Debatte über Hasskommentare und Fake News Die zweite Realität

Medienvertreter und Politik fordern die sozialen Netzwerke auf, ihrer Verantwortung im Internet gerecht zu werden. Facebook wehrt sich: Man habe Maßnahmen ergriffen, komme dem eigenen Wachstum aber nicht hinterher.

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Die Bundesregierung droht Facebook mit Strafen, wenn Fake News nicht gelöscht werden. Quelle: Phil Dera für DIE ZEIT

Berlin Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) ist es leid. „Ich habe mich 14 Monate mit denen hingesetzt, was soll ich denn noch mehr machen?“, schimpft er, und mit „denen“ meint er vor allem den US-Konzern Facebook. Die Zeit-Verlagsgruppe, Gruner + Jahr, der Spiegel-Verlag sowie die Media Group Medweth hatten zum Journalismusdialog in die Kalkscheune in Berlin geladen, Thema: der Umgang von Journalisten und Plattformen mit Fake News.

Das Timing hätte nicht besser sein können: Justizminister Maas will just in dieser Woche noch sein Anti-Hass-Gesetz durch den Bundestag bringen. Ab Herbst könnten Facebook und Co. dann Strafen drohen, wenn klar ist, dass sie systematisch strafbewehrte Hasskommentare oder Fake News nicht schnell genug löschen. Maas hatte den Konzernen eine Frist für eine freiwillige Lösung gesetzt, am Ende waren sie aber hinter seinen Erwartungen zurückgeblieben.

Das Gesetzesvorhaben berührt eine Grundsatzfrage: Kritiker werfen Maas vor, private Unternehmen zur Zensur im Internet zu verpflichten. Die Befürworter bei Union und SPD verweisen hingegen darauf, dass Verrohung in den sozialen Medien und die Verbreitung von Fake News zu einer Gefahr für die Demokratie würden.

Die betroffenen Unternehmen, allen voran Facebook, wehren sich gegen das Gesetz. „Wir hoffen, dass die Menschen realisieren werden, dass dies nicht der richtige Weg ist“, sagte Facebook-Manager Patrick Walker, der für die Medienzusammenarbeit des Konzerns unter anderem in Europa zuständig ist. Er warb um Verständnis. Der US-Konzern habe das Thema durchaus schnell genug erkannt, aber man sei so rasant gewachsen, dass die Maßnahmen nicht mitgekommen seien. „Bei uns werden jeden Tag mehr als eine Million Dinge gemeldet“, sagte Walker.

Rainer Esser, Geschäftsführer des Zeit-Verlags und der Dieter von Holtzbrinck Medien GmbH, zu der auch das Handelsblatt gehört, moderierte die Veranstaltung, zu der mehr als 150 Besucher gekommen waren. Er erinnerte daran, dass Facebook im vergangenen Jahr 1,86 Milliarden Euro Gewinn gemacht hat.

Bei der Diskussionsveranstaltung ging es aber nicht nur um das konkrete Gesetz. Gruner + Jahr-Chefin Julia Jäkel forderte in ihrem Eröffnungsvortrag, dass Facebook insgesamt stärker als bisher zur Verantwortung gezogen werden muss. „Soziale Netzwerke bilden nicht Realität ab, sondern sie erzeugen Realität“, sagte sie. Facebook spiegele nicht einfach nur Kommunikation wider. „Facebook verändert die Art, wie wir Menschen miteinander kommunizieren.“ Das Unternehmen treibe durch seine Bewertungsmethoden die Nutzer zu mehr Intensität. Wenn man das weiterdenke, dann würden Gesellschaften so zunehmend polarisiert, agitiert und gespalten.

Jäkel forderte nach dem Vorbild des autonomen Fahrens eine „Technikfolgenabschätzung“ für Facebook. Es gehe um nichts Geringeres als die Frage: „In welcher Gesellschaft wollen wir eigentlich leben?“

Susanne Beyer, stellvertretende Chefredakteurin des „Spiegels“, zieht aus der Debatte über Fake News auch Konsequenzen für die eigene Zunft. Die Medien müssten mehr mit den Lesern in Dialog treten, als sie es bisher getan haben. Man könne bei der Berichterstattung auch selbstbewusst Haltung zeigen, man müsse diese nur offenlegen und erklären, wie man dazu gekommen sei. Beyer griff aber auch Politiker an. Der Vertrauensverlust habe auch seine Ursache in der Abwertung der Medien durch die Politik. Dass Justizminister Maas Facebook mit seinem neuen Gesetz nun Grenzen aufzeige, hält auch sie für richtig.

„Wenn die Hemmschwelle im Netz sinkt, dann wird das auch ein Ergebnis auf der Straße geben“, mahnte Maas. Er warnte aber davor, im Kampf gegen Facebook eine staatliche „Wahrheitskommission“ ins Leben zu rufen. „Die meisten Fake News sind nicht strafbar“, dem Problem müsse man anders begegnen, etwa durch Kennzeichnung von unsicheren Quellen. Die geänderte Situation bedeute mehr Verantwortung für die Presse, aber auch für Bürger selbst, die sich mehr mit Nachrichten auseinandersetzen müssten.

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