Fack ju Noten! Privatschulen boomen – für wen lohnt sich der Wechsel?

Die Schulkomödie "Fack ju Göhte 2" trifft einen Nerv: In Deutschland hat sich Unzufriedenheit mit dem Bildungssystem breit gemacht. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Schüler an Privatschulen verdoppelt. Lohnt sich der teure Abschied aus dem staatlichen System?

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Halli Galli wie bei

Als Daniela Lange die Tasche mit den Tablet-Computern hervorholt, können die 24 Jugendlichen kaum an sich halten. „Emma? Jakob? Kazim? Rana?“ Lange ruft die Namen, die Jugendlichen springen der Reihe nach von ihren Plätzen auf, strecken ihr die Hände entgegen, einen Ich-muss-das-sofort-haben-Blick im Gesicht. Lange verteilt, und langsam wird es ruhiger. Denn sie hat tatsächlich für jeden ein iPad dabei, am Ende daddeln alle ruhig vor sich hin.

Was hier veranstaltet wird, ist keine Charity-Veranstaltung, sondern der erste Schultag in der Freien Schule Anne-Sophie. Deren Räume liegen im obersten Stock des Einkaufszentrums Zehlendorfer Welle in Berlins noblem Südwesten, und auch sonst wird sofort klar, dass dies zwar Schule heißt, aber doch ganz anders ist als das, was man sich landläufig darunter vorstellt.

Schon nach ein paar Minuten ist Schluss mit der Spielerei, „Werte“ steht auf dem Stundenplan, die Tablets werden zur Seite geräumt. Lange, eine gemütliche Endzwanzigerin in Blümchenbluse, tritt vor die Klasse. Statt „Schüler“, sagt sie „Lernpartner“ zu den Jugendlichen, sich selbst stellt sie als Lernbegleiterin – altdeutsch „Lehrerin“ – vor, was folgt ist kein Unterricht, sondern: Input. 45 Minuten spricht Lange über Achtsamkeit und Wertschätzung, Zuversicht und Lernbereitschaft. Aber sie sagt auch: „Freie Schule bedeutet nicht Laisser-faire – die Freiheit, die ihr habt, funktioniert nur mit Verantwortung für euch selbst.“

"Fack Ju Göhte 2" bricht Rekord

Nicht nur in Zehlendorf ist diese Art der Freiheit derzeit sehr gefragt. In ganz Deutschland besuchen in den vergangenen Jahren mehr und mehr Schüler private Schulen, von der Grundschule bis zum Berufskolleg gibt es inzwischen in jeder Stadt dutzendfach Alternativen zum staatlichen Betrieb. 1992 besuchten 4,8 Prozent aller Schüler private Einrichtungen, heute sind es 9 Prozent, in Sachsen fast 14 Prozent. Insgesamt gibt es in Deutschland knapp 6000 private Schulen, die meisten haben lange Wartelisten. Seit den ersten Pisa-Untersuchungen 2000 hat sich in Deutschland eine Unzufriedenheit mit dem Bildungssystem breitgemacht, die es in der Grundsätzlichkeit vorher nicht gab.

Begleitung statt Kontrolle: Privatschullehrerin Daniela Lange nennt sich lieber

Mit der Fortsetzung der Chaosschulkomödie „Fack ju Göhte“ scheint ein Regisseur das Befinden des Volks getroffen zu haben. Den ersten Teil des Films sahen mehr als sieben Millionen Menschen - der zweite brach schon kurz nachdem er in den Kinosälen angelaufen war den Start-Rekord: „Fack Ju Göhte 2“ machte in nur vier Tagen 17,6 Millionen Euro Umsatz - der höchste aller Zeiten für den Start eines deutschen Films laut Media Control.

Die Politik will von dieser Unzufriedenheit nichts wissen: „Es gibt doch eine große Breite unterschiedlicher Schulformen“, sagt Sylvia Löhrmann, Schulministerin in Nordrhein-Westfalen. „Wer ein alternatives pädagogisches Konzept sucht, der muss nicht auf Privatschulen ausweichen.“ So mag die Unzufriedenheit mit dem aktuellen System nicht der einzige Grund der Entwicklung sein. Denn Privatschulen sind ausgerechnet dort am gefragtesten, wo die Pisa-Ergebnisse am besten sind. Wie in Sachsen besuchen auch in Thüringen und Bayern deutlich über zehn Prozent der Schüler private Schulen.

