In der russischen Autokratie fällt es den Mächtigen selten schwer, sich unbequemer Gegner zu entledigen. Die Korruption blüht seit jeder so sehr, dass kaum ein Geschäftsmann oder Politiker die Weste ganz rein halten kann. Material darüber („Kompromat“) sammeln die Staatsanwälte und Geheimdienste – bis es mal einer braucht. Und sollte dies zum Sturz eines Widersachers nicht genügen, lassen sich Gerichte in Russland auch kaufen oder politisch unter Druck setzen.
Doch der Sturz von Alexej Uljukajew ist ein Paukenschlag: Der 60-jährige Finanzfachmann ist der erste Minister seit 1991, der während seiner Amtszeit verhaftet wurde. Nach Angaben von Putins Sprecher ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn, da sich für eine Bewertung bei einer Übernahme in der Ölindustrie habe schmieren lassen. Das kann alles sein, bewiesen ist es nicht. Und vielleicht wird es auch nie bewiesen werden.
Jetzt schießen natürlich Spekulationen ins Kraut. Uljukajew gilt als einer der wackeren liberalen, die im politischen Führungszirkel unter Kremlchef Putin gegen Protektionismus und für eine moderne Geldpolitik stehen. Im Kabinett von Premierminister Dmitrij Medwedjew diente er seit Juni 2013 als Wirtschaftsminister, zuvor war er stellvertretender Chef der russischen Notenbank.
So einer eckt an. Zum Beispiel mit eher dem Protektionismus zugeneigten Ministern wie der für Handel und Industrie zuständige Denis Manturow, der die Importsubstitution in Russland vorantreibt („buy Russian“). Aber auch mit Putin selbst, dem er widersprach, als er ausländische Spekulanten für die Rubel-Entwertung verantwortlich machte. Uljukajew führt die strukturelle Schwäche der russischen Ökonomie auf verschleppte Reformen und ein schlechtes Investitionsklima zurück – und anders als viele Politiker sagt er das auch.
Wladimir Putin ist indes keiner, der sein Spitzenpersonal allein wegen Widerspruchs feuern lässt. Ex-Finanzminister Alexej Kudrin, ein anderer Liberaler, widerspricht in Ton und Inhalt viel schärfer. Und wenn einer im Sinne der Balance zwischen Konservativen und Liberalen gehen muss, dann fallen die Herrschaften normalerweise so weich wie Sergej Iwanow, der als Chef der mächtigen Präsidialverwaltung zum Sonderbeauftragten für Naturschutz und Transport herabgestuft wurde.
In den Knast kam unter Putin dagegen nur, wer aus seiner Sicht wirklich Stunk macht. So wie Ölbaron Michail Chodorkowski, der Anteile an die USA verkaufen wollte und die Anti-Putin-Opposition finanzierte. Dem trögen Uljukajew ist das kaum zuzutrauen. Wahrscheinlich ist es, dass sein brachialer Sturz als Sportunfall im Zuge der Klan- und Machtkämpfe in Putins Umfeld zu werten ist. Vielleicht kam irgendwem mit guten Drähten zu den Diensten einfach zu viel „Kompromat“ auf einmal in die Hände.