WirtschaftsWoche: Herr Lucke, was ist wahrscheinlicher: Dass die „Alternative für Deutschland“ in den Bundestag einzieht – oder dass Griechenland in den nächsten Monaten weitere Hilfe braucht?
Bernd Lucke: Ich halte beides für sehr wahrscheinlich. Wir bekommen im Wahlkampf unglaublich viel Zuspruch von den Bürgern. Deswegen bin ich sehr optimistisch, dass unsere Partei bei den Bundestagswahlen die Fünf-Prozent-Hürde nimmt. Gleichzeitig ist es unstrittig so, dass Griechenland nach wie vor meilenweit davon entfernt ist, auf eigenen Beinen stehen zu können.
Was die AfD für die Euro-Rettung plant
Auflösung der bestehenden Währungsunion. Keine Hilfen an Krisenländer durch den ESM. Hoffnungslos überschuldete Staaten durch Schuldenschnitt entlasten. Gegen jede Form von Transfer- und Haftungsunion.
Keine. Also auch kein gemeinsamer Einlagensicherungsfonds. Sofortiges Verbot des Ankaufs von Schrottpapieren durch die EZB.
Banken, Hedgefonds und private Großanleger sollen als Nutznießer von Rettungsaktionen auch die Kosten hierfür tragen.
Verschlankung der EU durch mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten.
EU könnte auseinanderfallen, die nötigen Anpassungen zu schweren Turbulenzen führen.
Braucht das Land einen weiteren Schuldenschnitt?
Das Land wird zum Ende des Jahres auf einem Schuldenberg von etwa 350 Milliarden Euro sitzen. Das sind nahezu 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wenn Sie dann sehen, wie lange es gedauert hat, bis Athen nun zum ersten Mal einen kleinen Primärüberschuss erwirtschaftet hat, ist klar: Die Schuldenlast ist viel zu groß. Das wird im Übrigen auch von allen Fachleuten so gesehen, einschließlich des Internationalen Währungsfonds, der sonst immer auf Seite der Bundesregierung steht.
Die Schwarz-Gelbe Koalition hat vor Kurzem erstmals eingeräumt, dass Griechenland möglicherweise neue Hilfen braucht. Sie spricht aber lieber von einer Streckung der bislang gewährten Kredite, als von einem Schuldenschnitt.
Wenn Sie die Laufzeiten von Krediten strecken oder deren Zinssätze reduzieren, dann ist das auch eine Art Schuldenschnitt. Kein Gläubiger wird das freiwillig tun. Jeder Barwertverzicht – und darum handelt es sich hier – ist de facto ein Haircut. Die Bundesregierung betreibt Schönfärberei.
Das Entstehen der AfD
Gründung des „Plenums der Ökonomen“ durch VWL-Professor Bernd Lucke. Ziel: Aufklärung über die Gefahren der Euro-Rettungspolitik.
Das Plenum spricht sich mit großer Mehrheit gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) aus.
Gründung „Bündnis Bürgerwille“. Unterschriftenaktion für geordnete Staatsinsolvenzen. Unterstützer (u. a.): Bund der Steuerzahler, zahlreiche Bundestagsabgeordnete aus Union und FDP.
Gründung der Wahlalternative 2013. Kooperation mit Freien Wählern. Credo: Deutsche Steuerbürger haften nicht für die Schulden europäischer Staaten.
Niedersachsen-Wahl. Freie Wähler/ Wahlalternative erreichen 1,1 Prozent. Führungsstreit.
Gründung der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD). Ziel: Einzug in den Bundestag. Programm: die geordnete Auflösung des Euro-Währungs- gebietes.
Erste öffentliche Veranstaltung in der Stadthalle Oberursel / Hochtaunuskreis. 1300 Besucher.
Gründungsparteitag in Berlin. Vierseitiges Wahlprogramm. Dreiköpfiges Sprecherteam.
Zahl der Mitglieder übersteigt 10.000. Gründung und Aufbau der Landesverbände.
Bestellung von zwei hauptamtlichen Geschäftsführern. Aufbau einer Mitgliederverwaltung. Vorbereitung eines ordentlichen Parteiberichts.
Nachweis von mindestens 2000 Unterstützer- Unterschriften pro Bundesland. Sonst keine Zulassung zur Wahl.
