Sicherheit in Frankreich Der „Wutmarsch“ der Polizei

In Frankreich protestieren Polizeibeamte gegen schlechte Arbeitsbedingungen und Vorgesetzte. Auslöser dafür ist ein brutaler Brandanschlag auf vier Polizisten – der eine unkontrollierte Rebellion zur Folge haben könnte.

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Weil sie unzufrieden sind mit dem Verhalten ihrer Vorgesetzten sowie den eigenen Bedingungen zur Stabilisierung der Sicherheit Frankreichs, veranstalten viele Polizisten derzeit nächtliche Proteste. Quelle: AFP

Paris Die französischen Ordnungshüter werden rebellisch: Seit vier Nächten versammeln sich Polizisten in mehreren französischen Städten zu spontanen Demonstrationen. In Paris fuhren sie mit Streifenwagen und Motorrädern unter Blaulicht und Sirenen zu den Champs-Élysées und zur Place de la République und blockierten den Verkehr.

Auch in Marseille, Nizza, Nancy und andernorts gehen Ordnungshüter meist in zivil, teils auch in Uniform auf die Straße. Die Proteste, an denen viele junge Polizistinnen und Polizisten teilnehmen, wirken wie ein unkontrollierter Wutausbruch, den nichts mehr bremsen kann.

Die nächtlichen Fahrten und Märsche sind formal gesehen illegal, die Gewerkschaften haben alle Mühe, die Polizisten wieder einzufangen. Denn seit sie an die Öffentlichkeit gehen, schöpfen die Beamten Mut: „Wir haben in drei Nächten mehr erreicht als die Gewerkschaften in vielen Monaten“, sagte ein Teilnehmer am Donnerstag.

Akuter Auslöser der ungewöhnlichen Proteste ist ein brutaler Brandanschlag auf vier Polizisten am 8. Oktober. Einer von ihnen schwebt noch immer in Lebensgefahr. Am helllichten Tag hatte rund ein Dutzend Vermummter Brandsätze auf zwei Polizeiwagen geworfen und die Beamten am Aussteigen gehindert: Sie sollten bei lebendigem Leibe verbrennen.

Die Polizisten sollten eine Überwachungskamera an einer Kreuzung schützen, die in unmittelbarer Nähe zu einem Viertel liegt, das als „No-go area“ gilt und von Drogendealern beherrscht wird. Die Kamera, die Raubüberfälle verhindern sollte, war immer wieder zerstört worden. Die Sicherheitskräfte haben mangels Personal den Versuch aufgegeben, dort die Ordnung aufrechtzuerhalten. Örtliche Polizisten hatten vergeblich eine massivere Präsenz von Sicherheitskräften dort gefordert.

Polizei und Innenministerium hatten zunächst mit Härte auf die Proteste der Beamten reagiert und allen Teilnehmern mit Sanktionen gedroht – mit der Folge, dass der Polizeichef bei seinem nächsten öffentlichen Auftritt ausgebuht und dem Ruf „Rücktritt, Rücktritt“ empfangen wurde. Innenminister Bernard Cazeneuve fürchtet, dass sich die Proteste wie ein Flächenbrand ausweiten und fährt seit Mittwoch eine Taktik des Entgegenkommens. Am Mittwoch empfing er Vertreter der Polizeigewerkschaften, am Donnerstag wollte er weitere Gespräche führen. Doch er hat zwei Probleme: Das sind nicht die richtigen Ansprechpartner. Und seinen Zusagen traut niemand mehr.


Sinnlose Befehle für die Statistik

Nun kündigte auch der französische Staatspräsident François Hollande am Rande des EU-Gipfels in Brüssel an, Anfang kommender Woche Vertreter der Polizeigewerkschaften zu empfangen. Premierminister Manuel Valls sicherte den Polizisten am Donnerstag seine Unterstützung zu. Polizeibeamte bräuchten Anerkennung, sagte er.

Den Gewerkschaften ist die Bewegung entglitten, sie bemühen sich jetzt darum, die Rebellion zu kanalisieren. Dabei stoßen sie auf das Misstrauen der eigenen Basis. Die glaubt nicht mehr daran, dass sie auf ihre Vertreter setzen kann.

Jean-Christophe Cambadelis, Generalsekretär der Sozialisten, sieht „die Hand der Front National am Werk“. Experten sprechen dagegen von einer völlig unorganisierten Aktion ohne klare Ziele und Forderungen. Viele Polizisten seien schlicht empört und verzweifelt, fühlten sich wie Kanonenfutter verheizt von einer zynischen Hierarchie, der die Arbeitsbedingungen von Polizisten im Außeneinsatz völlig gleichgültig seien.

Seit Jahren staut sich der Unmut auf. Nicolas Sarkozy hat als Präsident zwar stets eine markige Rhetorik geführt, in Wirklichkeit aber Tausende Stellen bei den Sicherheitskräften abgebaut. Diese klagen nicht nur über hohe Arbeitsbelastung durch die zahlreichen Einsätze bei Demonstrationen und zum Schutz vor Terroranschlägen, sondern auch über falsche Prioritäten beim Personal: Alles werde auf den Innendienst konzentriert, um Papierberge zu bearbeiten, für die Einsätze in den brenzligen Vierteln dagegen seien nicht genügend Kräfte vorhanden. Die Sozialisten stellen zwar wieder Polizisten ein, doch reicht das angesichts vieler Pensionierungen bislang nur, um den Personalbestand zu stabilisieren.

Vorgesetzte gäben sinnlose Befehle, die lediglich darauf abzielten, die Statistiken zu verbessern und nicht die Sicherheit, lautet eine weitere Kritik. Unverzichtbares Material wie Schutzwesten und Handschuhe müsse man sich selber kaufen, kritisierten Polizisten bereits im vergangenen Jahr bei einer großen Demonstration in Paris.

Seitdem ist offenbar nichts geschehen, was die Stimmung bei den Beamten verbessert hätte – im Gegenteil. Bei ihnen hat sich der Eindruck verstärkt, sie würden aufgerieben zwischen immer aggressiver auftretenden Kriminellen und desinteressierten Vorgesetzten.

Für den 26. Oktober ruft nun eine der größten Polizeigewerkschaften zu einer nationalen Demonstration in Paris auf unter dem Motto: „Wutmarsch von Polizei und Bürgern!“ Bislang sieht es aber nicht danach aus, als könnte sie damit den nächtlichen Protesten das Wasser abgraben.

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