Derzeit wird in vielen Ländern – nicht zuletzt angeregt durch das Buch „Capital in the Twenty-First Century“ des französischen Ökonomen Thomas Piketty – über die Frage diskutiert, ob Einkommen und Vermögen zu ungleich verteilt sind. In Deutschland haben bereits die Ökonomen der Freiburger Schule und die gedanklichen Schöpfer der sozialen Marktwirtschaft Überlegungen darüber angestellt, wie viel Gleichheit möglich und wie viel Ungleichheit nötig ist. Und das schon lange vor den jüngst alarmierenden und teilweise alarmistischen Berichten der OECD und anderer Organisationen über eine nahezu weltweite, dramatische Erhöhung der Ungleichheit.
Neues Interesse
In der Volkswirtschaftslehre hat die Verteilungstheorie, nachdem sie besonders in den Sechziger- und Siebzigerjahren eine gute Konjunktur hatte, etliche Jahre nur ein Schattendasein gefristet. Das Interesse an Verteilungsfragen schien stark zurückgedrängt. Das hat sich nicht zuletzt dadurch deutlich geändert, dass die angewandte Spieltheorie und die experimentelle Wirtschaftsforschung die sogenannte „Fairnessnorm“ entwickelt haben. Diese besagt, dass in sozialen Verhandlungssituationen, die experimentell wiederholt und überprüft werden können, trotz des offensichtlich vorhandenen Eigennutzmotivs des Homo oeconomicus, mehrheitlich vergleichsweise gleichmäßige Aufteilungen eines meist vorgegebenen Kuchens zustande kommen. Eine vollständige Gleichheit der Aufteilung (50:50) kommt allerdings selten vor.
Was Investoren für die lukrativste Geldanlage halten
Das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragt einmal jährlich im Auftrag von pro aurum die Deutschen nach ihren Anlagestrategien. Hier die Ergebnisse vom Juni 2015 - im Vergleich zu den Vorjahren. Zuerst wurden den Bürgern fünf Geldanlagen genannt, mit der Bitte, anzugeben, welche davon aus ihrer Sicht derzeit am besten als langfristige Geldanlage mit mindestens drei Jahren Laufzeit geeignet ist.
Gold platziert sich zum fünften Mal in Folge an erster Stelle, diesmal allerdings deutlicher vor Aktien, die seit 2011 Zuwächse erzielten, aber aktuell in der Anlegergunst gesunken sind: 30 Prozent der Bürger würden sich heute für Gold entscheiden, weil sie vermuten, dass diese Anlage nach mindestens drei Jahren Laufzeit im Vergleich zu den vier anderen Geldanlagen den meisten Gewinn bringt. Gold konnte somit um zwei Prozentpunkte zulegen.
Nur noch 23 Prozent halten Aktien für besonders lukrativ, wenn es um langfristige Geldanlagen geht. Im Vorjahr hatte dieser Wert mit 27 Prozent offenbar einen Gipfel erreicht.
Es folgen Fondsanteile mit zwölf Prozent. Fonds sind in der Gunst der Anleger wieder leicht gegenüber dem Vorjahr gestiegen. 2013 hatte dieser Wert mit 13 Prozent noch ein Hoch erreicht, war aber 2014 auf elf Prozent zurückgefallen.
Fest- beziehungsweise Termingeld hielten sieben Prozent der Befragten für die lukrativste langfristige Geldanlage. Seit 2011 ist diese Anlageklasse deutlich ins Hintertreffen geraten, damals glaubten noch 22 Prozent der Befragten, Termin- und Festgelder würden auf drei Jahre betrachtet den meisten Gewinn abwerfen.
Drei Prozent nannten Anleihen als aussichtsreichste Anlageklasse, im Vorjahr waren es nur zwei Prozent. Anleihen spielen somit für Privatanleger praktisch keine Rolle. Ernüchternd: Knapp jeder vierte Bürger (24 Prozent) kann nicht sagen, welche dieser Anlagen am besten geeignet wäre, um langfristig möglichst viel Gewinn zu erzielen. Die Angaben "weiß nicht" oder "keine davon" kamen bereits in den Vorjahren ähnlich häufig vor.
Tatsächlich ist diese in vielen Experimenten unterstellte und auch beobachtbare Fairnessnorm kaum mehr als eine Abneigung gegen eine zu große Ungleichheit. Die einschlägige Literatur der experimentellen Wirtschaftsforschung spricht folgerichtig von der sogenannten „Ungleichheitsaversion“. Andere ökonomische Teildisziplinen – wie die politische Ökonomie der Einkommensverteilung oder die moderne Glücksforschung – halten den ausschließlichen Blick auf die Ungleichheit im Rahmen einer Fairnessnorm für zu einseitig. Zwar gibt es unfaire Ungleichheit. Sie kommt dadurch zustande, dass Individuen durch Geburt, Vetternwirtschaft oder Korruption unverdiente, weil nicht eigener Leistung zurechenbare Einkommen erzielen.
