BND-NSA-Affäre Deutscher Geheimdienst im Zwielicht

Die BND-Affäre wirft viele Fragen auf – und birgt für die Koalition eine gewisse Sprengkraft. Dass liegt auch daran, dass nicht immer klar ist, wie es der deutsche Auslandsgeheimdienst mit dem Gesetz hält.

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Das Gebäude der neuen Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Berlin. Die Spionage-Affäre um den BND und den US-Geheimdienst NSA setzt auch das Bundeskanzleramt unter Druck. Quelle: dpa

Berlin Die Spionage-Affäre um den Bundesnachrichtendienst BND und den US-Geheimdienst NSA wirft die Frage auf, ob die Politik die für sie arbeitenden Dienste noch im Griff hat oder ob hier etwas aus dem Ruder läuft. Wie brisant das Thema ist, zeigen die Versuche der Politik, die aktuelle Geheimdienstaffäre zu bewältigen.

Es geht um Verantwortlichkeiten. Dem Kanzleramt obliegt die Aufsicht über die Arbeit der deutschen Geheimdienste. Daher werden dort die Schuldigen gesucht. Die SPD und ihr Vorsitzender Sigmar Gabriel zielen dabei auf die CDU. Und die CDU zielt auf die SPD.

Gabriel ist allerdings sogar so weit gegangen ist, dass er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schon für all das in Haftung genommen hat, was bei der Aufarbeitung der Affäre noch ans Tageslicht kommen könnte. Indem er aus vertraulichen Gesprächen mit Merkel zitierte, rückte er die Kanzlerin in den Fokus. Zweimal, so Gabriel, habe Angela Merkel ihm persönlich versichert, dass nichts darauf hinweise, dass der BND einen Beitrag zur Wirtschaftsspionage durch den US-Geheimdienst NSA leistete.

Die Äußerungen Gabriels bergen eine gewisse Brisanz, weil sie eine Vorfestlegung in einem Bereich darstellen, der selbst für Experten nicht ganz durchschaubar ist. Verfassungsrechtler treibt schon länger die Frage um, wie es denn der deutsche Auslandsgeheimdienst BND mit dem Gesetz hält.

Dass der BND für die NSA offenbar bereitwillig von Deutschland aus europäische Konzerne, Ministerien und Behörden ausspioniert hat, könnte nach Einschätzung des Leipziger Staatsrechtlers Christoph Degenhart nicht durch das Grundgesetz gedeckt sein.

Die rechtliche Bewertung der Tätigkeit des BND bewege sich zwar in einer „Grauzone“. Agiere der Dienst allerdings im Inland gelte der Grundgesetzartikel 10 (Art. 10 GG), der eine Schutzpflicht des Staates dagegen begründe, „dass ausländische Nachrichtendienste hier das Fernmeldegeheimnis missachten“, sagte Degenhart dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „Und erst recht dürfen staatliche Stellen, also auch der BND, nicht an Aktionen eines ausländischen Nachrichtendienstes in der Bundesrepublik mitwirken, die ihm selbst versagt wären“, fügte der Verfassungsjurist hinzu.

Der Präsident des BND, Gerhard Schindler, wies in der aktuellen Affäre den Vorwurf des Landesverrats weit von sich. Er sagte, dies sei „schlicht und einfach abwegig“. Der BND arbeite für deutsche Interessen, für Deutschland und sonst für niemanden. Er sei deshalb „kein willfähriges Werkzeug der USA“, so Schindler.

Er betonte, die Leistungsfähigkeit des Dienstes hänge sehr von internationaler Zusammenarbeit ab, und die drohe Schaden zu nehmen angesichts der „stückweisen Zerlegung eines Nachrichtendienstes“. Schindler wird am Mittwoch vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags (PKGr) aussagen.


BND-Tätigkeit im Ausland juristisch „weitgehend ungeklärt“

Inwieweit der entsprechende Artikel im Grundgesetz auch für Tätigkeiten des BND im Ausland gelte, sei hingegen „weitgehend ungeklärt“, sagte Degenhart weiter. Gleichwohl werde aus verfassungsrechtlicher Sicht gegen eine Zusammenarbeit des BND mit ausländischen Geheimdiensten nichts einzuwenden sein, wenn sie im Rahmen eines Bündnisses erfolge. „Das Grundgesetz ermächtigt ausdrücklich zum Eintritt in Systeme kollektiver Sicherheit“, erläuterte der Jurist.