Wie der Klassenraum das Lernen beeinflusst
Schülerinnen gehen durch die Eingangshalle vom Neubau des Sachsenheimer Lichtenstern Gymnasiums Quelle: dpa/dpaweb
Farbspektrum Quelle: Fotolia
Ein leeres Klassenzimmer einer Schule Quelle: dpa
Das mit viel Holz gestaltete 200 Quadratmeter große Atrium ist am 20.04.2015 in der Kindertagesstätte "Wellenreiter" in Wismar Quelle: dpa
Kim, Miguel, Oliver und Michael aus der ersten Klasse der Grundschule Langenenslingen (Baden-Württemberg) rennen aus dem Schulgebäude. Quelle: dpa
Ein Ventilator steht in einem Büro. Quelle: dpa
Eine Frau dreht am Thermostat einer Heizung. Quelle: dpa

Gründe? Vielleicht hat das zunächst zarte Wachstum der privaten Bildung einfach eine Eigendynamik entfacht. Mit jedem Kind, das mit Begeisterung und Freude am Lernen aus der Montessorischule oder dem bilingualen Internat nach Hause kommt, entsteht eine Geschichte, die andere Eltern anstiftet, einen ähnlichen Weg zu wählen.

Und so stellt sich gerade jetzt zu Schuljahresbeginn, da die Eindrücke aus dem Schulalltag besonders intensiv sind und der Zeitpunkt für die Planung des nächsten Schulübergangs schon gekommen ist, vielen Eltern die Frage, ob private Schulen auch für ihre Kinder die geeignete Alternative sein könnten.

Gar nicht so furchtbar alternativ

In der Zehlendorfer Anne-Sophie-Schule nennen sie vor allem ein Wort, wenn sie die Besonderheit ihres Lernmodells beschreiben sollen: Selbstständigkeit. Jedes Kind hat seinen eigenen Schreibtisch in einem Lernbüro, das aussieht wie ein Co-Working-Space in San Francisco. In einem Rollcontainer verstauen die Schüler Laptop, Tablet-Computer und Schreibzeug. Für Gruppenbesprechungen stehen sogenannte Inputtheken bereit. An diesen ovalen Stehtischen werden auch die Unterrichtseinheiten absolviert. „Die Kinder sind viel konzentrierter, wenn sie sich nicht in ihre Stühle lümmeln können“, sagt Lehrerin Lange. „Besprechungen, die im Stehen abgehalten werden, sind kürzer und effektiver.“

Schüler an Privatschulen. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Ansonsten aber steht die Zehlendorfer Schule für einen Typ Alternativschule, der gar nicht so furchtbar alternativ sein möchte. Anders ist lediglich der Anspruch, all das besser zu machen, was in der Regelschule vermeintlich falsch läuft. Deshalb wirbt die Schule mit kleinen Klassen, motivierten Lehrern, toller Infrastruktur. Diesen Unterschied lassen sich Eltern etwas kosten, zwischen 100 und 890 Euro zahlen sie im Monat. Trotzdem reicht das nicht. Jährlich fließen mehrere Millionen Euro vom Träger der Schule, der Würth-Stiftung, in die Zehlendorfer Einrichtung.