Es gibt aber auch unfaire Gleichheit. Angestellte, die einer ähnlichen Arbeit nachgehen, wollen nicht nach dem Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, sondern nach dem Motto „gleicher Lohn für gleiche Leistung“ und demgemäß verschieden, nämlich nach ihrer individuellen Performance, entlohnt werden. Das Beispiel belegt, dass es Gleichheitsaversion offensichtlich in der Einkommensentstehung gibt und sich eine Gesellschaft keinen Gefallen damit tut, wenn sie ein (zu) starres Lohn- und Gehaltsgefüge unterhält, welches keine hinreichende Spreizung zulässt. Es lässt sich leicht zeigen, dass analoge Überlegungen für das Einkommen der Selbstständigen angestellt werden können.
Für soziale Marktwirtschaften von Vorteil
Gleichheitsaversion ist neben der Ungleichheitsaversion auch in der Einkommensverwendung zu entdecken. Ein Paradebeispiel dafür liefert der private Konsum. Die Mittelschicht ist bestrebt, Anschluss an das Konsummuster der Oberschicht zu halten. Harry G. Johnson spricht von einem „Keeping up with the Joneses-Verhalten“, das der Idee der Ungleichheitsaversion ziemlich nahe kommt. Spiegelbildlich dazu verhält es sich mit dem „Keeping ahead of the Smiths”. Hier geht es der Oberschicht darum, gegenüber denjenigen, die sich in der Einkommenshierarchie unter ihnen befinden, einen Vorsprung zu verteidigen. Eine solche „lead-oriented society“ dürfte den Grundgedanken von Gleichheitsaversion recht gut dokumentieren.
Riesterrente von A bis Z
Das zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene Altersvermögensgesetz soll dem sinkenden Rentenniveau entgegenwirken: Wegen der Förderung bestimmter privater Altersvorsorgeprodukte erhalten Bürger den Anreiz, in einer kapitalgedeckten Rentenversicherung für ihr Alter zu sparen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ist das für die Riesterprodukte zuständige Ministerium.
Für die Beantragung der Zulage werden Angaben über Familie, Einkommen und Kindergeldbezug benötigt. Die Anbieter des Riesterproduktes müssen diese Daten abfragen und bearbeiten. Die Daten werden dann an die zentrale Zulagenstelle übermittelt, die die Zulage vorläufig berechnet und an den Anbieter auszahlt. Danach finden Überprüfungen der gemachten Angaben statt. Zu diesem Zweck steht die zentrale Zulagenstelle im Datenaustausch mit Behörden wie Finanzämtern und Besoldungsstellen.
Die Beiträge in die Riesterrente können zwar vorteilhaft während der Ansparzeit als Sonderausgaben berücksichtigt werden. Doch die Riesterrente hat auch steuerliche Nachteile: Während der Auszahlung im Rentenalter ist die Riesterrente zu versteuern. Bemessungsgrundlage ist dabei nicht nur – wie bei anderen Privatrenten – der so genannte Ertragsanteil, sondern der volle Betrag der Riesterrente.
Die staatliche Förderung setzt sich aus der Zulage und einem Steuervorteil (Beiträge als Sonderausgabe) zusammen. Förderfähige Sparformen sind Banksparplan, Rentenversicherung, Fondsrentenversicherung, Fondssparplan und auch Sparleistungen für das Eigenheim.
Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH, Az.: C-269/07) wurde bestimmt: Wohnt jemand in Deutschland, arbeitet aber im Ausland, so besteht, wenn die ausländische Pflicht zur Einzahlung in eine gesetzliche Rentenversicherung vor dem 1. Januar 2010 begründet wurde und der Riester-Vertrag bereits ebenso vor dem 1. Januar 2010 abgeschlossen wurde, weiterhin unmittelbare Zulageberechtigung.
Der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär und Politiker Walter Riester (SPD) war von 1998 bis 2002 im Kabinett Gerhard Schröder Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. In dieser Zeit wurde auf seine Initiative die staatlich bezuschusste private Altersvorsorge, die „Riester-Rente, eingeführt.
