CDU und CSU Einigkeit in Krisenzeiten

CDU und CSU wollen heute ihren Schwesternstreit auf einer Klausur in Potsdam beilegen. Der Abschied der Briten aus der Europäischen Union wird helfen, die Trennungsgedanken zu vertreiben.

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Zwischen CSU und CDU hatte es in den vergangenen Monaten geknirscht – unter anderem wegen der Flüchtlingskrise. Quelle: dpa

Berlin Ausgerechnet am Tag, nachdem sich die Briten mit knapper Mehrheit ihren Austritt aus der Europäischen Union beschlossen haben, versammeln sich die Spitzen von CDU und CSU. Über ihre Union wollen sie reden, über das Verbindende, um eine Trennung der großen von der kleinen Schwester zu vermeiden. Der Kontinent bebt, auf der Insel tritt Premier David Cameron zurück, die Finanzmärkte geraten in Panik, ein europäischer Staatschef nach dem anderen äußert sich an diesem Tag, während die Rechten die Renaissance des Nationalstaates feiern.

Umso wichtiger scheint es in diesen Stunden, dass die CDU und CSU in Deutschland wieder zur Einheit finden, anstatt über die Gründe für die Flüchtlingskrise, die schlechten Ergebnisse bei den Landtagswahlen im März oder das Erstarken der AfD am rechten politischen Rand zu streiten – jenen Rand, den eigentlich die Unionsparteien als Volksparteien aufsaugen soll. „Wir wollen den Blick nach vorne richten“, sagte Angelika Niebler, CSU-Vize und Chefin der CSU im Europaparlament, dem Handelsblatt zur Zielsetzung der Klausur.

Trotz des Ergebnisses in Großbritannien sollte die Klausur von CDU und CSU stattfinden. Die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel werde teilnehmen, hieß es in der Parteizentrale. Allerdings würde die Tagung nicht um 15 Uhr, sondern erst um 17 Uhr beginnen. Erst einmal galt es für Merkel, viel zu telefonieren, Termine zu verabreden. Danach wurden die Fraktions- und Parteivorsitzenden im Kanzleramt informiert, bevor es dann um 13 Uhr in die Unionsfraktion zur Sondersitzung ging, wo Merkel ihre Einschätzung erläuterte. Danach, wer weiß das schon an so einem Tag, reden CDU und CSU über die Zukunft.

Kanzlerin Merkel ist enttäuscht vom Brexit der Briten. „Es gibt nichts drum herum zu reden. Der heutige Tag ist ein Einschnitt für Europa. Es ist ein Einschnitt für den Einigungsprozess“, sagte sie. Merkel rief zur „Ruhe und Besonnenheit“ auf. Es sei Aufgabe aller deutlich zu machen, dass die EU das Leben der Menschen verbessere. Die Herausforderungen seien „zu groß, als das sie einzelne Staaten bewältigen könnten. Sie betonte, dass die EU eine „Friedensidee“ gewesen sei nach Jahrhunderten der Kriege in Europa. Frieden sei auch heute „alles andere als selbstverständlich“. CSU-Chef Horst Seehofer ließ erklären, nötig sei „eine EU, die sich um die großen Fragen unserer Zeit kümmert und sich nicht in kleinteiligen Fragen verzettelt“.


„Wir gehen nicht zum Familientherapeuten“

Auch auf der Klausur geht es um Europa, aber zuvorderst um Einigkeit in der christlichen Union von CDU und CSU. In den vergangenen Monaten ging es immer wieder nur um eines: die Schuldfrage. Die CSU sieht den Grund für die Misere in der Flüchtlingspolitik bei der Kanzlerin. Der Streit eskalierte Anfang des Jahres, als CSU-Chef Seehofer mit Verfassungsklage gegen die Regierung Merkel drohte und von einer „Herrschaft des Unrechts“ sprach.

