Bundeswehr-Pannen und von der Leyen „Deutschland macht sich lächerlich“

Die Bundeswehr kämpft mit massiven Technikpannen, doch die Ministerin reist erstmal öffentlichkeitswirksam in den Irak. Das sorgt für Unmut, selbst beim Koalitionspartner SPD. Von der Leyen gerät allmählich unter Druck.

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Ursula von der Leyen (CDU) an Bord einer Transall im Irak: „Deutschland macht sich lächerlich Quelle: Reuters

Berlin „Dass die Bundeswehr einsatzbereit ist, beweist sie täglich und weltweit in 17 Auslandseinsätzen“, zitiert die „Bild“-Zeitung Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Und zwar just an dem Tag, an dem Generalinspekteur Volker Wieker und die Inspekteure von Heer, Luftwaffe und Marine vor dem Verteidigungsausschuss des Bundestags Unangenehmes einräumen müssen: Mit der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, so Wieker, gebe es erhebliche Probleme.

Mängel an Fahrzeugen, Hubschraubern und Flugzeugen schränken die Einsatzfähigkeit der Truppe ihren eigenen Angaben zufolge teils stark ein. Ein Großteil der Kampfflugzeuge, Hubschrauber und Schiffe steht demnach derzeit nicht zur Verfügung. Nur 42 der 109 Eurofighter im Bestand der Luftwaffe sind aktuell für Übungen oder Einsätze nutzbar, beim Tornado ist das Verhältnis mit 38 von insgesamt 89 ähnlich schlecht. Vom Transporthelikopter NH90 stehen nur acht von 33 bereit, vom Kampfhubschrauber Tiger zehn von 31.

Ähnlich ist die Lage bei der Marine: Von den fünf Korvettten sind drei in der Werft, von vier U-Booten vom Typ U212 nur eines bereit. Schon zuvor war bekannt geworden, dass fast alle Marinehubschrauber am Boden bleiben müssen.

Kritiker halten von der Leyens Besuch für überflüssig

Ein weiteres aktuelles Beispiel ist der Fall der Bundeswehrausbilder, die in den Nordirak wollen. Sie starteten in der vergangenen Woche wegen eines Defekts ihres Flugzeugs verspätet mit einer Ersatzmaschine und sitzen nun seit Tagen in Bulgarien fest, weil auch diese kaputt ist.

Immerhin: Die Ministerin hat es geschafft, pannenfrei in den Nordirak zu fliegen. In der Kurdenhauptstadt Erbil will sie sich selbst ein Bild von der Lage machen. Wegen des Vormarsches der Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) haben sich Hunderttausende Menschen dorthin geflüchtet. Sechs Verbindungsoffiziere der Bundeswehr arbeiten seit Wochen bei der Koordination der humanitären Hilfe mit. Von der Leyen wird sie treffen, und auch ein Gespräch mit dem Kurden-Präsidenten Massud Barsani ist geplant.

Kritiker halten den Irak-Besuch in einer Situation, in der die Truppe in Deutschland mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hat, für überflüssig. Selbst der Koalitionspartner erwartet von der Ministerin, dass sie sich nun Handlungsfähigkeit beweist – aber nicht im Ausland.

„Die Ministerin muss jetzt klar machen, wo sie gegensteuern will“, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Auch der Verteidigungsexperte der Linksfraktion, Alexander Neu, forderte von der Leyen auf, nun die Verantwortung für die bestehenden Probleme zu übernehmen. „Nun wird sich herausstellen, ob sie es mit ihrer angekündigten tiefgreifenden Prüfung aller Rüstungsprojekte ernst meint und auch die Konsequenzen aus den Ergebnissen zieht, oder ob alles nur eine mediale Show ist“, sagte Neu dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).