Die geleisteten Beiträge und die Zulage können zusammen als Sonderausgaben bei der Einkommensteuererklärung bis zu 2100 Euro pro Jahr (seit 2008) berücksichtigt werden. Zulagen und Steuereffekt werden miteinander verrechnet, wobei jeweils das für den Sparer günstigere Verfahren Anwendung findet. Ergibt sich keine Steuerersparnis, enthält der Bescheid über die Einkommensteuer den Passus: „Ein Sonderausgabenabzug der geltend gemachten Altersvorsorgebeträge (10 EStG) in Höhe von … kommt nicht in Betracht, weil der nach Ihren Angaben errechnete Zulagenanspruch günstiger ist.“ Ergibt sich eine Steuerersparnis, wird die Zulage trotzdem gewährt und es „erhöht sich die unter Berücksichtigung des Sonderausgabenabzugs ermittelte tarifliche Einkommensteuer um den Anspruch auf Zulage.“
Auch für die Finanzierung einer Wohnung oder selbstgenutzten Immobilie kann seit 2008 das steuerlich geförderte Altersvorsorgevermögen genutzt werden. Nach dem Wohn-Riester oder der Eigenheimrente werden eine Wohnung in einem eigenen Haus, eine eigene Eigentumswohnung oder eine Genossenschaftswohnung gefördert. Voraussetzung ist, dass diese Wohnung vom Zulageberechtigten selbst genutzt wird, die Hauptwohnung oder den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Zulageberechtigten darstellt. Voraussetzung für die Förderung war nach dem Gesetz, dass die Immobilie im Inland liegt.
Mit seinem Urteil vom 10. September 2009 hat der Europäische Gerichtshof gerügt, dass es Grenzarbeitnehmern nicht gestattet ist, die Zulagenförderung für eine Immobilie im Ausland zu verwenden. Dies verstößt seiner Auffassung nach gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Kompliziert ist beim Wohn-Riester auch die nachgelagerte Besteuerung geregelt: Über ein fiktives Wohnförderkonto werden der Entnahmebetrag, die geförderten Tilgungsleistungen und die hierfür gewährten Zulagen verbucht und addiert. Zu Beginn der Auszahlungsphase wird der aktuelle Stand des Wohnförderkontos durch die Anzahl der Jahre bis zum 85. Lebensjahr des Förderberechtigten geteilt. Diesen Teilbetrag muss der Förderberechtigte dann jedes Jahr in seiner Einkommensteuererklärung angeben. Er wird dann Jahr für Jahr dem zu versteuernden Einkommen des Förderberechtigten hinzugerechnet.
Die ZfA führt als Verwaltungsstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund die Berechnung, Kontrolle, Auszahlung und Rückforderung von Zulagen der Riesterrente durch.
Gefördert werden nur so genannte „zertifizierte Altersvorsorgeprodukte“. Voraussetzung dafür sind unter anderem, dass zu Beginn der Auszahlungsphase vom Anbieter mindestens die Summe der eingezahlten Beiträge (Eigenleistung und staatliche Zulage) garantiert werden, die Auszahlung nur in Form einer Leibrente (lebenslange Rente) oder eines ab dem 85. Lebensjahr mit einer Leibrente verbundenen Auszahlplan erfolgt und die Beiträge laufend entrichtet werden. Zulage besteht aus einer Grundzulage von 154 Euro pro Person und Jahr.
Die Zulage besteht aus einer Grundzulage von 154 Euro pro Person und Jahr, und kann sich um eine Kinderzulage erhöhen. Ansprüche auf eine Kinderzulage haben Eltern, die im Kalenderjahr mindestens einen Monat lang Kindergeld bekommen. Die Kinderzulage beträgt für bis einschließlich 2007 geborene Kinder 185 Euro pro Kind und Jahr, für ab 2008 geborene Kinder sogar 300 Euro. Voraussetzung für die volle Zulage ist jedoch ein bestimmter Eigenbeitrag der Riester-Sparer.
Die Anwendung der erweiterten Fairnessnorm auf die Einkommensverteilung führt zu einem Steuer- und Transfersystem, das sowohl eine zu starke Progression im Bereich der mittleren Einkommen vermeidet – sonst ist Aufholen kaum möglich – und zugleich keine Spitzensteuersätze einrichtet, die die Abstimmung der Mitglieder der Oberschicht mit den Füßen zur Folge haben. Dann würde das Herstellen von Abstand unterbleiben.
Wandel der Normen
Gleichheits- und Ungleichheitsaversion unterliegen im Zeitverlauf durchaus einem absoluten und relativen Bedeutungswandel. Schwedens Wohlfahrtsstaatsexperiment in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts war eine bewusste Hinwendung zu mehr Gleichheit und folgte einer verstärkten Ungleichheitsaversion in der Bevölkerung. Sie wurde mit deutlichen Wachstumseinbußen bezahlt.
Die Rückwendung zu wieder etwas mehr Ungleichheit und die anschließenden besseren wirtschaftlichen Resultate bestätigen indirekt, dass nicht nur Gleichheitsaversion, sondern auch ein Mindestmaß an tatsächlicher Ungleichheit für soziale Marktwirtschaften von Vorteil ist.