Syrische Flüchtlinge Die Angst vor der Heimkehr

Die syrische Regierung lädt Flüchtlinge zur Heimkehr in zurückeroberte Rebellengebiete ein. Aber viele Vertriebene zögern aus Angst. Ist es genau das, was der syrische Machthaber Assad will?

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Viele vertriebene Syrer haben Angst vor ihrer Heimkehr, da sie nicht genau wissen, was sie erwartet. Quelle: dpa

Beirut Die syrische Regierung von Präsident Baschar al-Assad lädt geflohene Menschen aus mittlerweile zurückeroberten Rebellengebieten zur Rückkehr ein. Um Alaa aus einer kleinen Stadt rund 40 Kilometer von Homs entfernt hätte das gerne getan. Sie schickte ihre Schwester Maha los, damit die überprüft, wie es um ihre Wohnung bestellt ist. In der Unterkunft lebte mittlerweile eine fremde Familie vor.

Das ist nur eine der zahlreichen Hürden, die Vertriebene des syrischen Bürgerkriegs weiter fernhalten. Viele Geflüchtete haben nach eigenen Angaben Angst, festgenommen zu werden, wenn sie in ihre jetzt von der Regierung kontrollierten Heimatorte zurückkehren. Andere fürchten, dass ihre Ehemänner oder Söhne zum Dienst in demselben Militär eingezogen werden, das einst ihre Städte oder Dörfer bombardierte. Und in manchen früheren Rebellenhochburgen laufen staatliche „Entwicklungsprojekte“, für die Tausende Häuser plattgemacht wurden.

Die Opposition wirft der Assad-Regierung vor, gezielt unter dem Radar zu versuchen, als illoyal betrachtete Bevölkerungsteile von der Rückkehr abzuschrecken. Das Ziel: demografische Veränderungen, die helfen, ihre Kontrolle über einen Korridor von Damaskus zur Mittelmeerküste zu manifestieren. Die Regierung bestreitet das und betont, sie tue alles, um Vertriebene wieder in deren Heimatorten anzusiedeln.

Mehr als elf Millionen Menschen - fast die Hälfte der syrischen Bevölkerung - sind seit 2011 aus ihren Häusern geflohen, darunter fünf Millionen, die sich als Flüchtlinge ins Ausland durchgeschlagen haben. In vielen Landesteilen wütet der Bürgerkrieg unentwegt, die Zerstörung ist massiv. Unter solchen Bedingungen ist eine Massenrückkehr unwahrscheinlich.


Demografische Manipulation?

Es lässt sich schlecht einschätzen, in welchem Ausmaß es Regierungsmaßnahmen sind, die zur Opposition neigende Syrer fernhalten. Aber die Rückeroberung einer Reihe von Rebellenhochburgen in den vergangenen Monaten hat die Frage, wer zurückkehren kann, akut gemacht. Zum Beispiel ist eine Kette von Vororten um Damaskus wieder unter der Kontrolle des Militärs. Waren in den jüngsten Jahren Hunderttausende vor Belagerung und Bombardierung geflohen, verlassen jetzt weitere Tausende ihre Gemeinden, weil sie nicht unter der Fuchtel der Regierung leben wollen.

In Aleppo, Syriens größter Stadt, belagern Regierungskräfte die von Rebellen besetzten östlichen Bezirke. Die schätzungsweise 275.000 Einwohner haben sich geweigert, die Stadtteile zu verlassen, teils deshalb, weil sie fürchten, niemals zurückkommen zu dürfen.

Dass die meisten Menschen aus Rebellengebieten sunnitische Muslime sind, lässt den Vorwurf einer demografischen Manipulation durchaus glaubhaft erscheinen. Die Sunniten bilden die Mehrheit in Syrien und das Rückgrat der Rebellion, während Minderheiten weitgehend hinter Assad stehen. Das gilt besonders für die schiitische Glaubensgemeinschaft der Alawiten, der Assad angehört.

Homs, die drittgrößte Stadt des Landes, zeigt auf, was die Menschen fernhält. Nach einer langen brutalen Belagerung, vor der schätzungsweise 300.000 Menschen flüchteten, fielen 2014 die letzten größeren Rebellenstellungen, konzentriert in der Altstadt. Jetzt, zwei Jahre später, erklärt die Regierung, der Stadtteil sei für Einwohner geöffnet. Aber sogar offizielle Statistiken besagen, dass nur 40 Prozent zurückgekehrt sind. Und das, so meint die Opposition, sind noch aufgeblähte Zahlen.

Als ein Team der Nachrichtenagentur AP dieses Jahr die Altstadt besuchte, fand es eine Geisterstadt vor. Reporter sprachen unlängst mit sechs Familien, die früher dort lebten, sie alle wollten aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der Regierung nur beim Vornamen genannt werden. Die Einwohner seien weiter im Exil, „man findet sie überall auf der Welt, nur nicht in ihren Heimatgemeinden“, sagte Abu Seid der AP.


Angst vor der Festnahme

Hoda, die derzeit im libanesischen Tripoli lebt, erzählte, man habe ihr gesagt, dass sie erst einmal offene Rechnungen bezahlen müsse, bevor sie ihr Haus in Homs sehen könne. Aber dazu müsste sie staatliche Stellen aufsuchen, und wie viele andere zögert sie, weil sie dann mehrere von den gefürchteten Sicherheitsdiensten betriebene Kontrollpunkte zu passieren hätte. Hoda hat Angst, dass diese dann ihren Mann und ihre Söhne wegen angeblicher Verbrechen festnehmen oder zum Militärdienst einziehen könnten Ähnlich geht es auch Rabaa, die einen 20-jährigen Sohn hat: „Zurückkehren, um unser Zuhause zu sehen? Auf keinen Fall.“

Die Regierung weist den Vorwurf zurück, dass der Einzug zum Militärdienst eine Taktik sei, um Oppositionelle fernzuhalten. Es gehe um die Erfüllung einer gesetzmäßigen Pflicht, sagt der Minister für nationale Versöhnungsangelegenheiten, Ali Haidar. Das Militär suche nach Lösungsansätzen, um potenzielle Heimkehrer zu ermutigen.

So hat die Regierung in einigen zurückeroberten Gebieten angeboten, Rekruten sechs oder zwölf Monate lang nicht einzusetzen. Oppositionelle halten das für eine Taktik: Regierungsgegnern werde indirekt eine Frist gesetzt, um das Weite zu suchen – dann wäre man sie los.

Vertriebene berichten von vielen Fällen, in denen mögliche Heimkehrer andere Familien in ihren Häusern vorgefunden hätten, wie im Fall von Um Alaa. Deren frühere Nachbarn haben nach ihren Angaben erzählt, dass die Leute in ihrer Wohnung aus einer nahe gelegenen Stadt kämen.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat zudem in einem Bericht im Jahr 2014 sieben einst von Oppositionellen bewohnte Gemeinden in verschiedenen Landesteilen ausgemacht, die im Auftrag der Regierung für „Erneuerungsprojekte“ dem Erdboden gleichgemacht wurden. Auch das, so sagt der politische Analyst und Syrien-Experte Raschad al-Kattan, sei ein „Werkzeug für demografisches Manipulieren“.

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