Bürokratie Was kosten deutsche Gesetze?

Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) überprüft seit einem Jahr alle Folgekosten von Gesetzesentwürfen. Er setzt damit neue Maßstäbe für die Transparenz des Gesetzgebungsverfahrens.

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Das A bis Z der unsinnigsten Regelungen
Aufbewahrungsfrist Quelle: vision photos/R.Klostermeier
B - Bananenmarktordnung der EU: Wie müssen Bananen aussehen? Eine Banane ist nur dann für EU-Bürger geeignet, wenn sie mindestens 14 Zentimeter lang und 2,7 Zentimeter dick ist, sie darf keine Beschädigungen aufweisen und noch nicht gereift sein, schließlich muss sie noch transportiert werden können und nachreifen. Diese Verordnung gibt es seit 1993 - ursprüngliches Ziel: In der EU produzierte Bananen gegenüber Importen aus Mittel- und Südamerika konkurrenzfähig zu machen und zu halten. Damit nicht genug: Weil Qualitätsanforderungen nicht genügten, um die Bananen konkurrenzfähig zu machen wurde eben diese Verordnung eingeführt. Seit dem gibt es drei Arten von Bananen, die, die direkt aus einem EU-Staat kommen, solche, die in Afrika, der Karibik oder dem Pazifikraum angebaut werden und Bananen aus allen anderen Anbaugebieten. Je nach Herkunft werden unterschiedliche Einfuhrzölle erhoben - zumindest für die Bananen aus Übersee. Quelle: AP
Corporate Social Responsibility-Katalog Quelle: dpa
Dienstwagenbesteuerung Quelle: ullstein bild
E-Bilanz-Pflichtangaben Quelle: ap
Fachkräfte-Visaantragsprozess Quelle: ap
Gelangensbestätigung Quelle: dpa

Seit einem Jahr darf der Nationale Normenkontrollrat (NKR) nicht nur den Bruchteil der Kosten überprüfen, der durch den Informationsaufwand von Regulieren anfällt, sondern nun auch bei den gesamten Folgekosten von Gesetzesentwürfen ein Wörtchen mitreden, um so die deutsche Bürokratie deutlich zu verschlanken. In seinem Jahresbericht 2012 mit dem Namen „Bessere Gesetzgebung – Bürger, Wirtschaft und Verwaltung spürbar entlasten“ schrieb der NKR seine Beobachtungsergebnisse aus dem ersten Jahr seiner Mandatserweiterung nieder und überreichte ihn heute Bundeskanzlerin Angela Merkel. 

Von 15 auf hundert

Obwohl der NKR seit Dezember 2006 die Mission Bürokratieabbau verfolgt, ist der diesjährige Jahresbericht der erste seiner Art. Denn der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hat vor gut einem Jahr, im Juli 2011, eine Mandatserweiterung erfahren. Bis dato konzentrierte er sich allein darauf, die Informationskosten von Regulierungen zu überprüfen. Damit ist der ganze zeit- und kostenaufwendige Papierkram gemeint, der anfällt, wenn Behörden Anträge, Formulare, Berichte oder Statistiken von Wirtschaft, Verwaltung und Bürgern einfordern.

In den 5 Jahren von 2006 bis 2011 durchforstete der Nationale Normenkontrollrat (NKR) insgesamt rund 2.000 Gesetzesvorhaben. Die Daten dafür lieferte das Statistische Bundesamt. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) schlug der Regierung zahlreiche Maßnahmen vor, um die Informationskosten der wuchernden Bürokratie von 50 Milliarden Euro um 22 Prozent auf rund 39,5 Milliarden Euro zu drücken. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) erreichte damit zwar schon starke Einsparungen, aber noch nicht ganz seine Zielsetzung, 25 Prozent der Kosten zu eliminieren.