So steht es um die deutsche Bildung
Ein Studium und eine gute Berufsausbildung zahlen sich in wirtschaftlichen Krisenjahren besonders aus. So gibt es für Akademiker und Meister in Deutschland laut dem aktuellen Bildungsbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nahezu Vollbeschäftigung. Nur 2,4 Prozent von ihnen waren in der Bundesrepublik 2011 erwerbslos - während es im Schnitt der 30 wichtigsten OECD-Industrienationen 4,8 Prozent waren. Aber selbst für EU-Krisenländer wie Griechenland und Spanien gilt: Je höher die Qualifikation, desto niedriger die Arbeitslosenquote. Quelle: dpa
Laut dem Bericht ist die Zahl der Studienanfänger in Deutschland zwischen 2005 und 2011 von 36 auf 46 Prozent eines Altersjahrganges gestiegen - im Schnitt der anderen Industrienationen im gleichen Zeitraum von 54 auf 60 Prozent. 28 Prozent der jungen Deutschen zwischen 25 und 34 verfügen über einen akademischen Abschluss (OECD-Schnitt: 39 Prozent). Quelle: dpa
Als besonders positiv für die Bundesrepublik wird der überdurchschnittliche Anstieg der Studienanfängerzahlen in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern herausgestellt. Und bei den Abschlüssen in diesen Disziplinen dringen zunehmend Frauen nach vorn: So ist in den Naturwissenschaften der Anteil der weiblichen Absolventen innerhalb von zehn Jahren von 27 Prozent auf 42 Prozent (2011) gestiegen. Quelle: dpa/dpaweb
Viele Akademiker lohnen sich auch für den Staat: Pro ausgebildetem Akademiker erhält der Staat in Deutschland über das gesamte Lebenseinkommen gerechnet im Schnitt 115.000 Euro mehr an Steuern zurück als er in die Studienkosten investiert hat. Erstmals hat der OECD-Bericht auch Nebenaspekte wie die Gesundheit von unterschiedlich gebildeten Bevölkerungsgruppen untersucht. Danach neigen Akademiker seltener zu Fettsucht und rauchen auch deutlich weniger. Quelle: dpa/dpaweb
Und eine gute Ausbildung zahlt sich aus: Akademiker verdienten 2011 nahezu zwei Drittel mehr als Absolventen einer Lehre. Im Jahr 2000 waren dies erst 40 Prozent mehr. „Bei Spitzenqualifikationen hat die Bundesrepublik nach wie vor Nachholbedarf“, sagte OECD-Experte Andreas Schleicher. Dies schlage sich auch in den hohen Gehälter für Akademiker nieder. In Deutschland ist der Einkommensunterschied zwischen Akademikern und beruflich ausgebildeten Fachkräften in den vergangenen zehn Jahren laut OECD sprunghaft gestiegen, und zwar um 20 Prozentpunkte. Das ist mehr als in jeder anderen Industrienation. Quelle: dpa
Doch auch eine sehr gute Ausbildung schützt nicht vor Gehaltsunterschieden: In Deutschland verdienen Frauen nur etwa 74 Prozent des Gehalts der Männer. Besonders deutlich wird der Unterschied bei Spitzenfunktionen. So erhalten 43 Prozent der Männer mit akademischer Qualifikation mehr als das doppelte des Durchschnittseinkommens. Bei den Frauen sind dies hingegen nur 11 Prozent. Als eine mögliche Begründung verweist der Bericht darauf, dass 56 Prozent der Frauen mit akademischem Abschluss nur Teilzeit beschäftigt sind, während dies nur für 19 Prozent der Männer gilt. Quelle: dapd
Bei den Doktorarbeiten liegt Deutschland im weltweiten Vergleich an der Spitze. 2,7 Prozent eines Altersjahrganges schließen ihre akademische Ausbildung mit einer Promotion ab. Nur in der Schweiz (3,2 Prozent) und Schweden (2,8) werden mehr Doktorhüte vergeben. Quelle: dpa

Nicht anders, nur besser

Privatschulen vom Typ Anne-Sophie sind vor allem etwas für diejenigen Eltern, die ihren Kindern zwar das Beste zukommen lassen wollen, aber im Kern nicht an den Methoden des traditionellen Schulsystems zweifeln: lernen und Prüfungen bestehen.

Auch die Phorms-Schule, ein paar Kilometer vom Zehlendorfer Einkaufszentrum entfernt, funktioniert nach diesem Prinzip. Wer hier den Unterricht besucht, dem fällt vor allem eins auf: die außergewöhnlichen Sprachkenntnisse der Schüler. Am ersten Schultag sitzen die Schüler der neunten Klasse zusammen, der Lehrer fragt nach Ferienerlebnissen. Ein Junge erzählt in perfektem Englisch von drei Wochen Surf-Urlaub in Kalifornien. Wie die meisten Schüler, die auf die Phorms-Schule in Berlin-Mitte gehen, ist auch er zweisprachig aufgewachsen. Viele Kinder haben mit ihren Eltern bereits im Ausland gelebt oder sind wegen der Arbeit ihrer Eltern nach Deutschland gekommen. Auch die Hälfte der Lehrer kommt aus dem Ausland. „Ein Kanadier unterrichtet anders als ein Deutscher“, sagt Marc Vehlow, Leiter des Gymnasialzweigs. „Die Kinder erleben so kulturelle Vielfalt.“