FDP giftet gegen von der Leyens PR-Reise in den Irak

Die FDP bezweifelt schon jetzt, ob von der Leyen den Ernst der Lage begriffen hat. Die Große Koalition wolle mehr Verantwortung in der Welt übernehmen und schaffe es kaum, Waffen und Ausbilder in den Irak zu transportieren, kritisierte der Bundesvorsitzende der Liberalen, Christian Lindner. Damit mache sich Deutschland weltweit lächerlich. „Da hilft auch keine PR-Reise der Bundesverteidigungsministerin.“ Die Pannenserie der Bundeswehr offenbare vielmehr, dass Anspruch und Wirklichkeit nicht zusammenpassten.

Zum Anspruch von der Leyens zählt, dass sie selbst Akzente setzen will. Wer jedoch erwartet hat, dass sie einmal erklärt, welche strategische Ausrichtung die deutsche Armee in einer Zeit voller Konflikte haben soll, dürfte ziemlich enttäuscht sein. Eine grundsätzliche Rede zu den Schwerpunkten der Verteidigungspolitik hat die Ministerin bisher nicht gehalten.

Stattdessen hat die CDU-Politikerin als ihr wichtigstes Ziel ausgegeben, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen. „Unsere Soldatinnen und Soldaten lieben ihren Beruf, aber sie möchten auch, dass ihre Ehen halten und sie ein glückliches Familienleben führen“, erläuterte von der Leyen ihre Pläne Anfang des Jahres in der „Bild am Sonntag“. Die Truppe müsse Dienst- und Familienzeiten besser aufeinander abstimmen, verkündete die siebenfache Mutter.

Und sie führte weitere Punkte an: Flexibles System der Kinderbetreuung, mehr Tagesmütter für Randzeiten, Teilzeitmöglichkeiten mit einer Drei-oder Viertagewoche in der Familienphase, ein Lebensarbeitszeitkonto für Überstunden. Auch will sie sich das System der nahezu automatischen Versetzungen alle zwei bis drei Jahre „genau ansehen“ und Schluss mit dauernden Ortswechseln machen. Von der Qualität der Ausstattung bei der Truppe war nicht die Rede. Dabei hätte ihr damals schon dämmern können, dass die Bundeswehr schon in technischer Hinsicht kein Top-Arbeitgeber ist.

Die derzeitigen Mängel bei den Streitkräften seien auch auf die Bundeswehrreform ihres Vorgängers Thomas de Maizière (CDU) zurückzuführen, sagte der SPD-Verteidigungspolitiker Arnold. Wenn sie es ernst meine mit ihrer „Attraktivitätsoffensive“ für die Soldaten, müsse von der Leyen das Thema jetzt rasch angehen. „Wenn Soldaten mit mangelhafter Technik zu kämpfen haben und gleichzeitig das Wartungspersonal fehlt, weil es weggekürzt wurde, dann hat das mit Attraktivität nicht mehr viel zu tun“, sagte der SPD-Politiker. „Der Ministerin muss bewusst sein, dass die Probleme, die de Maiziere verursacht hat, jetzt ihre Probleme sind.“


CDU-Politiker macht Gabriel verantwortlich

In diese Richtung argumentierte auch der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. „Attraktivität des Dienstes und einsatzbereites Material sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Wir müssen uns um beides kümmern“, sagte Kiesewetter dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Die Sicherheit der Soldaten im Einsatz müsse gewährleistet sein. „Mittelfristig wird man deshalb nicht um eine Erhöhung von Haushaltsmitteln herumkommen“, ist der CDU-Politiker überzeugt. „Dabei sollte der Fokus auf Wartung von Waffensystemen liegen - hier kann auch die Reserve einbezogen werden.“

Ein weiterer Faktor ist aus Kiesewetters Sicht die Zuverlässigkeit der wehrtechnischen Industrie. „Die Lieferverzögerungen und technischen Defekte zeigen, dass auf Seite der Unternehmen nachgebessert werden muss“, sagte er. Die angespanntere wirtschaftliche Lage der Unternehmen spiele hier eine Rolle und müsse von der Politik aufgegriffen werden. Mit Blick auf Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) fügte Kiesewetter hinzu: „Die fehlgeleitete Rüstungsexportpolitik von Bundesminister Gabriel hat in diesem Zusammenhang offensichtlich eine fatalere Wirkung als bisher wahrgenommen.“

