Eine Einigung zwischen Regierung und Opposition über die Verabschiedung des Fiskalpakts noch vor der Sommerpause ist noch in weiter Ferne. Die Bundesregierung versicherte am Freitag, sie arbeite mit Hochdruck an Vorschlägen für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa. Details wollte ein Sprecher nicht nennen. Für SPD und Grüne sind Wachstums-Initiativen eine Bedingung für ihre Zustimmung, ohne die der Fiskalpakt in Deutschland nicht ratifiziert werden kann. Rechtliche Bedenken hat die Regierung aber nach eigenen Angaben gegen die Oppositionsforderung nach Einführung eines Schuldentilgungsfonds in Europa. Für die SPD unterstrich Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier seinerseits, ohne die Einigung auf eine Finanztransaktionssteuer werde seine Partei dem Fiskalpakt nicht zustimmen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Donnerstag versucht, in einem Spitzengespräch mit den Partei- und Fraktionschefs aller Bundestagsparteien Hindernisse für die Verabschiedung des Fiskalpakts auszuräumen. SPD und Grüne hatten danach von Annährung in der Frage ergänzender Wachstumsimpulse gesprochen und die Bereitschaft erklärt, unter Bedingungen noch vor der Sommerpause über den ESM und parallel den Fiskalpakt abzustimmen. Für den Fiskalpakt sind Zwei-Drittel Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat nötig. Ob eine schnelle Einigung gelinge, sei aber weiterhin offen, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel am Freitag im Deutschlandfunk.
Nicht bestätigen wollte Regierungssprecher Steffen Seibert einen Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, nach dem die Regierung einen „Sechs-Punkte-Plan“ für mehr Wachstum erarbeitet habe. Teil des Konzepts sei die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen in Krisenländern mit steuerlichen Begünstigungen für ausländische Investoren, meldete das Magazin. Dazu sei an den Aufbau von Treuhandanstalten nach deutschem Muster, an Privatisierungsfonds und die Übernahme des deutschen dualen Ausbildungssystems gedacht. Der Sprecher des Bundesfinanzministeriums verwies darauf, dass gesonderte steuerliche Vergünstigungen Probleme mit dem EU Wettbewerbsrecht auslösen könnten.
Außenminister Guido Westerwelle hatte kürzlich sechs Punkte für einen Wachstumspakt in Europa vorgestellt. Darin plädierte er für die Verwendung unverbrauchter EU-Strukturmittel für Wachstumsprojekte besonders in Krisenländern wie Griechenland, für mehr Kreditmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen, einen Ausbau europäischer Netze, aber auch für Ausgabendisziplin in der EU. Federführend arbeitet das Wirtschaftsministerium an diesen Vorschlägen, das selbst schon ein 16-Punkte-Papier dazu vorgelegt hatte.
SPD stellt Bedingungen
Für die SPD formulierte Steinmeier die Bedingungen umfassender. „Ohne eine Besteuerung der Finanzmärkte, ohne eine Stärkung der Investitionskraft und ohne eine Ausweitung des Kreditvolumens der Europäischen Investitionsbank wird die SPD den Weg der Bundesregierung nicht mitgehen“, sagte er dem „Spiegel“. Zudem plädierte er für einen Schuldentilgungsfonds.
SPD-Chef Gabriel unterstrich, es liege an Merkel, den Weg für schnelle Entscheidungen zum Fiskalpakt freizumachen. Notwendige Wachstumsimpulse könnten etwa bei der Gebäudesanierung ansetzen, dem Ausbau von Stromnetzen oder der Breitbandverkabelung. Finanziert werden könne das über noch freie Mittel in den europäischen Fonds sowie zusätzliche Kreditmöglichkeiten bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) über eine Kapitalerhöhung. Eurobonds ließen sich aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht von heute auf morgen einführen, räumte Gabriel ein.
Ein Schuldentilgungsfonds sei dagegen machbar, sagte der SPD-Chef. Regierungssprecher Seibert äußerte aber rechtliche Bedenken in der Frage, ob die gemeinschaftliche Haftung für Altschulden den europäischen Verträgen entspricht. Hinzu kämen weitere verfassungsrechtliche und ökonomische Fragen, die offen seien.
Derweil suchen die vier größten Volkswirtschaften der Eurozone im Ringen um einen Ausweg aus der Schuldenkrise den Schulterschluss. Die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien planen nach Angaben der Bundesregierung dazu in naher Zukunft ein Gipfeltreffen. Die Initiative ging offenbar von Monti aus.