Kleine Gruppen, helle Räume: Eine Klasse der Freien Schule Anne-Sophie. Quelle: Max Lautenschläger für WirtschaftsWoche

Trotz der Elternbeiträge fährt die Phorms Education SE, zu der deutschlandweit neben den beiden Berliner Standorten sechs weitere Schulen gehören, Jahr für Jahr Verluste ein, auch die Berliner Einrichtung ist nur zur Hälfte ausgelastet. „Die Idee, aus dem Betrieb von Schulen ein Geschäftsmodell zu machen, ist in Deutschland weitgehend gescheitert“, sagt Stephan Köppe, Bildungsforscher an der Universität Dublin. Gerade ist sein Buch „Wohlfahrtsmärkte“ erschienen, darin vergleicht er Renten- und Bildungsmärkte in Deutschland, Schweden und den USA. Sein Fazit zu Deutschland: „Der private Bildungssektor wächst zwar rasant, ein echter Markt wird daraus so schnell trotzdem nicht.“ Zwei Standorte hat Phorms wieder aufgegeben, auch die wenigen anderen Anbieter wachsen nicht sehr dynamisch. Der TÜV Rheinland betreibt insgesamt vier Schulen in Görlitz, Dresden, Gera und Leipzig, der Stuttgarter Klett-Verlag hat sich mit dem Schweizer Bildungskonzern Kalaidos zusammengetan, unter dem Label Swiss International School versucht man Unternehmen dafür zu gewinnen, an ihren Produktionsstandorten Privatschulen zu errichten, um deren internationale Manager zu versorgen. Fünf davon gibt es bundesweit.

Üppig alimentiert vom Staat

Die Probleme des Geschäftsmodells Privatschule ergeben sich aus dem besonderen deutschen Regelwerk, das es nahezu unmöglich macht, sehr viel Schulgeld zu verlangen. Schulen haben einen erstaunlich prominenten Platz im deutschen Rechtssystem. Im Grundgesetz ist ihnen – gleich nach dem Schutz der Ehe – ein eigener Passus gewidmet. So schreibt Artikel 7 das Recht zur Gründung privater Schulen fest.

Damit wollten die Väter der Bundesrepublik verhindern, dass das Schulsystem noch einmal zur Instanz der massenhaften Indoktrination wie während des Dritten Reichs würde – und kirchliche Schulen stützen.

Betreiber privater Schulen. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Üppige Zuschüsse vom Staat

Bis heute werden Privatschulen deshalb üppig vom Staat alimentiert, die Länder zahlen zwischen 60 und 90 Prozent ihrer Kosten. Zugleich schafft das Grundrecht eine hohe Hürde: Der Betrieb von Privatschulen ist zu gewährleisten, solange „eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird“. Mit anderen Worten: Elternbeiträge sind erlaubt, aber nur in engen Grenzen. Das macht eine Elitenbildung, wie sie manche Eltern sich wünschen, quasi unmöglich. Umgehen kann man dieses Verbot der sozialen Auswahl per Schulbesuch daher nur an sogenannten Ergänzungsschulen: Die genießen keine öffentliche Förderung, dürfen im Gegenzug aber Beiträge in unbegrenzter Höhe verlangen. Zu diesen zählen viele Internationale Schulen. An Ergänzungsschulen kann auch kein gewöhnlicher deutscher Schulabschluss wie das Abitur erlangt werden. Stattdessen erhalten die Schüler hier ein International Baccalaureate, das in vielen Ländern zum Studium berechtigt – so auch in Deutschland.