Der SPD-Politiker Arnold verortet die Schuldigen der Bundeswehr-Misere natürlich woanders. „Regierung und Bundeswehr haben uns nicht von sich aus berichtet, sondern erst, nachdem wir nachgefragt haben“, kritisierte er. Was im Verteidigungsausschuss an Mängeln präsentiert wurde, seien aber nur „Halbwahrheiten“. „Wenn in der Liste Waffensysteme als einsatzfähig deklariert werden, obwohl sie nur zu Übungszwecken taugen, dann ist das nicht hinnehmbar“, unterstrich Arnold. „Hier greift der alte Mechanismus, dass etwas schön geredet wird, was nicht mehr schön geredet werden kann.“

Die Grünen warfen von der Leyen Vertuschung der Probleme vor. „Die Bundeswehr bewertet ihr Material ja nicht erst seit einigen Wochen“, sagte der grüne Haushaltspolitiker Tobias Lindner „Spiegel Online“, „seit Amtsantritt der Ministerin allerdings haben wir nichts von den Problemen erfahren“. Der Vorgang rieche „nach Vertuschung“ durch von der Leyen, so Lindner.


„Das ist eine Blamage, die sich täglich vervielfacht“

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir kritisierte, dass sich Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt international zum Gespött mache. Bei Auslandsbesuchen erlebe er schon länger Lästereien über die Pleiteserie auf den Großbaustellen hierzulande, nun dürften noch „Bundeswehr-Witze“ dazukommen, sagte Özdemir der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Soldaten der Bundeswehr seien sehr engagiert, aber das Material - Helikopter, Eurofighter und Transportmaschinen - könnte vom Schrottplatz stammen. „Das ist eine Blamage, die sich täglich vervielfacht“, ist der Grünen-Politiker überzeugt.

Für den Linksfraktion-Abgeordneten Neu liegt die Lösung auf der Hand. Geht es nach ihm, dann würde ein Großteil des Verteidigungsetats für andere Zwecke verwendet. „Deutschland hat den siebtgrößten Verteidigungshaushalt weltweit und gibt jährlich 35 Milliarden Euro allein für Rüstungsprojekte, Auslandseinsätze und die Unterhaltung der Bundeswehr aus“, gab Neu zu bedenken. Trotz dieser enormen Summe sei aber die Einsatzfähigkeit nur bedingt gegeben.

„Das ist ein Unding angesichts der massiven Verschwendung von Steuergeldern“, so Neu. Anstatt weiter Gelder für „friedenspolitisch sinnlose und nicht funktionierende Rüstungsprojekte aus dem Fenster zu werfen“, sollte sich von der Leyen daher lieber für eine Stärkung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit einsetzen. „Für die Bekämpfung von Ebola oder anderer humanitärer Katastrophen wäre das Geld wesentlich nötiger und sinnvoller angelegt.“

Auch FDP-Chef Lindner hat einen Tipp für von der Leyen parat. „Für Abhilfe würde eine europäische Beschaffung und gemeinsame Nutzung militärischer Fähigkeiten sorgen“, ist er überzeugt. Die Idee einer europäisch integrierten Armee sei damit aktueller denn je. „Dieses Projekt anzugehen, würde nicht nur Geld sparen und die Effektivität erhöhen, sondern auch die gemeinsame Sicherheitspolitik stärken.“

Ob von der Leyen das auch so sieht? Momentan muss sie die akuten Probleme erst einmal in den Griff bekommen. Das wird keine einfache Aufgabe. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, rechnet nach Angaben von Teilnehmern der vertraulichen Sitzung des Verteidigungsausschusses nicht mit einer schnellen Besserung der Lage. Wieker gestand demnach ein, dass „der geschilderte Zustand noch einige Jahre erhalten bleiben“ wird.

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