Das Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland hat in den vergangenen Monaten schwer gelitten. Für Misstöne sorgte immer wieder der unklare Kurs der Regierung in Athen. Das hat nicht nur viele Bundestagsabgeordnete erzürnt. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) machten ihrem Ärger Luft.
Schäuble, indem er einen „temporären Grexit“ ins Spiel brachte und Gabriel, indem er der griechischen Regierung vorwarf, mit ihrem Referendum „letzte Brücken eingerissen“ zu haben, „über die Europa und Griechenland sich auf einen Kompromiss zubewegen konnten“. Vor diesem Hintergrund seien „Verhandlungen über milliardenschwere Programme kaum vorstellbar“, hatte Gabriel gesagt.
Alexis Tsipras und die Schuldenkrise
Das Syriza-Linksbündnis unter Tsipras gewinnt die vorgezogenen Neuwahlen mit gut 36 Prozent. Seine Popularität verdankt er der Ablehnung des mit den internationalen Geldgebern vereinbarten Sparkurses. Tsipras schmiedet ein umstrittenes Regierungsbündnis mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen.
Die Euro-Finanzminister verlängern das Hilfsprogramm von Ende Februar bis Ende Juni 2015.
Tsipras trifft zu seinem ersten offiziellen Besuch in Berlin ein. Mit einer Reformliste will er bei Kanzlerin Angela Merkel für sich werben.
Die Krise im pleitebedrohten Griechenland verschärft sich. Das Tauziehen um Reformen geht weiter. Tsipras gerät in der eigenen Partei unter Druck, weil der linke Flügel gegen weitere Zugeständnisse an die Geldgeber ist.
Tsipras kündigt vor dem entscheidenden Treffen der Eurogruppe ein Referendum über die Sparvorschläge der Geldgeber an und zieht damit deren Ärger auf sich. Kurz vor dem Auslaufen des zweiten Hilfspakets bittet er um ein drittes Hilfsprogramm unter dem Euro-Rettungsschirm ESM.
Tsipras will nach dem Nein der Griechen zu den Sparvorgaben der Gläubiger neue Verhandlungen. Bei einer Abstimmung im Parlament über das Spar- und Reformprogramm verfehlt er deutlich eine eigene Mehrheit, doch die Opposition stimmt überwiegend mit Ja. Sein Finanzminister Gianis Varoufakis tritt zurück. Kurz darauf entlässt Tsipras zahlreiche Regierungsvertreter seines linken Partei-Flügels. Beim Ja des Parlaments zu einem zweiten Reformpaket verfehlt er aber wiederum die eigene Mehrheit.
Tsipras kann die Experten der Gläubiger überzeugen: In den Verhandlungen über weitere Finanzhilfen bis zu 86 Milliarden wird eine Grundsatzeinigung erzielt. Aber der linke Syriza-Flügel läuft Sturm gegen die Sparmaßnahmen.
Bei der Abstimmung über das neue Hilfsprogramm verfehlt Tsipras erneut eine eigene Mehrheit seiner Koalition. Aus Regierungskreisen heißt es, er wolle nach Zahlung der ersten Tranche der Finanzhilfe die Vertrauensfrage stellen.
Der Bundestag stimmt weiteren Krediten zu. Die Euro-Finanzminister bewilligen die erste Kredittranche von 26 Milliarden Euro.
Tsipras will nach Angaben aus Regierungskreisen zurücktreten, um den Weg für vorgezogene Parlamentswahlen am 20. September zu ebnen. Er erhofft sich dadurch ein frisches Mandat, ehe die harten Sparmaßnahmen des neuen Sparprogramms greifen.
Die Drohung des SPD-Chefs ist jedoch schnell verpufft. Denn mittlerweile ist das dritte Hilfspaket für Griechenland beschlossen. Und Gabriel ist sogar bereit, den Griechen mit weiteren Hilfsinitiativen unter die Arme zu greifen. „Dort, wo Städtepartnerschaften bestehen, bitten wir die Kommunen, zu überlegen, was sie an Hilfe anbieten können“, hatte der Vize-Kanzler in der jüngsten Griechenland-Sondersitzung des Bundestages vorgeschlagen.
