US-Panzer an Nato-Ostgrenze In Osteuropa droht ein neues Wettrüsten

Die Verlegung einer ganzen US-Panzerbrigade an die Ostgrenze der Nato beunruhigt Moskau. Russland will mit eigener Aufrüstung auf die verstärkte Nato-Präsenz in der Nachbarschaft reagieren. Beginnt nun ein Wettrüsten?

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Russlands Nato-Botschafter Alexander Gluschko spricht von einer „verstärkten Präsenz, die durch nichts gerechtfertigt ist“. Quelle: dpa

Moskau/Washington/Brüssel In Osteuropa droht ein neues Wettrüsten: Russland und die USA haben eine Verstärkung ihrer eigenen Truppenpräsenz angekündigt. Das Pentagon will eine ganze Panzerbrigade an die Ostgrenze der Nato verlegen: 250 Kampfpanzer, 4200 Soldaten, Kampffahrzeuge und weitere 1700 Fahrzeuge sollen ab Frühjahr 2017 in der Region stationiert werden. „Die USA demonstrieren eine starke und ausbalancierte Herangehensweise bei der Hilfe ihrer Nato-Partner beim Schutz vor der aggressiven Politik Russlands in Osteuropa und anderswo“, begründete US-Luftwaffengeneral Philip Breedlove, Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte in Europa, den Schritt.

Wo genau die Panzer einrollen sollen, wurde nicht bekannt gegeben. Als wahrscheinlichstes Einsatzgebiet gilt der baltische Raum.

Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sind seit der Ukraine-Krise und dem russischen Anschluss der Halbinsel Krim gespannt. Russland weist die Vorwürfe einer geplanten militärischen Expansion zurück und sieht den Aggressor auf der anderen Seite. Dementsprechend hat Moskau nach Bekanntwerden der US-Pläne umgehend Gegenmaßnahmen annonciert: „Wir sind keine untätigen Beobachter, wir ergreifen regelmäßig militärische Maßnahmen, die wir für notwendig erachten, um diese verstärkte Präsenz auszugleichen, die durch nichts gerechtfertigt ist", sagte Russlands Nato-Botschafter Alexander Gluschko.

Schon zuvor hatte Verteidigungsminister Sergej Schoigu eine Aufstockung der russischen Truppen an der Westgrenze angekündigt. Die Nato rüste immer weiter auf – auch in unmittelbarer Nähe zu Russland, klagte Schoigu. „Es ist klar, dass diese Situation uns beunruhigt. Wir sind gezwungen darauf zu reagieren“, sagte er.

Die russische Aufrüstung in seiner Nordwestregion werde analog zur Militarisierung Litauens, Lettlands und Estlands vollzogen. Insgesamt werde Moskau etwa 1100 Kampffahrzeuge an seiner Westgrenze stationieren, darunter Flugzeuge, Hubschrauber, Panzer und gepanzerte Truppentransporter. In der russischen Ostsee-Exklave Kaliningrad, eingeschlossen von den Nato-Mitgliedern Polen und Litauen, wurden bereits Iskander-Raketen stationiert. Mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern könnten diese theoretisch auch Ziele in Deutschland erreichen.

Die exponierte russische Region stand erst jüngst wieder im Mittelpunkt eines Zwischenfalls: Schoigu flog begleitet von mehreren vollbewaffneten russischen Su-27 über die Ostsee zu einem Inspektionsbesuch in die Region. Als Reaktion stiegen daraufhin mehrere Eurofighter auf, die den Konvoi des russischen Verteidigungsministers bis nach Kaliningrad „eskortierten“. Russische Medien sprachen anschließend von einer Provokation.

Was ist unnötige Provokation, was nur notwendige Reaktion? Über die Frage wird seit Monaten zwischen dem Westen und Russland gestritten. Die Nato-Staaten behaupten, dass sie nach dem russischen Eingreifen in der Ukraine keine andere Wahl haben, als im Osten massiv aufzurüsten. Bündnispartner wie Lettland, Estland und Litauen müssten sich sicher fühlen können.

