Russland-Sanktionen „Sie können als EU-Bürger letztlich kaum noch Geschäfte in Russland machen“

Demonstranten in Berlin gegen Russlands Einmarsch in die Ukraine Quelle: imago images

Bärbel Sachs ist Partnerin der Kanzlei Noerr und zählt zu den führenden Experten für Außenwirtschaftsrecht in Deutschland. Sie erklärt, wie absurd die Russland-Sanktionen teilweise sind und warum die Regeln auch Unternehmen treffen, die mit Russland gar nichts zu tun haben.

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WirtschaftsWoche: Frau Sachs, Sie sind Expertin für Außenwirtschaftsrecht. Bis die EU Sanktionen gegen Russland verhängt hat, war das wahrscheinlich ein ziemlich langweiliges Rechtsgebiet, oder?
Bärbel Sachs: Spannend fand ich es schon immer. Aber für die Unternehmen war es früher nicht so relevant. Das hat sich sukzessive ab 2010 mit den EU-Iran-Sanktionen geändert. 2014 nahm das Thema weiter Fahrt auf, als die ersten Sanktionen gegen Russland verhängt wurden. 2018 haben die USA dann sowohl die Iran-Sanktionen als auch die Russland-Sanktionen verschärft. Seit 2022 kommen Russland-Sanktionen im Zwei-Monats-Rhythmus.

Was sind denn die klassischen Fragen, mit denen Manager und Unternehmer jetzt auf Sie zukommen?
Wir beraten sehr häufig Konzerne, die ihr Russland-Geschäft verkaufen oder abwickeln wollen.

Die Frage, ob und wie Geschäfte in Russland weitergeführt werden können, spielt also kaum eine Rolle?
Viele unserer Mandanten ziehen sich zurück. Zum einen aus Reputationsgründen. Aber auch, weil es kaum noch möglich ist, in Russland Geschäfte zu machen, ohne gegen die Sanktionen zu verstoßen. Aber ja, wir beraten auch dazu, wie das verbleibende Geschäft noch sanktionskonform durchgeführt werden kann.

Bärbel Sachs zählt zu den führenden Experten für Außenwirtschaftsrecht in Deutschland. Quelle: PR

Es ist ja nicht grundsätzlich verboten, über eine Tochtergesellschaft weiter Geschäfte in Russland zu machen.
Grundsätzlich verboten ist es nicht. Aber sehr viele einzelne Transaktionen im Anwendungsbereich der Sanktionen sind mittlerweile verboten. Wir reden zwar noch nicht über ein Total-Embargo, sind aber schon sehr nah dran. In Summe führt das dazu, dass es – im Anwendungsbereich der Sanktionen – kaum noch möglich ist, legal Geschäfte in Russland zu betreiben.

Können Sie ein Beispiel für Einzelmaßnahmen nennen, die es den Unternehmen in Russland besonders schwer machen?
Zum Beispiel ist die Zusammenarbeit mit gelisteten russischen Banken verboten. Hat ein deutsches Unternehmen eine Tochter in Russland, muss diese ihren Mitarbeitern aber Gehälter überweisen. Hier sind gelistete Banken involviert. Wendet man das Sanktionsrecht an, lassen sich Gehälterzahlungen ohne Sanktionsverstoß nur schwer leisten. Für produzierende Unternehmen kommen weitere Probleme hinzu. Sie dürfen zum Beispiel viele Komponenten nicht mehr importieren.

Solange sich das russische Tochterunternehmen aber allein in Russland bewegt, also nur dort einkauft und verkauft, ist das aber kein Problem, oder?
So einfach ist das nicht. Nehmen wir an, ein deutscher Konzern hat eine Tochter in Russland. Setzt der deutsche Konzern bei der russischen Tochter nun einen deutschen oder französischen Geschäftsführer ein, dann muss dieser die Russland-Sanktionen einhalten, auch wenn er sich in Russland aufhält und nur Geschäfte innerhalb Russlands macht. Lässt der Geschäftsführer nun Gehälter über eine gelistete russische Bank auszahlen, macht er sich strafbar. Vielleicht braucht die Gesellschaft in Russland auch noch eine Finanzierung, die nur über eine gelistete russische Bank zustande kommt. Auch dann macht der Geschäftsführer sich strafbar. Sie können als EU-Bürger letztlich kaum noch Geschäfte in Russland machen, ohne gegen die Sanktionen zu verstoßen.