Mit seinem Vorstoß rennt Gabriel bei Hans-Joachim Fuchtel offene Türen ein. Der parlamentarische Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium ist Griechenlandbeauftragter der Bundesregierung und setzt sich schon seit Jahren für eine Zusammenarbeit deutscher und griechischer Kommunal- und Regionalpolitiker ein. „Besonders erfreulich ist, dass sich nicht nur Kommunen miteinander verbinden, sondern ganze Regionen“, sagt der CDU-Politiker, den die Griechen „Fuchtelos“ nennen, im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Die Zahlen sprechen für sich. Von 325 griechischen Kommunen sind mehr als hundert in die Arbeit der Deutsch-Griechischen Versammlung (DGV) eingebunden. Dutzende weitere Kommunen suchen noch geeignete Partner in Deutschland. „Und das trotz der bekannten politischen Großwetterlage. Das spricht doch für sich?“, sagt Fuchtel, der auch DGV-Koordinator ist. Natürlich gebe es auch Durststrecken, bis Städtepartnerschaften erste positive Wirkungen entfalteten. Das sei „naturgemäß die Stunde der Skeptiker“, räumt der Christdemokrat ein. „Zwischenzeitlich lassen aber auch selbst bei Syriza nahestehenden Bürgermeistern Berührungsängste nach.“
„Ganz unbürokratisch“
Das stellt auch Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, fest. Die Zusammenarbeit und der aktive Austausch zwischen deutschen und griechischen Städten seien in den vergangenen Jahren „deutlich gewachsen und waren noch nie so intensiv wie jetzt“, sagt Articus dem Handelsblatt. „Die Verbindungen sind gelebte Solidarität mit Griechenland und seinen Kommunen und sind geprägt von gegenseitigem Respekt.“
Das sieht der Deutsche Städte- und Gemeindebund genauso und unterstützt den Appell Gabriels, über bereits bestehende Städtepartnerschaften unbürokratisch zu helfen. So förderten etwa Kommunen aus Baden-Württemberg den Austausch von Expertise und Experten mit griechischen Städten und Gemeinden, erläutert Städtebund-Geschäftsführer Gerd Landsberg. „Was Kommunen in Deutschland leisten können, ist vor allem Hilfe zur Selbsthilfe, zum Beispiel in Form von Unterstützung bei der Modernisierung der Verwaltung“, fügt er hinzu. Und wenn es um die Linderung humanitärer Notlagen gehe, sei insbesondere die Zivilgesellschaft der deutschen Partnerschaftsstädte gefragt.
Dreh- und Angelpunkt der Hilfe ist Fuchtels Deutsch-Griechische Versammlung. Der Clou: Was von deutscher Seite angeboten wird, bekommen die Griechen quasi für umsonst „Bei der Deutsch-Griechischen Versammlung gibt es kein Geld für Investitionen, aber ein schnelles, hochwirksames Netzwerk für Beratung“, erklärt Fuchtel. Das seien keine teuren Blaupausen. „Was hier abläuft, ist ein immer breiter werdender Know-How-Austausch mit Hilfe eines gemeinsam entwickelten Baukastens.“ Griechische Bürgermeister, Touristiker und Vertreter der Zivilgesellschaft wenden sich an ihre Kollegen in der Deutsch-Griechischen Versammlung und dann, so Fuchtel, gehe es „ganz unbürokratisch“ los.
Gemeinsam entwickelten die Partner neue Konzepte zur Abfallbeseitigung, für eine kostengünstigere Energieversorgung, für Kläranlagen, für den Öffentlichen Nahverkehr, zur Wirtschaftsförderung auf kommunaler Ebene und zur Ausdehnung der Tourismussaison. Auch die Vermittlung von Messeauftritten und Kontakten zu Abnehmern von Agrarprodukten sowie Fragen zu globalen Qualitätsanforderungen in der Landwirtschaftsproduktion gehörten dazu.
Die jüngste Partnerschaft ist entstanden zwischen der Insel Samos und der Stadt Greifswald an der Ostsee. Im April reiste eine griechische Delegation in die Universitäts- und Hansestadt, um sich vor Ort über die Erfahrungen Greifswalds und des Landkreises bei der Tourismusentwicklung, der Abfallwirtschaft, der Seerettung sowie über eine mögliche Hochschulkooperation mit der Ägäis-Universität zu informieren.
Als Leuchtturmprojekt gilt der „Pflegeurlaub auf Rhodos“. Fuchtel spricht von einer „Pflanze, die wächst“, weil Griechen und Deutsche gleichermaßen profitieren: In der Vor-und Nachsaison können auf Rhodos Pflegebedürftige und ihre Angehörigen gemeinsam Urlaub machen. Auf der anderen Seite hilft es den Griechen, ihre Arbeitslosigkeit zu verringern. Einheimische Fachkräfte werden gezielt für die Betreuung älterer Menschen ausgebildet. Hotels und Geschäfte bleiben außerhalb der Hauptsaison geöffnet.