Kremlchef Wladimir Putin hingegen stellt den Ukraine-Konflikt als indirekte Folge der Nato-Osterweiterung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs dar. „Wir sind in die Zeiten eines neuen Kalten Krieges abgerutscht“, stellte Ministerpräsident Dmitri Medwedew jüngst auf der Münchner Sicherheitskonferenz aus russischer Perspektive fest.

Von US-Militärs kommen ähnliche Töne. Als Nato-Oberbefehlshaber General Philip Breedlove im vergangenen Monat einem Ausschuss des US-Kongresses Rede und Antwort stand, war neben ihm eine Karte von Europa aufgestellt. In äußerst düsteren Worten zeichnete er damals ein Bild der Situation auf dem Kontinent.


„Russland stellt eine existenzielle Bedrohung dar“

Die Lage im Osten Europas sei instabil. Der Kreml sei bemüht, sich über verschiedene Wege Einfluss in den baltischen Staaten zu sichern. Das „russische Problem“ würde nicht verschwinden. Mehr als zwei Jahrzehnte hätten die USA und Europa versucht, mit Russland eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Das sei gescheitert. Es müsse nun darum gehen, das Paradigma der vergangenen 20 Jahre zu korrigieren. „Russland stellt eine existenzielle Bedrohung für die Vereinigten Staaten dar und für die Nato als Ganzes“, erklärte Breedlove.

Die nun konkretisierten Pläne tragen dem Rechnung. Das „Wall Street Journal“ schreibt, Vertreter der USA in Europa hofften, dass das Vorhaben die Nato-Verbündeten dazu bewegen werde, selbst wesentliche Beiträge zu leisten.

Unklar blieb zunächst allerdings, ob die US-Truppen der Nato unterstellt werden sollen. Bereits im Februar hatten die Bündnispartner gemeinsam beschlossen, zusätzliche Truppen ins östliche Bündnisgebiet zu schicken. Die Planungen dafür sollen bis zum Nato-Gipfel Anfang Juli in Warschau abgeschlossen sein.

Nach Angaben aus Bündniskreisen ist im Gespräch, pro Land bis zu etwa 1000 Bündnissoldaten zu stationieren. Als Standorte sind neben den baltischen Staaten Lettland, Estland und Litauen auch Polen, Bulgarien und Rumänien vorgesehen. In diesen Ländern baut die Nato bereits seit dem vergangenen Jahr regionale Hauptquartiere in Estland, Lettland, Litauen sowie Polen, Bulgarien und Rumänien. Sie sind allerdings lediglich mit rund 50 Soldaten besetzt.

Gegen ein noch immer gültiges Abkommen zwischen der Nato und Russland, das die dauerhafte Stationierung von „substanziellen Kampftruppen“ in den neuen Nato-Ländern in der Mitte und im Osten Europas verbietet, wird nach Einschätzung der Nato auch durch die neue Verstärkung nicht verstoßen. Nach Angaben von Militärs wäre dies nur der Fall, wenn die Nato mehr als 10.000 Soldaten dauerhaft in Osteuropa stationieren würde.

Verglichen mit der militärischen Präsenz der USA in Europa in der Vergangenheit sind die Pläne ohnehin nicht der Rede wert. Die Zahl der in Europa stationierten US-Soldaten ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken. Waren es 1991 noch rund 285.000 Soldaten, sind heute nur noch rund 62.000 übrig. 2012 wurden zwei der vier Brigaden in Europa gestrichen - eine Sparmaßnahme.

Selbst aus Europa kommt dennoch Kritik. Im Ergebnis werden die US-Truppenverlegung zu mehr und nicht zu weniger Unsicherheit für Osteuropa führen, sagte der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck (SPD), der „Rheinischen Post“. Diese sehe man bereits daran, dass der russische Nato-Botschafter Gruschko Gegenmaßnahmen angekündigt habe.

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