Dann setzt der Konzern eben einen russischen Geschäftsführer ein.
Das allein reicht auch nicht unbedingt. In der Regel wird der westliche Konzern in irgendeiner Form die Geschäfte seiner Tochter in Russland kontrollieren wollen. Ein typisches Mittel ist zum Beispiel, dass Geschäfte, die ein bestimmtes Volumen überschreiten, von einem Vertreter der Muttergesellschaft genehmigt werden müssen. Wenn aber der Vertreter der Muttergesellschaft ein Geschäft in Russland genehmigt, das gegen die EU-Sanktionen verstößt, macht er sich strafbar.

Also gibt es für Manager und Unternehmer in Europa kaum noch Möglichkeiten, legal an Tochterunternehmen oder Geschäften in Russland festzuhalten?
Es ginge nur, wenn die europäische Mutter die Kontrolle über ihre russische Beteiligung komplett abgibt, die Gesellschaft also in die Hände eines russischen Geschäftsführers gibt und die Tochter sich weitestgehend selbst überlässt. Aber welcher Eigentümer will das schon?

Deshalb reden Sie mit Ihren Mandanten meist nur noch darüber, wie abgewickelt oder verkauft werden kann? 
Das ist jedenfalls sehr häufig eines der Anliegen. Es geht oft um den Verkauf, die Form der Abwicklung oder die Frage, ob man das Geschäft ruhen lassen kann und wie man all dies in sanktionskonformer Weise umsetzen kann. Daneben beraten wir zum Beispiel dazu, wie man verbleibendes Russland-Geschäft noch im Einklang mit den Sanktionen umsetzen kann, zur Aufklärung von Verstößen in der Vergangenheit, zu Streitfällen zum Beispiel mit der russischen Gegenseite oder zur Abwicklung russischer Assets in Deutschland, etwa für westliche Insolvenzverwalter und Liquidatoren.

Die heute geltenden Sanktionen wurden ja nicht auf einmal erlassen. Es wurde immer wieder nachgeschärft. Wir reden mittlerweile über 13 Sanktionspakete. Steigen Ihre Mandanten da noch durch?
Die für Sanktionen zuständigen Mitarbeiter in den Unternehmen sind in der Regel gut informiert und verfügen über ein profundes Wissen. Nur sind einige Regeln schlecht gemacht, teilweise sogar widersprüchlich. Das heißt, selbst ein Manager, der die Regeln kennt, weiß noch längst nicht, was er tun darf und was nicht. Und: Den Mandanten wird hier extrem viel abverlangt. Zum Beispiel müssen Kreditoren und Debitoren mit den sich ständig ändernden Sanktionslisten abgeglichen werden und nach Russland exportierende Unternehmen müssen Exportgüter ständig mit den umfassenden Sanktionslisten abgleichen.

Was ist zum Beispiel widersprüchlich?
Zum Beispiel darf ein deutscher Konzern seiner russischen Tochter IT-Dienstleistungen zukommen lassen, er darf die IT-Dienstleistung aber nicht finanzieren. Er kann also selbst ein SAP-Programm zur Verfügung stellen. Wenn er das aber nicht möchte und die russische Gesellschaft das Programm zukaufen will, darf die deutsche Mutter das nicht finanzieren, obwohl es auf dasselbe Ergebnis hinausläuft.

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von Angelika Melcher

Wie kommt sowas zustande?
Die Sanktionspakete werden sehr schnell geschnürt und die Mitgliedsstaaten haben regelmäßig nur wenig Zeit, Stellung zu nehmen. Außerdem wird kaum Spielraum für Ausnahmegenehmigungen gelassen. Hierin spiegelt sich das Misstrauen der EU-Mitgliedstaaten untereinander. Kein Land soll die Möglichkeit bekommen, die Sanktionen eng auszulegen oder sie durch Ausnahmegenehmigungen zu verwässern. Das Ergebnis sind starre Regeln, die dann in der Praxis teils absurde Folgen haben.

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