Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach bringt Überraschendes ans Licht: Entgegen der landläufigen Annahme, dass das Modell der sozialen Marktwirtschaft von den Deutschen allgemein akzeptiert und gewünscht ist, zeigt die Untersuchung, dass die marktwirtschaftlichen Prinzipien an Zustimmung verlieren. Demnach wächst seit rund 20 Jahren die Unzufriedenheit der Deutschen mit der sozialen Lage im Land, die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet. Aktuell beantworten 65 Prozent der Befragten die Frage "Sind die wirtschaftlichen Verhältnisse bei uns in Deutschland – ich meine, was die Menschen besitzen und was sie verdienen – im Großen und Ganzen gerecht oder nicht gerecht?", dass sie sie für nicht gerecht halten. Lediglich 18 Prozent empfinden die Verhältnisse als gerecht.
61 Prozent der Befragten finden, dass die soziale Gerechtigkeit in Deutschland in den vergangenen drei bis vier Jahren abgenommen habe, nur 7 Prozent glauben, es gehe mittlerweile gerechter zu. Dieses Ergebnis ist erstaunlich, da aus Daten des Statistischen Bundesamts hervorgeht, dass sich die Sozialstruktur im Land in jüngster Vergangenheit kaum verändert hat. Der individuelle Eindruck der sozialen Ungerechtigkeit entsteht laut den Allensbach-Experten vielmehr daraus, dass die Menschen immer misstrauischer gegenüber der freien Wirtschaft würden.
In einem Assoziationstest, bei dem Interviewer verschiedene Begriffe vorlasen, sollten die Befragten zu jedem Begriff angeben, ob sie dabei an das Stichwort "Marktwirtschaft" dächten. Dabei zeigte sich, dass die Begriffe "gute Güterversorgung" oder "Wohlstand" mit 68 beziehungsweise 66 Prozent am häufigsten assoziiert wurden - jedoch folgten sogleich negativ aufgeladene Begriffe wie "Gier" mit 56 Prozent Zustimmung, "Rücksichtslosigkeit" (53 Prozent), "Ausbeutung" (51 Prozent) und "hohe Preise" (49 Prozent). Weit abgeschlagen lagen die Begriffe "Menschlichkeit" und "soziale Gerechtigkeit": Lediglich 10 beziehungsweise 12 Prozent der Befragten ordneten diese Werte der Marktwirtschaft zu.
Jeder Zweite setzt Planwirtschaft mit Sicherheit gleich
Hingegen wurde deutlich, dass sich der Blick der Deutschen ein intensiveres Eingreifen der Regierung wünschen. Mit dem Begriff "staatlich organisiertes Wirtschaftssystem" verbinden zwar satte 81 Prozent der Befragten "Bürokratie", doch gleich an zweiter Stelle folgt "Sicherheit" (51 Prozent). Auch die Begriffe "soziale Gerechtigkeit" und "Menschlichkeit" ordneten 43 beziehungsweise 27 Prozent der Befragten zu.
Insgesamt betrachtet ist das Image der staatlich organisierten Wirtschaft in der Bevölkerung kaum schlechter als das der Marktwirtschaft, fassen die Experten zusammen: 34 Prozent positive zu 40 Prozent negativen Bewertungen beim staatlich kontrollierten System stehen 39 zu 41 Prozent bei der Marktwirtschaft gegenüber. So gaben auch 33 Prozent der Befragten an, sie fänden es besser, wenn sich der Staat stärker einschalten würde, 24 Prozent meinten, der Staat sollte sich heraushalten. Das spiegelt sich auch auf der persönlichen Empfindungsebene wider: In den alten Bundesländern sind 36 Prozent der Deutschen der Meinung, dass es ihnen persönlich besser oder zumindest nicht schlechter gehen würde, wenn das Wirtschaftssystem stärker vom Staat reguliert würde. In den neuen Bundesländern sind sogar 42 Prozent dieser Meinung.
Auch staatliche Preiskontrollen, wie es sie 1948 und 1969 gab, finden auffällig viel Zuspruch. 46 Prozent der Befragten schlossen sich der Aussage an: "Ich fände es gut, wenn der Staat Obergrenzen für die Preise von Grundnahrungsmitteln festlegen würde. Durch solche Höchstpreise könnte man sicherstellen, dass die Preise für Grundnahrungsmittel nicht so stark steigen und sich jeder diese weiterhin leisten kann." Nur 37 Prozent glaubten, dass die negativen Folgen eines solchen Vorgehens überwiegen. Bei den Mieten sprachen sich sogar 71 Prozent für eine staatlich verordnete Preisgrenze aus.
Die Allensbach-Experten schlussfolgern, dass die Politik für die Vorzüge der freien Marktwirtschaft deutlich mehr Werbung machen müsste, da die Vorteile für die Bevölkerung offenkundig nicht eindeutig erkennbar seien. Die Erfolge der freien Wirtschaft würden anderen Faktoren zugeschrieben.