Die Länder mit der höchsten Akademikerquote
Platz 10: IrlandBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 39,7 ProzentIm Jahr 2012 haben knapp 40 Prozent der Iren zwischen 25 und 64 Jahren eine universitäre Ausbildung. Das resümiert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (kurz: OECD) in ihrem Bildungsbericht 2014. Deutschland hingegen schafft es nicht unter die Top Ten: Nur 28 Prozent haben einen Tertiärabschluss – also ein abgeschlossenes Studium oder einen Meister. Der OECD-Durchschnitt liegt dagegen bei knapp 33 Prozent. Quelle: AP
Platz 9: NeuseelandBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 40,6 ProzentDie weltweite Finanzkrise hat sich in Neuseeland nicht wirklich bemerkbar gemacht: Während die Zahl der Studenten in vielen Industriestaaten zwischen 2008 und 2011 zurückgegangen ist, steigt sie in Neuseeland weiter an und liegt bei knapp 41 Prozent. Im Jahr 2011 investieren neuseeländische Studenten im Durchschnitt knapp 11.000 US-Dollar in ihre Hochschulausbildung. Quelle: dpa
Platz 8: GroßbritannienBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 41,0 ProzentA-Level-Studentin Tabitha Jackson (r.) freut sich mit ihren Kommilitoninnen über ihren Abschluss am Brighton College. 41 Prozent der britischen Bevölkerung hat einen Hochschulabschluss. Ein Studienjahr in Großbritannien kostet rund 16.000 US-Dollar. Quelle: REUTERS
Platz 7: AustralienBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 41,3 ProzentEin Surfer springt mit seinem Brett in die Wellen vor Sydney. Auch „Down Under“ hat eine gut qualifizierte Bevölkerung, die deutlich über dem OECD-Durchschnitt liegt: 41,3 Prozent der Erwachsenen haben einen Universitätsabschluss. Pro Jahr muss ein australischer Student etwa 16.000 US-Dollar für seine Ausbildung zahlen. Quelle: AP
Platz 6: KoreaBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 41,7 ProzentJunge koreanische Studentinnen feiern ihren Abschluss an der privaten Sookmyung Universität in Seoul. In Korea haben 41,7 Prozent der erwachsenen Bürger einen Hochschulabschluss. Ein Studienjahr kostet knapp 10.000 US-Dollar. Quelle: dpa
Platz 5: USABevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 43,1 ProzentVon allen 30 untersuchten Staaten ist ein Studium in den USA am teuersten: Rund 26.000 US-Dollar muss ein Student dort pro Jahr an einer Universität zahlen. Dennoch kann fast jeder zweite Erwachsene einen Hochschulabschluss vorweisen. Auf diesem Foto ist der Campus der Georgetown University in Washington zu sehen. Quelle: AP
Platz 4: IsraelBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 46,4 ProzentDieses Bild zeigt die israelische Universität Beerscheva, die auch als Ben-Gurion University of the Negev bekannt ist. Auch Israels Bevölkerung ist mit einem Anteil von 46,4 Prozent Hochschulabsolventen überdurchschnittlich gut ausgebildet. Pro Jahr investiert ein israelischer Student im Durchschnitt knapp 12.000 US-Dollar in seine Ausbildung. Quelle: dpa

Die meisten privaten Schulen stürzt das sogenannte „Sonderungsverbot“ in ein Dilemma. Es beschränkt ihre Einnahmequellen so sehr, dass sie versuchen müssen, Räume und Personal so effizient wie möglich zu nutzen. Das aber kostet sie Attraktivität, da viele Eltern private Schulen gerade wegen der kleinen Klassen auswählen. Der Großteil der privaten Schulen in Deutschland arbeitet deshalb nicht gewinnorientiert, sondern wird von Elternvereinen oder Kirchen getragen, so auch in Berlin.

Kinder entscheiden selbst, was sie lernen

Härter könnte der Kontrast nicht sein. Rund vier Kilometer von der denkmalgeschützten Backsteinfassade der Phorms-Schule entfernt werden die Schüler der Evangelischen Schule Berlin Zentrum von der graffitibunten Fassade eines ausrangierten Wohnwagens begrüßt. Auch das dahinterliegende Schulgebäude ist hoch bis zur zweiten Etage bemalt. Auf einer Mauer vor der Schule sitzen Maxi Strauch und Joe Zeiler und erwarten ihre Töchter. „Das herkömmliche Schulsystem ist so strukturiert, dass es früh um Selektion geht“, sagt Strauch. „Ich wollte nicht, dass mein Kind auf eine Schule geht, die das Prinzip der auf Ellenbogen basierten Leistungsgesellschaft vermittelt.“

Können Sie diese PISA-Aufgaben lösen?

