WirtschaftsWoche: Herr Schönbohm, Sie gehörten eigentlich immer zu den Kritikern des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Jetzt stehen Sie seit wenigen Wochen selbst als Präsident an der Spitze. War Ihre Kritik an der Behörde berechtigt?
Arne Schönbohm: Ich habe eigentlich keine Kritik am BSI geübt, sondern vor allem am IT-Sicherheitsgesetz. Ich habe immer gefordert, dass der Gesetzgeber eine gute Balance finden muss. Er kann die Unternehmen nicht nur auffordern, Cyberangriffe zu melden. Er muss ihnen auch helfen, das Sicherheitsniveau zu erhöhen. Diese Balance haben wir inzwischen gefunden. Wir unterstützen die Wirtschaft beim Kampf gegen Cyberangriffe – und können selbst anhand der eingehenden Informationen jetzt auch anderen Unternehmen viel besser helfen. Aber natürlich sehe ich auch Verbesserungspotenzial. Insbesondere mit der Wirtschaft wollen wir künftig viel enger zusammenarbeiten. Wir müssen die Chefs für uns gewinnen.
In den Unternehmen gibt es viele Vorbehalte gegen Ihr Amt. Viele Chefs wehren sich dagegen, Cyberangriffe an Sie zu melden. Wie wollen Sie das ändern?
So pauschal würde ich das nicht sagen. Wir arbeiten seit vielen Jahren mit der Wirtschaft zusammen. Dennoch: In den vergangenen 20 Jahren war ich selbst in der Wirtschaft tätig. Ich kenne die Sorgen. Aber ich glaube, wir können uns aneinander gewöhnen. In sicherheitssensiblen Bereichen geht es immer um Vertrauen. Das ist so, als wenn Sie den Hausarzt aufsuchen. Oft ist er der Einzige, der Ihren Gesundheitszustand kennt. Solch ein Vertrauen habe ich persönlich zu vielen Unternehmen aufgebaut. Das bringe ich jetzt ein.
Zur Person
Schönbohm, 46, ist seit Februar 2016 Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Der Betriebswirt war zuvor bei EADS tätig.
Unternehmen aus gefährdeten Branchen wie Energie und Telekommunikation müssen mit Ihnen zusammenarbeiten. Wie wollen Sie den Rest für sich gewinnen?
Ein großer Energieversorger hat uns einen Vorfall in einem Kraftwerk, der später auch öffentlich geworden ist, sehr frühzeitig freiwillig gemeldet, obwohl er dies zum damaligen Zeitpunkt gar nicht hätte melden müssen. Wir haben gemeinsam den Angriff analysiert und Vorkehrungen getroffen, damit sich dies nicht wiederholt. Das Gleiche gilt für den Angriff auf das Lukas-Krankenhaus in Neuss, das uns ebenfalls zu Hilfe gerufen hat, obwohl das Gesetz dies nicht vorschreibt. Auch die Autoindustrie spricht mit uns, um die Widerstandsfähigkeit ihrer IT-Systeme für das autonome Fahren zu erhöhen. Bei solchen Projekten sind wir nicht das bürokratische Amt, das angerufen wird. Wir gehen auch selber raus, hören zu und helfen.
Wie IT-Experten einen BMW geknackt haben
Wenn der Besitzer in der BMW-Remote-App die Türentriegelung veranlasst, erhält das Fahrzeug eine SMS vom BMW-Backend. Es holt daraufhin den Öffnungsbefehl von einem Server und führt in aus – während der Hacker mitliest.
Der Besitzer gibt der App den Befehl "Entriegle Tür". Die Daten werden per Mobilfunk übertragen und können von einem Hacker mitgelesen werden.
Die BMW-Server senden per SMS die Anweisung "Hole Befehl" an das Auto. Dort fährt das Modem im Steuergerät hoch.
Über die gesicherte Datenverbindung zum BMW-Backend fragt das Auto bei den BMW-Server nach, ob ein Remote-Service-Befehl vorhanden ist.
Daraufhin gibt das BMW-Backend dem Auto die Anweisung "Entriegle Tür" – und das Auto wird aufgeschlossen.
