Antisemitismus Was gegen den Judenhass zu tun wäre

Die Zahl antisemitischer Übergriffe bleibt hoch. Noch schlimmer: Im Alltag zeigt sich der Hass auf Juden in Worten und Gesten. Der Zentralrat der Juden in Deutschland warnt vor Rechtspopulisten.

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Polizeiwagen und Wachen vor Synagogen gehören leider zur Normalität in deutschen Städten. Das ist nicht schön, aber dient der Sicherheit der in Deutschland leben Juden. Jüdische Mädchen müssen in Berlin teilweise unter Polizeischutz zur Schule begleitet werden. 1300 antisemitische Straftaten gab es im vergangenen Jahr in Deutschland, wie aus der Kriminalstatistik hervorgeht, die kürzlich veröffentlicht wurde. Die Dunkelziffer dürfte - so nichtstaatliche Organisationen - weitaus höher liegen. Denn bis heute werden die Verbrechen in keiner einheitlichen Datenbank nach einheitlichen Kriterien gesammelt.

„Antisemitismus hat auch nach dem Ende von Nazideutschland nicht aufgehört, Teil der Gedankenwelt unseres Landes zu sein“, sagt der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Volker Beck. Er gehöre zu unserem „kulturellen Gepäck“, sagt Beck, der seit drei Jahren Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages ist.

Um den Antisemitismus weiter verstärkt zu bekämpfen und jüdisches Leben in Deutschland besser zu fördern, hat der Bundestag einen Expertenkreis zum Thema eingesetzt, dem überwiegend unabhängige Wissenschaftler angehören. Der erste Bericht der Kommission von 2012 – ein neuer ist in diesem Jahr zu erwarten – zeigte auf, dass es „latent antisemitische Einstellungen“ bei 20 Prozent der Bevölkerung gebe. Der Antisemitismus verbreite sich überwiegend im Internet. Die Experten empfehlen unter anderem die bestehenden erfolgreichen Programme zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus weiter zu unterstützen. Dies sei aussichtsreicher, als neue zu gründen. Außerdem sollen sich Schulbücher nicht nur auf die Verfolgungsgeschichte der Juden konzentrieren, sondern jüdisches Leben zeigen. Viele der Empfehlungen aus dem ersten Bericht der Expertenkommission wurden bislang gar nicht oder nur teilweise umgesetzt.

Rechtsextreme Gruppen in Bayern

„Wir brauchen konkrete und nachhaltige Schritte statt Lippenbekenntnisse, Sonntagsreden und formelhafte Verurteilungen des Antisemitismus der Anderen. Alle vier Jahre ein neuer Expertenkreis, dessen Empfehlungen dann ignoriert werden, das kann es nicht sein“, kritisiert Volker Beck. Dazu müssten Erfahrungen und Aktivitäten gebündelt werden und das Zusammenwirken von Behörden und Zivilgesellschaft „zentral koordiniert werden.“

Während unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem unter Akademikern antisemitische Ansichten verbreitet waren, ist dies heute eher bei Menschen mit wenig Bildung der Fall. Generell ist Antisemitismus eher bei älteren als bei jüngeren Menschen festzustellen. In den neuen Bundesländern allerdings ist es umgekehrt. Dort sind Antisemiten tendenziell jünger.

Antisemitische Stereotype leben fort

Antisemitismus ist auch in den Reihen von AfD und NPD verbreitet. „Rechtspopulistische Parteien und Bewegungen wie AfD und Pegida arbeiten daran, antisemitische Ansichten wieder salonfähig zu machen“, sagt Josef Schuster, Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland

Laut der Mitte-Rechts-Studie der Universität Leipzig gehen antisemitische Straftaten überwiegend auf das Konto rechtsextremistischer Straftäter. Erst in der jüngeren Vergangenheit kam auch ein „erschreckendes Ausmaß“ an Antisemitismus bei jungen Muslimen mit Migrationshintergrund hinzu.

Die Gesichter der AfD

Der Historiker Götz Aly beantwortet in seinem gerade erschienenen Buch "Europa gegen die Juden" die Frage, wie der Holocaust möglich wurde, mit der europäischen Geschichte des Judenhasses seit 1880. Dieser resultierte, so Aly, nicht nur aus Nationalismus, sondern auch aus Neid auf den sozialen Erfolg von Juden in modernen Gesellschaften. Juden wurden als „anders“ abgestempelt. Das bereitete den Boden für die Deportationen und schließlich den Massenmord an den europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland im zweiten Weltkrieg.

Entsprechende antijüdischen Einstellungen sind immer noch verbreitet, wenn auch stagnierend bis rückläufig. „Mehr als 10 Prozent der Menschen denken, der Einfluss von Juden oder Jüdinnen sei heute noch zu groß – ein klassisches antisemitisches Stereotyp über den angeblich mächtigen Juden“, gibt Beck zu Bedenken.

„In den offiziellen polizeilichen Kriminalstatistiken können wir keinen quantitativen Anstieg in den vergangenen zwei Jahren feststellen“, sagt Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland. Aber: „Neue, unbürokratische Formen, antisemitische Vorfälle zu melden, wie es etwa die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) anbietet, zeigen jedoch ein anderes Bild.“ Demnach gebe es einen massiven Anstieg von Antisemitismus, der sich vor allem im Alltag in Worten, aber auch in abfälligen Gesten äußere.

„Solange jüdisches Leben in Deutschland hinter kugelsicheren Scheiben stattfindet, leben Jüdinnen und Juden in unserem Land immer noch im permanenten Ausnahmezustand“, sagt Beck. Was dagegen zu tun ist? „Ein differenzierter Umgang der deutschen Mehrheitsgesellschaft mit Israel wäre ein ebenso wichtiger Schritt wie die endgültige Akzeptanz, dass Juden keine Fremden, sondern integraler Bestandteil der Gesellschaft sind“, fordert Schuster.

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