Tren biocéancio „Der Panama-Kanal des 21. Jahrhunderts“

Bolivien will mit einer gigantischen Eisenbahnverbindung Pazifik und Atlantik miteinander verbinden. 40 deutsche Firmen sind interessiert, aber die Anden sind nicht das einzige Hindernis.

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Santos wäre einer der beiden Endpunkte der Eisenbahnverbindung. Quelle: dpa

Mexiko-Stadt Es ist ein alter Traum von Potentaten und Präsidenten in Lateinamerika: eine Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik, mal als Zugverbindung, mal als Wasserstraße. Geträumt haben davon schon die Machthaber in Brasilien, Bolivien, Mexiko, Nicaragua und Panama. Verwirklicht aber ist bisher nur die Wasserverbindung an der schmalsten Stelle der Region in Panama. Und die hat vor mehr als 100 Jahren die USA gebaut. Gerade erst ist die zweitwichtigste Wasserstraße der Welt erweitert worden, um mit den Anforderungen des Welthandels und der modernen Container-Schifffahrt mithalten zu können. Nun soll der Panama-Kanal ernsthafte Konkurrenz bekommen.

Ein halbes Dutzend Staaten plant gemeinsam ein gewagtes Projekt: eine Schienentrasse von Brasilien über Bolivien nach Peru, durch drei Länder, mehrere Klimazonen, Hoch- und Tiefland, Dschungel und Andengipfel. Die Länge wären 3700 Kilometer, etwa die Distanz von Stockholm nach Lissabon. Die kalkulierten Kosten liegen irgendwo zwischen sieben und 14 Milliarden Dollar. Bauen wollen die Verbindung vor allem deutsche und schweizerische Unternehmen wie der Technologiekonzern Siemens und die auf Eisenbahnsysteme spezialisierte Molinari Rail AG aus Winterthur. Aber auch Liebherr-Fahrzeugkrane, DB-Engineering und die Tunnelvortriebsmaschinen-Hersteller von Herrenknecht haben Interesse bekundet. Einen Namen gibt es für das Projekt schon: „Tren biocéancio“, der „Zwei-Ozean-Zug“. 6000 bis 8000 Arbeitskräfte wären mit Instandhaltung und Betrieb beschäftigt.

Rainer Bomba, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium und Boliviens Präsident Evo Morales unterzeichneten in der vergangenen Woche in La Paz eine Absichtserklärung zum Bau der Bahnlinie. Mit Bomba waren Vertreter von 40 Unternehmen nach Bolivien gereist. Die Idee, Atlantik und Pazifik auf Schienen zu verbinden, sei wie ein Panama-Kanal auf dem Trockenen, sagte Bomba nach der Unterzeichnung.

Morales betonte, das Zugprojekt sei „lange von den Südamerikanern erträumt“ worden, und von der Eisenbahnlinie würde die Hälfte der Staaten der Region profitieren: „Es wird der Panama-Kanal des 21. Jahrhunderts“, betonte der linksnationalistische Präsident. „Und er wird helfen, die Armut zu bekämpfen.“

Aber so ganz selbstlos sind die Beweggründe von Morales vielleicht doch nicht: Der „Tren biocéancio“ soll vor allem auch eine politische Wunde schließen. Bolivien ist eins von zwei Ländern Lateinamerikas ohne Zugang zum Meer. Der kleine Andenstaat verlor den Zugang zum Pazifik im „Salpeter-Krieg“ (1879 bis 1884) an Chile und muss seither 80 Prozent seiner Exporte über den chilenischen Hafen Arica abwickeln. Dies ist ein nationales Trauma, und Bolivien verklagt Chile regelmäßig vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, um einen eigenen Pazifikzugang zu bekommen. Mit dem Bahnprojekt könnte Bolivien immerhin über Peru seine Waren verschiffen.

Die Strecke soll aus dem brasilianischen Santos, dem größten Containerhafen Südamerikas, über die bolivianischen Anden und La Paz hinweg bis nach Peru und dort zum Pazifikhafen Ilo führen. Gedacht ist vor allem an eine Frachtstrecke, um den Containertransport zwischen den beiden Weltmeeren zu beschleunigen. Geplante Bauzeit: mindestens sieben Jahre.

Ob diese Zugstrecke jemals Realität wird, ist im Moment fraglich. Die fehlende Infrastruktur und die Korruption, die in den Ländern zum Alltag gehört, verkomplizieren und verteuern jedes Megaprojekt. Zwar existiert auf der brasilianischen Seite ein Großteil der Schienenstrecke, aber in Bolivien müsste fast alles neu gebaut werden. Zumal das Netz vor allem in den Anden auf Meterspur läuft.

Darüber hinaus ist Bolivien nicht nur Hauptinteressent und größter Profiteur der Bahnlinie, sondern auch das ärmste Land Südamerikas. Wie Präsident Morales das Geld aufbringen will, bleibt offen, auch wenn offenbar die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau einen Teil der Kosten übernehmen würde. Zudem sind sich der linke Morales und der rechte brasilianische Präsident Michel Temer nicht grün. Sie reden nicht einmal miteinander. Morales‘ Amtszeit läuft noch bis 2019, Temer ist bis zum kommenden Jahr gewählt. Wer danach an die Macht kommt und was dann aus dem Zug-Projekt wird, steht in den Sternen.

Zumal es noch ein Konkurrenz-Projekt gibt, das vor allem die Chinesen vorantreiben. Dass beide Projekte, das chinesische und das deutsch-schweizerische umgesetzt werden, erscheint unwahrscheinlich.

Die Eisenbahnstrecke, über die Peking und Brasilia verhandeln, begänne auch in Santos am Pazifik, würde aber Bolivien links liegen lassen und direkt nach Peru vorstoßen. Der Nachteil: Die Trasse verliefe durch deutlich mehr ökosensibles Amazonasgebiet, und sie wäre mit 4800 Kilometern gut 1000 Kilometer länger als die Variante durch Bolivien. Auch die veranschlagten Kosten wären rund fünf Mal höher.

Wie wenig verlässlich chinesische Megaprojekte in Lateinamerika sein können, kann man weiter im Norden in Zentralamerika sehen. In Nicaragua sollte schon seit über einem Jahr am Interozean-Kanal gebaut werden. Der autokratische Präsident Daniel Ortega und der dubiose chinesische Telekom-Milliardär Wang Jin wollten die Wasserstraße für 40 Milliarden Dollar in Konkurrenz zum Panama-Kanal bauen. Bisher ist nichts mehr als ein offizieller Spatenstich für eine Zugangsstraße erfolgt.

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