Unabhängigkeit von Spanien Der unwahrscheinliche Katalexit

Die spanische Region Katalonien will am 1. Oktober über die Abspaltung von Spanien abstimmen. Doch dazu dürfte es gar nicht kommen. Viel wahrscheinlicher sind Neuwahlen zum Jahresende.

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Die Unabhängigkeitsbewegung hat sich in den vergangenen Jahren verselbständigt und teils fanatische Züge angenommen. Quelle: dpa

Madrid Man sollte meinen, das Gezerre um den Brexit hätte den spanischen Separatisten die Lust auf einen Alleingang verdorben. Aber nein: Just am gestrigen Freitag, dem Tag, als die britische Premierministerin und Brexit-Kämpferin Theresa May ihre Wahlschlappe einstecken musste, verkündete der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont seinen Fahrplan für die Abspaltung von Spanien.

Er will, dass die 5,5 Millionen wahlberechtigten Katalanen am 1. Oktober in einem Referendum auf die Frage antworten: „Wollen Sie, dass Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik wird?“ Der Region rund um die Hauptstadt Barcelona schwebt eine totale Loslösung von der Zentralregierung in Madrid vor, von der sie sich seit Jahren schlecht behandelt und vor allem missverstanden fühlt.

Die Reaktion aus Madrid folgte auf dem Fuße: „Es wird kein illegales Referendum geben, das die Verfassung verletzt“, sagte ein Regierungssprecher. Das Referendum verstößt gegen die spanische Verfassung, die die unauflösbare Einheit des Landes vorsieht. Das Verfassungsgericht in Madrid hat erst kürzlich die Abstimmung über die Unabhängigkeit der Katalanen erneut untersagt.

Die Gründe für den Separatismus dort sind für Nicht-Katalanen – und selbst für viele Katalanen – kaum rational nachzuvollziehen. Am ehesten könnte man sie mit einem verletzten Regionalstolz umschreiben. Madrid räumt inzwischen unter der Hand zwar ein, dass einige irdisch-faktische Dinge tatsächlich nicht allzu glorreich gelaufen sind. So sind so gut wie alle Autobahnen, die aus Barcelona herausführen, mautpflichtig. In Madrid dagegen ist es keine einzige. Doch um derlei Dinge, die per Verhandlung aus dem Weg geräumt werden könnten, geht es gar nicht.

Die Unabhängigkeitsbewegung hat sich in den vergangenen Jahren verselbständigt und teils fanatische Züge angenommen. Die Befürworter bemühen dabei vor allem die Geschichte: Wenn der FC Barcelona im heimischen Stadion spielt, erschallt um Punkt 17:14 Uhr der Ruf „independencia“ (Unabhängigkeit) – in Referenz an das Jahr 1714, als Katalonien im Erbfolgekrieg unterlag und zwangsweise an Spanien angegliedert wurde.


Neuwahlen sind wahrscheinlich

Die Verfechter der Bewegung können aus dem Zug, den sie über Jahre mit Verve angeschoben haben, inzwischen nicht mehr aussteigen und mit Madrid profane Zugeständnisse verhandeln. Für sie und ihr politisches Überleben gilt es, die Konfrontation durch zu halten.

Dass es aber tatsächlich zu einem Katalexit kommt, ist kaum anzunehmen. Viel wahrscheinlicher ist, dass es noch nicht einmal zu dem Referendum am 1. Oktober kommt und stattdessen gegen Ende des Jahres Neuwahlen in Katalonien stattfinden – es wären die vierten in sieben Jahren.

Die spanische Regierung hat mehrfach erklärt, sie werde alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, um ein Referendum und erst recht eine Abspaltung zu verhindern. Was genau das sein wird, lässt sie offen. Doch schon die Organisation eines Referendums würde die rund 4000 bis 5000 Beamten, die dafür in Katalonien an den Wahlurnen nötig sind, in höchste Not bringen. Sie riskieren ihren Job, wenn sie erklärtermaßen gegen die Staatsverfassung verstoßen.

Wie ernst es Madrid meint, konnten die katalanischen Staatsdiener in den vergangenen Monaten beobachten: Der ehemalige katalanische Ministerpräsident Artur Más wurde von einem Gericht zu zwei Jahren Verbots für alle öffentlichen Ämter verurteilt, weil er im Jahr 2014 bereits gegen das Veto aus Madrid eine Abstimmung organisierte. Er glaubte sich damals damit aus der Affäre zu ziehen, dass er sie nicht als Referendum, sondern als „Volksbefragung“ bezeichnete. Geholfen hat das ihm das nicht.

Beide Seiten haben seitdem viel über rechtlich Machbares und politisch Opportunes gelernt. Deshalb ist die wahrscheinlichste Lösung nun die neuer Wahlen. Laut der jüngsten Umfragen würden dabei 48,5 Prozent der Katalanen für eine eigene Republik stimmen. Das ist zwar viel, aber immer noch nicht die absolute Mehrheit für die Separatisten im Parlament. Die hatten die Unabhängigkeitsbefürworter auch schon 2015 verfehlt. Sollte es dieses Mal wieder so kommen, dürfte das Thema fürs Erste vom Tisch sein. Erhalten sie sie aber doch und eindeutig, geht das Spiel in eine neue Runde.

Dieses Risiko schätzen die meisten inzwischen jedoch als gering ein. In Bankenkreisen heißt es, Investoren seien nicht besorgt wegen der Bewegung in Spanien. Dabei spielt womöglich die Hoffnung rein, dass das starke Wachstum der spanischen Wirtschaft den katalanischen Spaltern den Wind aus den Segeln nimmt. Ihre Bewegung erreichte im Zuge der harten Wirtschaftskrise einen Höhepunkt, als viele Spanier der Regierung in Madrid die Mitschuld an der Misere gaben. Doch inzwischen sinkt die Arbeitslosigkeit deutlich und kein großes EU-Mitglied wächst stärker als Spanien.

Das Referendum hat etwas von seinen Schrecken verloren und gleicht eher einem Déjà-vu. Etwas Schlimmeres kann einer politischen Bewegung eigentlich nicht passieren.

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