Ich geh bis nach Karlsruhe!
Maastricht-UrteilAngesichts der Dimension des anstehenden ESM-Urteils ist es kaum zu glauben: Schon um den  Maastricht-Vertrag wurde 1993 vor dem Bundesverfassungsgericht eifrig gerungen. Unter den  Klägern, die sich um zu weitreichende Kompetenzübertragungen sorgten,  war damals auch Grünen-Urgestein Hans-Christian Ströbele.  Das Abkommen war aus ihrer Sicht nicht mit dem Demokratieprinzip vereinbar. Der Kompetenzzuwachs der Europäischen Union sei mit einer Entmachtung des Bundestages in seinen Kernbereichen gleichzusetzen und daher nicht verfassungskonform. Die Karlsruher Richter sahen das anders und lehnten die Klagen im Dezember mit der Begründung ab, dass weder die parlamentarische Demokratie, noch andere Verfassungsnormen durch den Vertrag von Maastricht in Gefahr gebracht würden. Das Urteil ermöglichte in Folge die Gründung der Währungsunion, die letztlich zum Euro führte. Dennoch blieb die Bevölkerung gespalten. Einige der Kläger, die heute gegen den ESM opponieren, standen schon damals auf der Klägerseite. Quelle: dpa/dpaweb
VermögenssteuerWenn dieser Tage Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert-Walter Borjans über den Bundesrat eine Vermögenssteuer auf den Weg bringen will, wird er von Koalitionsseite mit den Worten abgekanzelt, das sei „mit der Verfassung nicht zu machen“.  Dabei beziehen sich konservative Politiker auf einen Richterspruch aus dem Sommer 1995: Die damals existierende Vermögenssteuer sei verfassungswidrig, so das Urteil. Die Richter begründeten dies mit der Besserstellung von Immobilien im Gegensatz zu anderen Wertanlagen. In der Folge wurde die Steuer abgeschafft. Was die Mahner von heute gerne für sich behalten: Damit ging die Regierung weit über die Forderungen des Gerichts hinaus – das hatte lediglich eine stärkere Besteuerung von Immobilien gefordert. Seit ihrer Aussetzung im Jahr 1997 tobt eine Debatte um die Wiedereinführung der Steuer. Parteien wie SPD, Grüne und Linke, sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund legten mehrfach Entwürfe und Initiativen zur Neugestaltung der Vermögenssteuer vor. Quelle: dapd
SpekulationssteuerNoch eine verbotene Steuer, deren Wiedereinführung seit der Abschaffung immer wieder ins Gespräch kommt: 2004 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Besteuerung von Spekulationsgewinnen und Wertpapiergeschäften für unzulässig, die zumindest für die Jahre 1997 und 1998 gegolten hatte. Doch das lag weniger an der Steuer selbst, als an ihrer stümperhaften Ausführung. Denn dem Staat lagen nur unvollständige Informationen und Daten zu den Finanzgeschäften vor, somit mussten sich die Behörden auf die Steuererklärungen der Bürger verlassen um die Steuer zu erheben. Kein Wunder, dass die Steuer schnell den Beinamen „Dummensteuer“ erhielt. Die Richter kreideten der Steuer deshalb ein  sogenanntes „strukturelles Vollzugsdefizit“ an, da die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit schon im Gesetz selbst angelegt war. Eine Renaissance erlebt die Idee der Spekulationssteuer seit der Finanzkrise in Form einer europäischen Finanztransaktionssteuer. Quelle: dpa
DatenschutzEin Dauerkonflikt, der seit Bestehen der Bundesrepublik immer wieder auch vor dem höchsten Gericht ausgefochten wird, ist die Abwägung zwischen gesellschaftlicher Sicherheit und individuellen Freiheitsrechten. So verbot das Bundesverfassungsgericht 2006 die Rasterfahndung in Nordrhein-Westfalen. Das Urteil untersagt den zuständigen Behörden, präventiv Datenbanken und Akten zu durchforsten um frühzeitig terroristische Aktivität zu unterbinden. Diese Untersuchungen seien erst verfassungskonform und mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar, wenn eine konkrete Bedrohungslage vorliegt. Damit kam das Gericht nach langen Jahren der Kritik nach, die Fahndungsmethode hebe das Prinzip der Unschuldsvermutung auf. Der Druck erhöhte sich, nachdem bekannt geworden war, dass auf 8,3 Millionen Untersuchungen nur ein einziges Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Trotz der langanhaltenden Debatten waren die praktischen Auswirkungen des Urteils auf die Polizeiarbeit dann auch eher gering. Quelle: dapd
