Ungarn Fachkräftemangel.
Trotz des günstigen Investitionsumfelds fiel die Investitionsquote Ungarns auf nur noch 17 Prozent.
Durch das schwindende Vertrauen Ungarns im Ausland sinkt der FDI-Zufluss (Foreign Direct Investment, ausländische Direktinvestitionen)
Durch die Zuspitzung der Kreditklemme im Land drohen Insolvenzen und Zahlungsausfälle.
Der Ausgang des Referendums am Sonntag im Sinne Orbáns gilt aber als sicher, wenn nur das notwendige Quorum erreicht wird. Selbst Orbán-Kritiker räumen ein, dass rund zwei Drittel der Bürger die harte Grenzpolitik des Landes unterstützen. Ungarn gibt nach Regierungsangaben rund eine halbe Milliarde Euro für die verstärkte Sicherung seiner Grenzen aus.
Das Referendum am Sonntag hat keinen rechtsverbindlichen Charakter. Sollte Ungarn seinen Verpflichtungen aber nicht nachkommen, drohte der für Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos indirekt bereits mit einem Vertragsverletzungsverfahren durch Brüssel. Er kann dabei auf die Unterstützung der EU-Länder Dänemark, Schweden und Finnland setzen, die kürzlich die Rücknahme von Flüchtlingen durch Ungarn verlangt hatten. Der CDU-Politiker Michael Stübgen, Vorsitzender der deutsch-ungarischen Parlamentariergruppe im Bundestag, hält es hingegen für falsch, Ungarn und andere osteuropäischen Länder zur Aufnahme von Flüchtlingen zu zwingen.
Die umstrittenen Verfassungsänderungen
Die Höchstrichter dürfen Verfassungsänderungen und -zusätze künftig nur mehr noch verfahrensrechtlich, nicht mehr inhaltlich prüfen. Darüber hinaus ist es ihnen verwehrt, sich auf die eigene Spruchpraxis aus der Zeit vor Inkrafttreten der derzeitigen Verfassung im Januar 2012 zu berufen.
Die vom Ministerpräsidenten ernannte Leiterin des Nationalen Justizamtes bekommt eine Vollmacht, um in bestimmten Fällen die Gerichte zuzuweisen.
Es soll die Möglichkeit geben, dass Wahlwerbung in privaten Medien verboten werden kann.
Wenn Obdachlose auf der Straße übernachten, können sie dafür ins Gefängnis kommen.
Die Regierungsmehrheit im Parlament erhält die Möglichkeit willkürlich über die Zuerkennung des Kirchenstatus zu entscheiden.
Der bisher von der Verfassung gewährte Schutz der Familie soll auf Mann und Frau, die miteinander verheiratet sind und Kinder großziehen, eingeengt werden.
Die Finanzautonomie der Universitäten wird durch von der Regierung eingesetzte Wirtschaftsdirektoren („Kanzler“) eingeengt.
Es gibt per Gesetz die Möglichkeit, Universitätsabgänger, die ohne Studiengebühren studiert haben, auf das Bleiben in Ungarn zu verpflichten.
Trotz des Referendums will Orbán jedoch an einer Mitgliedschaft Ungarns in der EU unbedingt festhalten. Daran lässt der Ministerpräsident keinen Zweifel. „Wir sind nicht beigetreten, um auszutreten“, sagte der ungarische Premier zuletzt. „Wir glauben an die EU.“ Ungarn gehört der EU seit 2004 an und hat seitdem einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Das Land profitiert stark von der deutschen Industrie, die mit Konzernen wie Audi, Daimler, Siemens und Bosch zu den größten Arbeitgebern in Ungarn zählen.
Statt die Flüchtlinge innerhalb der EU zu verteidigen, will Orbán die Migranten nach Nordafrika in großen Lagern schaffen. Der Ministerpräsident schlug die Einrichtung eines Flüchtlingslagers im Bürgerkriegsland Libyen für Millionen von Flüchtlingen vor. „Uns muss ein Küstenabschnitt zur Verfügung gestellt werden“, sagte der 53-Jährige. „Migration ist kein Menschenrecht.“ Orban fordert dafür ein Ende des Waffenembargos für die Regierung in der libyschen Hauptstadt Tripolis und einen verstärkten Kampf gegen den IS, um das nordafrikanische Land zu befrieden und somit die Voraussetzung für derartige Flüchtlingscamps zu schaffen.