Cyberangriff auf Bundestag Angst vor der eigenen Regierung – und vor Microsoft

Mehr Sicherheit, weniger Freiheit. Vor diesem Problem stehen die Abgeordneten nach dem Hackerangriff. Wie ein sicheres Bundestagsnetz aussehen könnte und warum das Parlament auf deutsche statt amerikanische Firmen setzt.

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Ein Bundestagsabgeordneter nutzt in Berlin während der Sitzung des Bundestages einen Computer. Quelle: dpa

Sechs Wochen nach dem folgenschweren Hackerangriff auf den Deutschen Bundestag streiten Sicherheitsexperten, wie das Parlamentsnetz „ParlaKom“ künftig gesichert werden soll. Christoph Meinel, Geschäftsführer des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts und Experte für Computersicherheit, will die IT-Verwaltung des Bundestages in das besonders geschützte deutsche Regierungsnetz integrieren.

„Mit dem erfolgreichen Cyberangriff auf den Bundestag wurde der IT-Standort Deutschland bis auf die Knochen blamiert. Das darf sich nicht wiederholen“, sagt Meinel.

Bundestagsabgeordnete sehen diesen Vorstoß skeptisch. Schließlich wird das Regierungsnetz vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, kurz BSI, gesteuert – zahlreiche Parlamentarier fürchten, Vertreter der Exekutive könnten dann ihre elektronischen Nachrichten und Dateien mitlesen. Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen, bemängelt, dass dem Bundestag keine ausreichenden eigenen IT-Kompetenzen zur Abwehr von Angriffen zur Verfügung stehen.

Daher habe niemand etwas dagegen, wenn von Seiten der Exekutive beratend unterstützt wird. „Dennoch stellen sich hier sehr grundlegende verfassungsrechtliche Fragen, die geklärt werden müssen“, sagt Notz.

Sicherheitsexperte Meinel hält dagegen: „Wer auf die Trennung von Exekutive und Legislative besteht, hat offenbar mehr Befürchtungen vor deutschen Behörden als vor ausländischen Geheimdiensten.“ Die Frage sei, was das geringere Übel ist.
Derzeit unterstützt das BSI die Bundestagsverwaltung dabei, das Parlamentsnetz wieder sicher zu bekommen. Beide Seiten bestätigen zwar die Zusammenarbeit. Wie diese genau aussieht, wollen sie aber nicht erläutern.

Am gestrigen Donnerstag teilte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) den Abgeordneten per E-Mail mit, dass die Zusammenarbeit auf Zeit angelegt ist. Die Bundestagsverwaltung werde eigene Sicherheitssysteme analog zum Informationsverbund Bonn-Berlin, dem Regierungsnetz, beschaffen und künftig „unter der Hoheit des Deutschen Bundestages“ betreiben, heißt es in der Nachricht, die WiWo Online vorliegt.

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Die Parlamentarier und ihre Mitarbeiter müssen künftig also mit Einschränkungen leben. Erst kürzlich hatte die Bundestagsverwaltung den Zugang zu mehr als 100.000 Websites von Parlamentsrechnern sperren lassen – ein bekannter Sicherheitsstandard aus dem Regierungsnetz. Mit der Maßnahme soll offenbar verhindert werden, dass sich weitere Computer mit sogenannten Trojanern infizieren.

Damit sind hochprofessionelle Programme gemeint, die in ein Computersystem eindringen, angeschlossene Rechner infizieren und Daten weiterleiten. Genau das passiert seit Mitte Mai im Bundestag. Die Bundestagsverwaltung geht zwar davon aus, dass keine Daten mehr abfließen. Sicher ist das nach Ansicht vieler Experten aber nicht.

Wunsch nach Datensicherheit widerspricht Sicherheitsinteressen

Um die Täter möglicher künftiger Angriffe besser ausfindig machen zu können, schlägt Christoph Meinel vor, Protokolldaten wieder länger zu speichern. Erst Anfang Juni hatte eine Bundestags-Kommission beschlossen, die Speicherfristen drastisch zu verkürzen – von derzeit drei Monaten auf nun sieben Tage. Die Abgeordneten wollen so die Hoheit über ihre Kommunikationsdaten behalten.

Das Problem: Dieser verständliche Wunsch nach Datensicherheit steht den Sicherheitsinteressen des Bundestages insgesamt entgegen. Denn je schneller die Protokolldaten gelöscht werden, desto schwieriger ist die spätere Suche nach den Drahtziehern eines Cyberangriffes – insbesondere, wenn ein Angriff erst Tage oder Wochen nach dessen Beginn bemerkt wird. Jene Daten, die IT-Experten für eine forensische Analyse benötigen, sind dann unter Umständen längst gelöscht.

Die absurdesten Spionage-Ziele


Neben längeren Speicherfristen für Protokolldaten braucht der Bundestag aus Sicht von Meinel auch bessere Sensoren. „Man braucht nun Systeme, die in Echtzeit erkennen, ob gerade ein Angriff stattfindet“, sagt der Sicherheitsexperte. Ein solches System ist die „In-Memory-Technik“, die Meinels Hasso-Plattner-Institut in Kooperation mit dem Softwarehersteller SAP entwickelt hat. In dem System werden Protokolldaten in einem riesigen Hauptspeicher vorgehalten und mit Hilfe leistungsstarker Systeme analysiert.

Solche Systeme für den Bundestag, gar ein eigenes IT-Sicherheitszentrum – das wünschen sich derzeit viele Abgeordnete. Bundestagspräsident Lammert will ihnen diesen Wunsch erfüllen. „Über die Sommerpause wird die Bundestagsverwaltung in Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleister mit der Neuaufsetzung von Teilen des IT-Systems des Deutschen Bundestages beginnen“, heißt es in Lammerts Nachricht an die Abgeordneten.

Vier bis fünf Tage soll der Bundestag dafür vom Internet abgekoppelt werden. Wer der externe Dienstleister ist, will die Parlamentsverwaltung für sich behalten.

Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, kritisiert diese Kommunikationspolitik. „Die Bundestagsverwaltung informiert die Abgeordneten nur sehr selten. Viele Neuigkeiten erfahren wir aus der Presse.“

Gerüchten im Bundestag zufolge wird die Telekom-Tochter T-Systems den Auftrag erhalten. Microsoft, dessen Produkte bereits im Bundestag eingesetzt werden, hatte zwar seine Dienste angeboten. Die Parlamentsverwaltung schlug das Angebot jedoch aus. Bei diesem heiklen Thema könne man nicht auf ein US-Unternehmen vertrauen, ist als Begründung zu vernehmen.

Unklar ist noch immer, wie hoch der finanzielle Schaden durch die jüngste Cyberattacke ist. Sicherheitsexperten halten einen dreistelligen Millionenbetrag für realistisch, sollte ein größerer Austausch von Geräten nötig werden. Auch zu dieser Frage schweigt die Bundestagsverwaltung allerdings.

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