Benetton-Entscheidung„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – dieser Satz galt lange Zeit als zwar eleganteste, aber auch irrelevanteste Passage des Grundgesetzes. In den Benetton-Entscheidungen 2000 und 2003 zeigte sich jedoch, dass auch über diese Klausel zumindest trefflich diskutiert werden kann. Zuvor hatte das italienische Modeunternehmen Benetton mit den Bildern von Kinderarbeit und HIV-Patienten für die Marke geworben, das deutsche Magazin „stern“ hatte die Werbung veröffentlicht. Der Bundesgerichtshof hatte die Werbung verboten, sie verletze die Menschenwürde. Die Karlsruher Richter veränderten die Abwägung zugunsten der Presse:  Sie widersprachen den Vorinstanzen und erklärten die umstrittene Werbung  für zulässig. Das Bundesverfassungsgericht begründete sein Urteil mit der Meinungs- und Pressefreiheit, dessen essentieller Teil auch Werbung sei. Der Beschluss führte bei Tierschützern und Menschenrechtsaktivisten zu großen Protesten. Quelle: dpa
Negatives StimmgewichtManche Urteile des Bundesverfassungsgerichts sind nicht nur bis heute relevant, sondern werden wohl noch weit in die Zukunft hineinwirken – weil die Politik sich weigert, die Auflagen des Gerichts vollständig umzusetzen. So ist es bei den Hartz-IV-Sätzen und auch beim Wahlrecht: Schon  2008 erklärten die Karlsruher Richter das geltende Wahlgesetz für ungültig. Sie mahnten eine Veränderung der Wahlregeln an, da diese in Ausnahmen paradoxe Ergebnisse zur Folge haben können. Denn der Effekt des „negativen Stimmgewichts“ bewirkt, dass weniger Stimmen zu mehr Sitzen führen können. Das Gericht verordnete den Regierungsparteien im Anschluss an das Urteil eine zeitliche Frist, in der Korrekturen vorgenommen werden sollen. Da die geltenden Regeln für die großen Parteien, insbesondere die CDU, jedoch durchaus angenehme Folgen haben, wurde eine grundlegende Änderung aufgeschoben, schwarz-gelb begnügte sich mit kosmetischen Korrekturen. Gegen die klagten SPD und Grüne erneut, 2012 bekamen sie erneut Recht:  Auch das geänderte Bundestagswahlrecht verstoße „gegen die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien“, urteilten die Richter. Jetzt läuft die nächste Runde. Quelle: dpa

Im letzten Jahr nun überprüfte der Nationale Normenkontrollrat (NKR) zum ersten Mal sämtliche Folgekosten von bundesdeutschen Gesetzesvorhaben. Das sind all jene Erfüllungskosten, die über das eigentliche Budget des Gesetzes hinausgehen und rein durch die Umsetzung der Regelungen entstehen. Beim Betreuungsgeld etwa ist ein Budget von 150 Euro pro Kind angesetzt, darüber hinaus fallen aber vor allem Personalkosten in den Kommunalverwaltungen für die Beratung der Eltern oder die Umsetzung der Anträge an.

Jene Kosten sind nicht im eigentlichen Gesetzesbudget ausgewiesen, sondern werden als zusätzliche Erfüllungskosten geschätzt. Johannes Ludewig, Vorsitzender des Nationale Normenkontrollrat (NKR), sagt: „Bis 2011 hatten wir mit den Informationsbelastungen nur rund 15 Prozent der Bürokratiekosten im Blick. Doch seit letztem Jahr überprüfen wir mit dem Erfüllungsaufwand die vollen 100 Prozent der Folgekosten. Das führt zu deutlich mehr Transparenz im Gesetzgebungsverfahren.“ 

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