Regierungskrise in Polen Wechsel an der Weichsel – aber keine neue Politik

Premierministerin Beata Szydlo tritt ab, ihr junger Finanz- und Wirtschaftsminister Mateusz Morawiecki übernimmt. Der Wechsel ist erst der Vorbote weiterer Konfrontationen in Warschau. Eine Analyse.

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Polen hat einen neuen Regierungschef. Quelle: dpa

„Bauernopfer“ ist wohl das richtige Wort für den Abgang von Polens Regierungschefin Beata Szydlo. Trotz klar überstandenen Misstrauensvotums der verbliebenen liberalen Opposition (239 zu 168 Abgeordnete) dankte die Premierministerin am Donnerstag ab. Nun übernimmt der bisherige Finanz- und Wirtschaftsminister Mateusz Morawiecki. Gemunkelt wurde über Szydlos Abgang in Warschau schon lange. Allerdings war erwartet worden, der kratzbürstige Chef der national-konservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, würde nun selbst das Ruder übernehmen.

Doch am Ende wurde dies verworfen, denn Kaczynski, der im Parlament schon Oppositionspolitiker als „Kanaillen“ und „Verräter“ beschimpfte, kniff am Ende wegen der zu erwartenden negativen Reaktionen im Ausland. Die waren zuvor Szydlo zum Verhängnis geworden. PiS-Parteisprecherin Beata Mazurek hatte die Demission der Premierministerin so begründet: „Man sieht ja, was im Ausland passiert, wie wir dort gesehen werden. Wofür wir attackiert werden. Das betrifft nicht nur das, was die Regierung macht, sondern auch gesellschaftliche Organisationen, nehmen Sie nur die Ereignisse vom 11. November.“

Am 11. November waren Rechtsextremisten ungehindert beim sogenannten Unabhängigkeitsmarsch mit rassistischen Losungen durch Warschau gezogen. Das Kabinett Szydlo rang sich nicht einmal zu einer eindeutigen Verurteilung durch. Nun tritt sie zurück. Denn, so die PiS-Sprecherin, wegen der aktuellen Lage brauche es „neues Personal für neue Herausforderungen“.

Der 49-jährige bisherige Vizepremier und Finanz- und Wirtschaftsminister Morawiecki gilt laut den Analysten der Investmentbank Goldman Sachs als der „marktfreundlichste Minister“ des größten osteuropäischen EU-Mitglieds. Als früherer Chef der privaten Bank Zachodny WBK und in Deutschland ausgebildeter Finanzexperte spricht der smarte Politiker die Sprache des Westens. Der Wechsel an der Weichsel erfolgt eine Woche vor dem EU-Gipfel, wo sich Morawiecki nun bei den Finanz- und Wirtschaftsreformen Europas in Polens Sinne einbringen soll.

Allerdings ist Polens Image im Keller – auch wegen der am Freitag im polnischen Sejm erneut heftig debattierten Justizreform. Der Europarat kritisierte am Freitag die gerade im Sejm durchgepeitschten Reformen als Angriff auf die Demokratie. Der wiedergewählte SPD-Chef Martin Schulz hatte am Donnerstag mit Blick auf Polen und Ungarn kritisiert: Wer in der EU Schuldenvorgaben breche, werde aus Brüssel mit brachialen Strafen gemaßregelt, werde aber systematisch Demokratie und Gewaltenteilung abgebaut, sei die EU-Kommission machtlos.

Goldman Sachs sieht Morawieckis Ernennung als „positives Signal“, erwartet aber „keine großen politischen Kursänderungen“. In der Tat ist Morawiecki innenpolitisch so knallhart wie die ganze PiS: „Wir stellen nicht die Demokratie infrage, sondern verschaffen Menschen bessere Zugänge zu demokratischen Instituten“, sagte Morawiecki dem Handelsblatt auf der diesjährigen Hannover-Messe und wies damit die Vorwürfe des Demokratie-Abbaus in Polen zurück. Im Gegensatz zu massiver Kritik auch des deutschen Bundesverfassungsgerichts-Präsidenten am Zerschlagen der unabhängigen Justiz sowie Kritik von Journalistenverbänden an der Gängelung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, meinte Morawiecki: „Unsere Reformen antidemokratisch zu nennen resultiert doch aus Missverständnissen, um es mal vorsichtig zu formulieren.“ Die „Justiz wird jetzt reformiert und soll so effizienter werden, der Zugang zu freien Medien ist schon besser als vorher“.

Also: Neuer Mann an der Spitze, aber keine neue Politik, wie die Polen-Analysten der US-Investmentbank feststellen.

In der Tat aber gibt es einen großen Widerspruch: Im Westen wird Warschau wegen der gezielten Angriffe auf die Demokratie stark kritisiert. Ein wichtiger EU-Kommissar nannte Kaczynskis Politik wegen des zielgerichteten Zugrunderichtens der Gewaltenteilung inmitten Europas „gefährlicher als die Putins“. Aber in Polen selbst ist die PiS-Regierung beliebt und führt in Meinungsumfragen klar. Das hat handfeste Gründe, die auch mit dem Namen Morawieckis verbunden sind: Er hat es als Finanz- und Wirtschaftsminister geschafft, trotz hoher neuer Sozialausgaben Polens Staatskassen sauber zu halten. „Er hat erstens die Staatsausgaben nicht ins Uferlose wachsen lassen. Und er hat zweitens Steuerschlupflöcher gestopft. Beides hat dazu geführt, dass wir in Polen ein relativ niedriges Haushaltsdefizit haben“, lobt sogar der liberale Ex-Präsident der polnischen Nationalbank, Marek Belka, Warschaus künftigen Regierungschef.

Zudem wird die polnische Wirtschaft in diesem Jahr um deutlich über vier Prozent wachsen, die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit langem nicht mehr. Und die PiS-Regierung, die gerade die Justiz unterpflügt und den Schulen ein nationalistisches Geschichtsbild überstülpt, schuf sich große Unterstützung durch die massive Erhöhung von Sozialleistungen, unter anderem durch ein neues Kindergeld. Auf dieser Welle der Zustimmung ließ das national-konservative Kabinett Massenproteste auf den Straßen polnischer Großstädte oder Hungerstreiks der notleidenden polnischen Ärzte bisher einfach abtropfen. Und baute seine Macht über Medien, Wirtschaft und Justiz systematisch immer weiter aus.

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