Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz Steinmeier fordert mehr Beistand für Terroropfer

Opfer des Anschlags vom Berliner Weihnachtsmarkt fühlten sich im Stich gelassen. Am ersten Jahrestag des Attentats sendet der Bundespräsident ihnen zwei Botschaften: Wir haben verstanden. Und: Ihr seid nicht allein.

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Steinmeier beklagte, es sei bitter, dass der Staat die Opfer vom Breitscheidplatz nicht habe schützen können. Quelle: AP Works

Berlin Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht im Umgang mit den Opfern des Terroranschlags vom Berliner Breitscheidplatz Versäumnisse bei Staat und Gesellschaft. Manche Unterstützung für die Angehörigen der Opfer und für die Verletzten sei spät gekommen und unbefriedigend geblieben, sagte Steinmeier laut dem Manuskript für seine Rede bei der nicht öffentlichen Gedenkveranstaltung für die Opfer des Terroranschlags auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. „Viele Hinterbliebene und Verletzte – viele von Ihnen – haben sich nach dem Anschlag vom Staat im Stich gelassen gefühlt.“

Genau vor einem Jahr, am Abend des 19. Dezember 2016, war der Attentäter Anis Amri mit einem gestohlenen Laster in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast. Elf Menschen starben, den polnischen Lastwagenfahrer hatte der Terrorist zuvor erschossen. Annähernd 100 Menschen wurden verletzt. Amri wurde wenige Tage später auf der Flucht in Mailand von italienischen Polizisten erschossen. Es war der bislang schwerste islamistische Anschlag in Deutschland.

Berlin wollte am Dienstag der Opfer des Anschlags gedenken – unter anderem mit einer Andacht und der Enthüllung eines Mahnmals.

Steinmeier sagte, es stelle sich die Frage, wie die Gesellschaft mit dem Attentat umgegangen sei. Direkt danach habe sich die Einstellung verbreitet, man wolle sich nicht einschüchtern lassen und weiterleben wie bisher. Diese Sätze seien stark und richtig. „Aber so kurz nach dem Anschlag, als die unfassbare Gewalt gerade in unseren Alltag eingebrochen war, klangen sie nicht mehr nur trotzig und selbstbewusst, sondern auch seltsam kühl und abgeklärt“, mahnte das Staatsoberhaupt. Für viele Angehörige habe dies gewirkt „wie ein Abwehrreflex, wie der allzu routinierte Versuch, den Schock zu unterdrücken“, sagte er. „Und es hat, auch wenn das von niemandem beabsichtigt war, bei den Hinterbliebenen und Verletzten, wie ich weiß, Unverständnis hervorgerufen.“

Die Gesellschaft dürfe dem Terror nicht nachgeben. „Aber das darf nicht dazu führen, dass wir den Schmerz und das Leid verdrängen.“ Die Gesellschaft trete dem Terror auch dadurch entgegen, dass sie gemeinsam der Opfer gedenke und den Hinterbliebenen zur Seite stehe. „Dass wir miteinander traurig, miteinander wütend, miteinander fassungslos sind – auch das gehört zum Zusammenhalt, den wir brauchen, um gemeinsam unsere Freiheit zu verteidigen.“ An die Adresse der Verletzten und Hinterbliebenen sagte Steinmeier: „Ich will Ihnen versichern: Wir lassen Sie mit alldem nicht allein.“

Am Montag hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) etwa 80 Opfer und Hinterbliebene im Kanzleramt empfangen. Sie hatten der amtierenden Regierungschefin zuvor in einem offenen Brief Versagen vorgeworfen und kritisiert, dass sie nicht persönlich kondoliert habe. Auch der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Kurt Beck, hatte zahlreiche Versäumnisse der Behörden bei der Betreuung der Opfer angeprangert und Änderungen gefordert.

Auch im Fall des Attentäters Amri war zu einer ganzen Serie von schweren Pannen, Ermittlungsfehlern und Fehleinschätzungen gekommen.

Steinmeier beklagte, es sei bitter, dass der Staat die Opfer vom Breitscheidplatz nicht habe schützen können. „Unsere Haltung muss sein: Dieser Anschlag hätte nie passieren dürfen.“ Die Politik dürfe nicht zu eilfertig sagen, dass es in unserer offenen Gesellschaft keine vollkommene Sicherheit geben könne, so richtig diese Erkenntnis auch sei. „Wir müssen Versäumnisse aufklären und aus Fehlern lernen.“ Es wurden bereits zwei Untersuchungsausschüsse auf Landesebene zum Fall Amri eingesetzt. Auch auf Bundesebene soll bald ein solches Gremium im Parlament kommen.

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