Bundestagswahl. Ziel: zweistelliges Ergebnis.
Wie lautet ihr Alternativplan im Umgang mit Griechenland und den anderen Euro-Krisenländern?
Unsere Forderung ist, dass keine weiteren Hilfskredite aus dem ESM bewilligt werden. Daraufhin müssten die Krisenstaaten in eine Staatsinsolvenz gehen. Für Griechenland & Co. wäre das gut, weil sie so entschuldet werden würde und eine Chance zum Neuanfang bekämen. Wir würden das Problem endlich an der Wurzel anpacken.
Das sieht man in Athen anders.
So lange die Hilfskredite fließen, ist das auch kein Wunder. Es geht darum, die wirtschaftlichen Anreize so zu setzen, dass Griechenland freiwillig austritt. Die Märkte senden die Signale ja, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit des Landes richtig einschätzen und nicht mehr bereit sind, dem Land Kredite zu geben. Nur: Die Markteinschätzung wird durch die Bewilligung von ESM-Krediten und der Politik der Europäischen Zentralbank übertüncht. Ich bin fest davon überzeugt, dass es im griechischen Interesse ist, aus der Währungsunion auszutreten, wenn es keine Rettungskredite mehr gibt. Sollten die Griechen akzeptieren, dass sie keine Hilfskredite mehr bekommen und trotzdem in der Euro-Zone bleiben wollen, dann sollen sie das in Gottes Namen tun. Das wäre zwar zum Nachteil Griechenlands, aber nicht mehr zu Lasten der Euro-Partner.
Wie die AfD sich Europa nach dem Euro vorstellt
Was müsste bei einem Euro-Aus Griechenlands beachtet werden?
Die Insolvenz müsste so vorbereitet werden, dass die systemrelevanten Banken rekapitalisiert werden. Das sollte zunächst zu Lasten der Eigentümer und dann zu Lasten der Großgläubiger mit Einlagen über 100.000 Euro, gehen. Großgläubiger sollten auch nicht etwa enteignet werden, sondern über debt-for equity swaps einen Teil ihrer Forderungen gegen junge Aktien der Bank tauschen. Sie werden also zu neuen Eigentümern der Bank. Nur wenn eine Bank so marode ist, dass auch das nicht ausreicht, müsste der Sitzstaat der Bank oder, wenn der nicht kann, die Euro-Zone einspringen. Aber das ist angesichts der Einlagen der Großgläubiger nicht sehr wahrscheinlich.
Die wichtigsten Köpfe in der AfD
Professor, Gründer des Plenums der Ökonomen
Der 51-Jährige wurde bei Gründung der AfD ihr Sprecher. Der Vater von fünf Kindern lehrt Makroökonomie an der Universität Hamburg. Über 300 Wissenschaftler schlossen sich seinem „Plenum der Ökonomen“ an, das als Netzplattform Wirtschaft erklärt. Nach 33 Jahren trat Lucke Ende 2011 aus der CDU aus. Er trat als Spitzendkandidat der AfD für die Europawahlen an und wechselte im Sommer 2014 nach Brüssel.
Anwältin, Gründerin der Zivilen Koalition
Die Juristin, die zunächst 2012 Mitglied der FDP war, ist seit 2013 Mitglied der AfD. Sie wird dem rechtskonservativen Flügel der Partei zugerechnet. Sie engagiert sich neben der Euro-Rettung vor allem für eine christlich-konservative Familienpolitik. Am 25. Januar 2014 wurde von Storch vom Bundesparteitag der AfD in Aschaffenburg mit 142 von 282 Stimmen auf Platz vier der Liste zur Europawahl gewählt - und zog anschließend ins Europaparlament ein.
Emeritierter Professor für Volkswirtschaft
Im Kampf gegen den Euro hat er die größte Erfahrung: 1998 klagte er gegen dessen Einführung vor dem Bundesverfassungsgericht, 2011 gegen die Rettungsmaßnahmen. Der 72-Jährige, einst Assistent von Alfred Müller-Armack, führt den wissenschaftlichen Beirat der AfD – so etwas hat keine andere Partei.