Hätte er die Klage eingereicht, dann wäre dies dem Ende der Fraktionsgemeinschaft im Bundestag gleichgekommen und hätte den Abzug aller CSU-Minister aus dem Bundeskabinett zur Folge gehabt. Vom Zerwürfnis wie zu Zeiten von Helmut Kohl und Franz Josef Strauß vor 40 Jahren war die Rede. Es ging nach dem kleinteiligem Hickhack plötzlich um das große Ganze.

Auf der Klausur wollen Merkel und Seehofer Frieden schließen und über den Kitt reden, der die Fliehkräfte neutralisiert. „Alle sind am Gelingen interessiert“, hieß es im Vorfeld. So dramatisch der Brexit ist, so sehr hilft er offenkundig für einen Schulterschluss von CDU und CSU zu sorgen, der alles Gewesene vergessen lässt. Schließlich wird Merkel in den kommenden Tagen in Europa Krisentreffen um Krisentreffen abhalten und am Dienstag der Bundestag außerplanmäßig tagen. Dort wird Merkel dann eine Regierungserklärung abgeben. Die Krise liegt in Europa.

„Die Unionsschwestern gehen in Potsdam nicht zum Familientherapeuten“, sagte CDU-Vize Thomas Strobl dem Handelsblatt vor der Klausur. Das sei auch gar nicht nötig. Alle wüssten inzwischen, dass öffentlicher Streit beiden Parteien schade. „Deshalb beschäftigen wir uns in Potsdam mit dem, worauf es ankommt: mit Sachthemen, die unser Land beschäftigen und es voranbringen“, sagte Strobl.

CDU und CSU wollen vor allem einen Weg finden, wie sie Volkspartei bleiben und nicht dem Beispiel der SPD folgen, die in Umfragen nur noch bei 22 Prozent liegt. Hatte die Union bei der Bundestagswahl 2013 noch an der absoluten Mehrheit gekratzt, so kommen CDU und CSU in Umfragen nur noch auf 34 Prozent. Weder mit den Grünen noch mit der FDP würde es so für eine Mehrheit als Alternative zur Großen Koalition reichen.

Zugleich fürchtet die CSU in Bayern um ihre absolute Mehrheit. „Nach dem Wochenende sollten wir wieder mehr von der Union sprechen“, sagte CDU-Präsidiumsmitglied Reiner Haseloff dem Handelsblatt.

Wie nötig die eigenen Bekenntnisse zur Einheit sind, zeigte sich zuletzt am Hin und Her bei der Vorbereitung der Klausur. Wochenlang stritten beide Parteien über den Ort für den Friedensgipfel. „Auf halber Strecke“, hieß es zuerst, solle der Ort sein. Dann war von München die Rede, dann von Berlin. Am Ende zeigte die große Schwester CDU der CSU ihre Muskeln und sorgte für einen Sieg der Vernunft: Angela Merkel würde am Tag nach der Brexit-Abstimmung womöglich in Berlin gebraucht und könne daher nicht auf Reisen gehen. Die CSU sah es ein, so dass die Wahl auf ein ruhig gelegenes Tagungshotel in Potsdam fiel. Und in der Tat hatte Merkel am Tag nach der Unabhängigkeitserklärung der Briten anderes zu tun, als sich irgendwo in Deutschland zurückzuziehen.


Unions-Nachwuchspolitiker stellen Forderungen

Nach Potsdam reisen indes nur wenige Unionspolitiker: die Parteivorsitzenden und deren Stellvertreter, die Generalsekretäre sowie einige Ausgewählte wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) oder der Leiter der CSU-Grundsatzprogrammkommission, Markus Blume. Der kleine Kreis will endlich über Grundsätzliches reden, was nach der Entscheidung Großbritanniens unabdingbar ist. Zunächst, so sieht es das Programm vor, werden die Parteivorsitzenden, Angela Merkel und Horst Seehofer, einleiten.