Wie der Schuldentilgungsfonds funktioniert
Ziel des Schuldentilgungsfonds:
Der Sachverständigenrat selbst nennt den Fonds „eine Brücke in eine langfristige Stabilitätsordnung“. Sein Charakter ist eher ein präventiver denn der eines kurzfristiges Instruments gegen die Krise. Im Kern geht es darum, eine übermäßige Verschuldung der Euro-Länder jenseits einer Verschuldungsmarke von 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung in einem Zeitraum von 20 bis 25 Jahren auf Basis einer gemeinsamen Haftung abzubauen. Mit der Gründung eines solchen Fonds wäre nach Einschätzung des Rates „die klare, langfristige und glaubwürdige Verpflichtung aller teilnehmenden Länder für den Schuldenabbau“ gegeben - per se ein Signal auch an die Märkte.
Wie funktioniert der Fonds?
Alle Schulden der Teilnehmerstaaten oberhalb der Marke von 60 Prozent der Wirtschaftleistung sollen in den Fonds eingebracht werden. Zu Beginn wird also für jedes Land ein konkreter Euro-Betrag an Schulden vertraglich festgelegt, den sie somit auslagern können. Gemessen an den Zahlen zum Ende 2011 könnte der Fonds eine Größenordnung von 2,3 Billionen Euro erreichen. Italien hätte mit fast einer Billion Euro den größten Anteil daran, Deutschland käme immerhin auf knapp 600 Milliarden Euro, so die Berechnungen des Sachverständigenrates. Die Schuldentilgungsfonds würde einerseits Anleihen ausgeben, um mit Einnahmen daraus die Teilnehmerländer zu refinanzieren. Für dieses Papiere würden die Länder gemeinsam haften. Dadurch ergäbe sich etwa für die Krisenländer ein Zinsvorteil bezogen auf die Refinanzierung der ausgelagerte Schulden. Für Länder wie Deutschland, das für kurzfristige Kreditaufnahmen derzeit praktisch keine Zinsen zahlen muss, wäre das Ergebnis jedoch eine Verteuerung. Auch die Zinskosten für Anleihen, die in Eigenregie ausgegeben werden, könnten steigen.Auf der anderen Seite verpflichten sich die Länder des Fonds zu Zahlungen. Die Höhe der jährlichen Zahlungen bemisst sich im Grundsatz am Volumen der ausgelagerten Schulden. Im ersten Jahr, das den Orientierungspunkt für die Zahlungen in den Jahren danach bildet, überweist das Land die anteilig auf seine eingebrachten Schulden entfallenden Zinszahlungen. Darüber hinaus muss der Staat zusätzlich ein Prozent für die Tilgung überweisen. Grundsätzlich ist angestrebt, die Zahlungen so anzusetzen, dass die Länder ihre ausgelagerten Schulden nach maximal 25 Jahren getilgt hat. Allerdings müssen sich die Problemländer Auflagen gefallen lassen im Gegenzug zu den Zinsvorteilen. Eine Möglichkeit wäre, dass sie die Tilgungszahlungen durch neue Steuern finanzieren müssen, oder dass sie Sicherheiten hinterlegen müssen.
Die beiden Staaten verbleibenden Schulden sollten dann nicht mehr die Marke von 60 Prozent des BIP übersteigen. Abgesichert werden sollen die Schuldenbremsen in den nationalen Verfassungen. Der Fonds soll allen Euro-Ländern offenstehen, für die noch kein Hilfsprogramm gilt, so der Vorschlag der „Fünf Weisen“. Keine Kandidaten wären demnach Griechenland, Irland und Portugal. Sie sollten dem Fonds zwar formell beitreten können, ihre übermäßigen Schulden aber erst nach Abschluss ihres jeweiligen Anpassungsprogramms dorthin auslagern können.
Was unterscheidet den Fonds von Eurobonds?
Die vom Schuldentilgungsfonds am Markt aufgenommenen Gelder sind zeitlich wie volumenmäßig begrenzt. Durch die Tilgungszahlungen an den Fonds schrumpft das Volumen der gemeinsam garantierten Anleihen nach und nach - ähnlich wie bei einem Hauskredit. „Der Tilgungsfonds schafft sich somit selbst ab“, so der Rat. Laufende Haushaltskredite müssen die Länder weiter in eigener Verantwortung finanzieren. Traditionelle Eurobonds sind dagegen auf Dauer angelegt und im Volumen unbegrenzt.