Promovierte Chemikerin und Unternehmerin
Nach dem Studium gründete die Mutter von vier Kindern 2007 ihr eigenes Chemieunternehmen Purinvent in Leipzig – mit dem Patent auf ein umweltfreundliches Dichtmittel für Reifen. Sie fürchtet, ihre demokratischen Ideale würden „auf einem ideologisierten EU-Altar geopfert“. Seit 2013 ist sie eine von drei Parteisprechern und Vorsitzende der AfD Sachsen
Journalist, Publizist, Altsprachler und Historiker
Bei den bürgerlichen Blättern – 21 Jahre im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen“, sieben Jahre als politischer Chefkorrespondent der „Welt“ – erwarb er sich den Ruf als konservativer Vordenker. Sozial-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik sind auch im Sprecheramt der AfD seine Schwerpunkte.
Beamter, Politiker, Herausgeber, Publizist
Der promovierte Jurist leitete die hessische Staatskanzlei unter CDU-Ministerpräsident Walter Wallmann. Dann Geschäftsführer und Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ in Potsdam. Führte die brandenburgische AfD bei den Landtagswahlen zu einem überraschend starken Ergebnis und führt nun die Fraktion im Landtag an.
Ohne Hilfskredite für in Not geratene Staaten würde sich das Gesicht der Euro-Zone schlagartig verändern. Wie sähe perspektivisch die Währungsunion aus, wenn Ihre Pläne aufgegriffen würden?
Ich bin sehr skeptisch, ob wir dann langfristig noch eine Euro-Zone hätten. Wenn wir ehrlich sind, schadet der Euro nicht nur Griechenland, Portugal, Spanien & Co. Auch Frankreich etwa hat große Probleme und wäre meiner Ansicht nach gut beraten, ebenfalls aus dem Euro auszutreten und lieber eine nationale Währung einzuführen. Die Franzosen könnten ihre Währung ja auch am Euro orientieren und schauen, ob sie wirtschaftlich Schritt halten können. Wenn nicht, hätte Paris die Möglichkeit abzuwerten. Allerdings würde ein Austritt Frankreichs aus der Euro-Zone dazu führen, dass der Restverbund sehr von Deutschland dominiert wäre, also ein Verbund mit Österreich, den Niederlanden, und vielleicht Finnland und Estland. Das ist politisch schwierig. Schon um die Franzosen nicht öffentlich zu degradieren, sollte man dann lieber die Rest-Euro-Zone vollständig auflösen.
Und in der Übergangszeit gibt es eine Parallelwährung?
Sie können nicht über Nacht eine Währung durch eine andere ersetzen, das stimmt. Das geht schon aufgrund der ganzen Geldautomaten nicht, die umgestellt werden müssten. Das braucht Zeit, wie bei der Euro-Einführung. Damals haben wir mit der D-Mark weiter bezahlt, obwohl elektronisch schon die Gemeinschaftswährung installiert war. Beim Euro-Ausstieg eines Landes würden wir zunächst weiter mit den bisherigen Scheinen und Münzen zahlen, die nationale aber parallel als Buchgeld verwenden.
Wäre die Euro-Abwicklung gleichzeitig das Ende der europäischen Integration?
Nein, warum? Europa ist mehr als die Gemeinschaftswährung. Länder wie Dänemark, Großbritannien oder Schweden sind heute ja nicht deintegriert, weil sie nicht am Euro teilnehmen. Ich finde: Wir sind mit der Euro-Einführung einfach einen Integrationsschritt zu weit gegangen. Die AfD schlägt vor, diesen letzten Schritt rückabzuwickeln, weil er sich schlicht nicht bewährt hat. Alles, was in Europa sinnvoll ist, bleibt aber aufrecht erhalten: der Binnenmarkt, der freie Kapitalverkehr, die gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik und der freie Personenverkehr.
Der freie Personenverkehr hat nicht nur Segen gebracht: Aus Osteuropa sind viele Armutsmigranten nach Deutschland gekommen.
Die Niederlassungsfreiheit hat sich in Europa bewährt. Da wollen wir keine Einschränkung. Wahr ist aber, dass es Armutsmigration gibt, weil wir attraktive und beitragsfreie Sozialleistungen haben wie etwa das Kindergeld. Dafür muss das europäische Sozialrecht angepasst werden. Unsere Forderung ist: Der Anspruch auf die beitragsfreien Sozialleistungen muss sich immer gegen das Heimatland der Betroffenen richten.
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