Es folgt eine allgemeine Aussprache, an die sich Vorträge der eigens berufenen „Berichterstatter“ anschließen. Der Punkt eins dürfte dabei gleich der längste werden: Zu „Europas Rolle in der Welt“ referieren zunächst Minister Schäuble und der CSU-Vize und EU-Abgeordnete Manfred Weber. Danach dürfte es eine lange Diskussion geben.

Danach geht es um „Bevölkerungsentwicklung und Migration“ (CDU-Vize Armin Laschet und CSU-Vize Niebler), dann um die „Innere und äußere Sicherheit und Bekämpfung des Terrorismus“ (CDU-Vize Ursula von der Leyen, CSU-Vize Kurt Gribl), „Wettbewerb und Innovation“ (CDU-Vize Strobl, Alexander Dobrindt (CSU)), „Ressourcenknappheit und Umwelt“ (CDU-Vize Julia Klöckner, CSU-Vize Christian Schmidt) sowie „Zusammenhalt der Gesellschaft in Zeiten des demographischen Wandels“ (CDU-Vize Volker Bouffier, CSU-Vize Barbara Stamm).

Zu jedem Thema will die Runde eineinhalb Stunden diskutieren. Im Anschluss an die Klausur sollen Arbeitsgruppen bis zum nächsten Treffen gemeinsame Inhalte erarbeiten.

Es gehe nicht darum, den Wahlkampf vorzubereiten, hieß es bei der CSU bewusst distanziert im Vorfeld. Soweit sei man noch nicht. Auf dem Höhepunkt des Schwesternstreits hatte es ja schließlich auch die Drohungen gegeben, sie werde nicht nur mit einem eigenen Programm in den Bundestagswahlkampf ziehen, sondern vermutlich auch ohne Angela Merkel als gemeinsame Kanzlerkandidatin. Das zumindest war die Stimmung in Bayern.

Unter den CSU-Bundestagsabgeordneten indes herrscht eine klare Meinung: „Wir ziehen mit Angela Merkel in den Wahlkampf“, wie ein hochrangiges Mitglied sagte. Mit der schweren Krise der EU dürfte dies mehr denn je gelten, steht doch auch für Merkel viel auf dem Spiel. Sie will nicht als die Kanzlerin in die Geschichte eingehen, unter deren Regentschaft Europa auseinanderbrach. Sie muss das Schiff wieder flott machen – auch ohne die Briten.

Dafür wollen die EU-Staatschefs sorgen, dafür wollen aber auch die Spitzen von CDU und CSU sorgen. Europa solle sich wieder auf das konzentrieren, wofür es einst stand: für Wohlstand, Sicherheit und Freiheit seiner Bürger, heißt es an diesem Tag allen Orten. Pathetisch formuliert CDU-Vize Strobl den Sinn der Klausur: „Es geht um die Zukunft Deutschlands und Europas!“

Inzwischen wollen aber auch andere mitreden und sich nicht auf den kleinen Zirkel von CDU und CSU. Neun führende Nachwuchspolitiker der Union haben deshalb pünktlich zur Klausur ein Thesenpapier beschlossen, das dem Handelsblatt vorliegt. „Wer Glaubwürdigkeit und Vertrauen wiedergewinnen“ wolle, der müsse „verlässlich handeln, Unsicherheiten reduzieren“, heißt es darin. Dazu gehöre, dass der Staat sich selbst begrenze und Freiräume zur Entfaltung lässt, anstatt alle „Unterschiede einzuebnen“.

Zugleich müsse der Staat Sicherheit und Ordnung gewährleisten. Europa benötige „eine starke und handlungsfähige Grenzpolizei, die unsere EU-Außengrenzen schützt und irreguläre Migration unterbindet“. Das Papier haben fünf parlamentarische Staatssekretäre von CDU und CSU unterzeichnet sowie der Staatsminister im Kanzleramt, Helge Braun, Fraktionsvize Michael Kretschmer, der innenpolitische Sprecher Stephan Mayer sowie die ehemalige Ministerin Kristina Schröder. „Es gibt viel für unser Land zu tun“, schließen sie das Papier. „Packen wir es an.“

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