Jan Trost ist ein optimistischer Mann. Der Ortsbürgermeister der württembergischen Kleinstadt Marbach am Neckar, 20 Kilometer nördlich von Stuttgart, gab die Hoffnung nicht auf.
Jahrzehntelang brummte am Rande der Geburtsstadt des Dichters Friedrich Schiller, zweieinhalb Kilometer flussaufwärts, ein Gas- und Dampfkraftwerk. Dann aber rief 2011 die Bundesregierung die Energiewende aus. Und die drei Blöcke, in der Leistung halb so groß wie ein kleines Kernkraftwerk, liefen immer immer seltener, zuletzt nur 100 Stunden oder gut vier Tage im Jahr. Darum beantragte der baden-württembergische Energiekonzern EnBW im Juli bei der Bundesnetzagentur in Bonn, den Verlustbringer stilllegen zu dürfen.
Damit wären in der 15.000-Einwohner-Gemeinde die rund 500 Jobs, die das Kraftwerk einst bot, endgültig verloren. Und die 30 Techniker, die den Meiler zurzeit noch in Schuss halten, müssten für immer das Licht ausmachen.
Doch dazu wird es nicht kommen. Die Bundesnetzagentur, die über den Kraftwerkspark wacht, untersagte die Stilllegung. Ortsvorsteher Trost freut sich, dass der alte Meiler als Reserve erhalten bleibt – für den Fall, dass die Stromversorgung im Südwesten Deutschlands durch ausbleibenden Windstrom aus dem hohen Norden gefährdet ist. Im Gegenzug erhält EnBW Geld vom konzerneigenen Stromnetzbetreiber, der die Kosten auf den Stromkunden umlegt. „Das ist eine gute Nachricht, an die wir immer geglaubt haben“, sagt Trost. Und einer der verbliebenen Kraftwerker meint: „Wir können doch nicht alle auf Museumswärter im Schillermuseum umschulen.“
Es ist keine zwei Wochen her, dass der neue Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) seine Pläne für eine Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) und damit der Energiewende präsentierte. Mit neuen Vorschriften will der Sozialdemokrat die Kosten des Atomausstieges und der Umstellung der Stromproduktion von fossilen Energieträgern auf Wind und Solar bremsen.
Doch Gabriels Vorschlag enthält nicht nur weiterhin Treibsätze für Kostensteigerungen, vor allem für Deutschlands Industrieunternehmen. Mehr noch: Der Minister weiß auch, dass er den künftigen Aufwand für Reservekraftwerke à la Marbach bei der Reform der Energiewende noch gar nicht berücksichtigt hat. Denn darüber, ließ er in den Koalitionsvertrag schreiben, sei erst „mittelfristig“ zu reden.
Aber mittelfristig ist bald. Denn schon 2016, in zwei Jahren, will die Bundesregierung einen Mechanismus in Gang setzen, den es in Deutschland bisher nicht gab: Statt ausschließlich für den verbrauchten Strom zu bezahlen, sollen die Kunden künftig auch für Kraftwerke aufkommen, die die Energieversorger wie in Marbach lediglich in Reserve halten. Dazu soll ein sogenannter Kapazitätsmarkt etabliert werden, der die bisherige Versorgungssicherheit gewährleistet. Im Klartext: Wenn Wind- und Solarkraftwerke nicht genügend Volt und Ampere produzieren, sollen fossile Kraftwerke einspringen, die ansonsten aber auf Standby stehen.