Der BND sei auch auf diese Zusammenarbeit angewiesen, wenn er seine Aufgaben erfüllen solle. „Deshalb ist auch die Nutzung von Daten nicht generell im Widerspruch zu Art. 10 GG zu sehen, die von einem ausländischen Nachrichtendienst gewonnen und übermittelt wurden.“

Inwieweit der BND sich an Recht und Gesetz hält beschäftigt seit längerem auch ein Bundestags-Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Spähaffäre rund um den US-Geheimdienst NSA. Vor etwa zwei Jahren war bekanntgeworden, dass die Nationale Security Agency (NSA) und andere ausländische Nachrichtendienste im großen Stil deutsche Daten abgeschöpft haben. Selbst ein Handy von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wurde abgehört.

Verfassungsrechtler haben daraufhin im NSA-Ausschuss des Bundestages deutliche Vorbehalte gegen die Arbeit des BND im Ausland angemeldet. Der deutsche Auslandsgeheimdienst agiere bei der Auslandsaufklärung „weitgehend im rechtsfreien Raum“, sagte damals der Mannheimer Professor für Öffentliches Recht, Matthias Bäcker.

Andere Staatsrechtler, darunter der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, mahnten im Ausschuss mit Blick auf die NSA-Affäre, der deutsche Staat stehe in der Pflicht, seine Bürger besser vor Ausspähung und Überwachung zu schützen.

Die Juristen äußerten sich in der ersten öffentlichen Sitzung des NSA-Ausschusses vor etwa einem Jahr. Die Staatsrechtler stellten Gutachten vor – unter anderem zu den Schutzpflichten des Staates, aber auch zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Arbeit der deutschen Nachrichtendienste.


Geheimpapier der Bundesregierung enthüllt pikante Details

Bäcker beklagte, der BND habe für die Überwachung von Kommunikation im Ausland keine ausreichende gesetzliche Grundlage, sondern stütze sich allein auf seine Aufgabenzuweisung. Der Geheimdienst könne so weitgehend nach Belieben Daten sammeln, speichern und auswerten. Vielleicht tue der BND das faktisch nicht, aber die Möglichkeit bestehe. Angesichts dessen sei es wenig glaubwürdig, auf ausländische Nachrichtendienste wie die NSA zu zeigen. Wenn der BND alles dürfe, was man ausländischen Diensten vorwerfe, „dann ist das in einem Rechtsstaat kein besonders erfreulicher Zustand“.

Auch Papier und der frühere Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem mahnten, Grundrechte wie das Fernmeldegeheimnis hätten auch außerhalb Deutschlands Geltung. Und der BND müsse sich auch dort an die deutschen Gesetze halten.

Die Juristen erinnerten den Staat an seine Schutzpflichten gegenüber den Bürgern. Es gebe eine staatliche Verpflichtung, für eine Grundrechte wahrende und sichere Kommunikationsinfrastruktur zu sorgen. Ausländische Nachrichtendienste hätten kein Recht, in Deutschland Kommunikation zu überwachen. Eingriffe ausländischer Stellen in die deutschen Grundrechte müsse der Staat unterbinden.

Diese Frage dürfte auch jetzt wieder eine Rolle spielen, nachdem die Bundesregierung in einem Geheimpapier bestätigt hat, dass die NSA mindestens bis August 2013 deutsche und europäische Ziele ausgespäht hat. Das ZDF-Politmagazin „Frontal21“ konnte das Papier vom Montag nach eigenen Angaben einsehen.

Demnach stellte der BND noch am 26. August 2013 fest, dass die NSA aktuelle Mail-Adressen von europäischen Politikern, Ministerien europäischer Mitgliedsstaaten, EU-Institutionen, aber auch Vertretungen deutscher Firmen ausspähe. Die amerikanische Spionage-Praxis habe gegen deutsche Interessen verstoßen, werde in dem Papier eingeräumt.

Schon das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und die „Bild am Sonntag“ hatten in ihren jüngsten Ausgaben gemeldet, der BND sei im August 2013 auf mehrere Tausend Selektoren gestoßen, mit denen die NSA Diplomaten und Mitarbeiter europäischer Regierungen habe ausforschen wollen – unter anderem in Österreich. Der BND soll die Begriffe daraufhin aus der aktiven Suche herausgenommen haben.

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