Ein Hacker kann mit einer tragbaren Mobilfunk-Basisstation ohne Zutun des Besitzers gefälschte SMS und Daten an das Fahrzeug senden, um die Tür zu entriegeln. Dazu muss er mit seinem Vorwissen die Schritte 2 bis 4 durchführen. Der Besitzer bekommt von den Vorgängen nichts mit – bis auf die Tatsache, dass sein Auto ausgräumt oder komplett gestohlen wurde.
Klingt zu schön, um wahr zu sein.
Es gibt noch Nachholbedarf. Vor allem mittelständische Unternehmer sagen mir: Wenden Sie sich an den IT-Beauftragten, der ist für das Thema zuständig. Das ist falsch. Es geht eben nicht um das Fachthema IT-Sicherheit, sondern darum, dass die Eigentümer und Vorstände ein neues Digitalisierungsverständnis bekommen. Wenn die Eigentümer sich nur über die Chancen der Digitalisierung Gedanken machen und die Cybersicherheit nur einem Fachmann überlassen, dann läuft etwas schief. Digitalisierung und Cybersicherheit sind zwei Seiten der gleichen Medaille.
"Investitionen in die IT-Sicherheit sind Investitionen in den Geschäftserfolg"
Ziel Ihrer Arbeit ist es, die digitale Welt sicherer zu machen. Tatsächlich nehmen die Bedrohungen zu. Was machen Sie falsch?
Das ist die falsche Frage. Wir sind nicht die Institution, deren Aufgabe es ist, alle Verschlüsselungs- und Sicherheitsthemen der Wirtschaft festzulegen. Wir haben die Aufgabe, die Kommunikation des Bundes und der angeschlossenen Behörden sicherer zu machen. Und dort ist die Lage nicht schlimmer geworden. Die Angriffe auf das Regierungsnetz haben zwar zugenommen. Aber bisher haben wir die Tore geschlossen und sauber gehalten. Das war und ist nicht ganz einfach. Aber es gelingt.
Also betreiben die Unternehmen, die Opfer eines Angriffs werden, schlicht nicht genug Aufwand?
IT-Sicherheit kostet Geld und ist sehr mühselig. Aber Investitionen in die IT-Sicherheit sind Investitionen in den Geschäftserfolg. Wir fokussieren uns auf die Sicherheit, die Wirtschaft dagegen mehr auf die leichte Anwendbarkeit. Die Bundesregierung könnte ähnlich hohe Sicherheitsstandards per Gesetz anordnen. Aber das Innovationstempo rund um die Vernetzung ist so hoch, dass der Gesetzgeber immer hinterherhinken würde. Deshalb empfehlen wir Mindestanforderungen, die Unternehmen dabei helfen, für angemessene Cybersicherheit zu sorgen. Wie viele Feuerlöscher haben Sie in Ihrem Büro? Wahrscheinlich genau die Anzahl, die gesetzlich vorgeschrieben ist.
Brauchen wir nicht in Wirklichkeit vor allem eine IT-Elitetruppe, die bei Hackerangriffen reagiert?
Das Bundesinnenministerium überarbeitet gerade die Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung. Eine der Überlegungen ist, genau solche schnellen Eingreiftruppen im BSI aufzubauen, die bei IT-Sicherheitsvorfällen in der Bundesverwaltung tätig werden können. Legt heute ein Cyberangriff ein Unternehmen lahm, dann ist es bisher nicht Aufgabe des BSI, Spezialisten loszuschicken. Auf Anforderung, und wenn wir es für relevant erachten, wäre dies eine Option.
Wieso gibt es so eine Truppe nicht schon längst? Bei einem Brand kommt doch auch zuerst die Feuerwehr, bevor die Polizei ermittelt.
Bei besonderen Vorfällen haben wir auch in der Vergangenheit schon vor Ort unterstützt, zum Beispiel im Deutschen Bundestag oder im Krankenhaus in Neuss. Das entscheiden wir von Fall zu Fall. Insbesondere bei komplexen Vorfällen schicken wir gerne Teams, auch um daraus zu lernen. Aber bisher gibt es keinen Rechtsanspruch darauf.