Dafür ist an der Evangelischen Schule gesorgt: Kommt ihre Tochter Linda morgens dort an, entscheidet sie ganz allein, was sie lernen will. Benötigt sie Hilfe, fragt sie ihre Mitschüler. Erst wenn die nicht mehr weiterwissen, geht sie zum Lehrer. Ihre Lernfortschritte trägt die 13-Jährige in ein Logbuch ein, Noten gibt es erst ab der neunten Klasse. Tests schreibt sie nur, wenn sie sich ausreichend vorbereitet fühlt.

Nicht per se besser

Zwischen 300 und 400 Bewerbungen gehen jedes Jahr an der Evangelischen Schule ein. Da aber Kinder, die schon die dazugehörige Grundschule besucht haben, bevorzugt werden, gibt es weniger als zehn freie Plätze für Externe. Das druckbefreite Lernmodell überzeugt offenbar viele Eltern. Statt Mathe und Deutsch stehen dann Fächer wie „Verantwortung“ auf dem Stundenplan.

Für Linda beginnt gleich nach den Ferien die zweite „Herausforderung“. Mit drei anderen Schülern will sie mit dem Rad von Berlin nach Usedom fahren. Begleitet werden sie von einem Betreuer, den sich die Gruppe selbst suchen musste. Das Budget: 150 Euro pro Kopf. Davon müssen sie alles bezahlen – vom Essen bis zum Schlafplatz. „Die Kinder kommen total verändert wieder“, sagt Margret Rasfeld, Direktorin der Schule. „Sie sind mutiger, haben gelernt, Entscheidungen zu treffen und Konflikte zu lösen.“

Was Schüler in der neunten Klasse können sollen

Die Evangelische Schule ist Teil des Netzwerks alternativer Schulen, rund 100 Einrichtungen unterrichten bundesweit nach ähnlichen Konzepten. Es sind vor allem solche Alternativschulen, denen der gesamte Privatschulsektor sein Wachstum zu verdanken hat. Mal werden Eltern aktiv, weil sie mit der Auswahl vor Ort unzufrieden sind. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern sind es oft Elterninitiativen auf dem Land, die eigene Schulen gründen, wenn der Staat sich angesichts sinkender Schülerzahlen komplett zurückzieht. Anderswo ziehen die Alternativschulen Kinder an, weil sie auch denen eine Chance geben, die mit dem Leistungsdruck des staatlichen Systems nicht klarkommen. Das erklärt zum Beispiel die verhältnismäßig große Verbreitung der Schulen im Pisa-Wunderland Bayern, wo die strengen und bindenden Lehrerempfehlungen vielen Kindern den Weg aufs Gymnasium versperren und es zugleich wenig Alternativen innerhalb des Systems gibt.

Noch funktioniert das Miteinander

NRW-Ministerin Löhrmann bleibt erstaunlich gelassen angesichts des rapiden Wachstums der privaten Konkurrenz. „Privatschulen sind eine Ergänzung zu den staatlichen Schulen, sie bringen neue Ideen in das gesamte System“, sagt die grüne Schulministerin. Manche ihrer Kollegen sehen den Trend mit deutlich mehr Skepsis: In Thüringen und Sachsen kappten die Landesverwaltungen jüngst die Zuschüsse für private Schulen, wurden aber vom Verfassungsgericht zurückgepfiffen. Den Boom der privaten Bildung sieht Löhrmann vor allem als Zeichen wachsenden Verantwortungsbewusstseins: „Die Eltern von heute treffen für ihre Kinder sehr bewusste Entscheidungen, was die Schulwahl angeht. Sie wollen nichts dem Zufall überlassen.“

Vielleicht liegt diese Gelassenheit auch an Löhrmanns persönlicher Geschichte. Als Kind war sie selbst auf einem privaten Mädchengymnasium, erinnert sich gern daran zurück. „Ich habe eine schöne Schulzeit gehabt“, sagt Löhrmann, „es war aber auch nicht viel anders als an einer normalen Schule – abgesehen davon, dass es dort nur Mädchen gab.“ Genau diese Selbstverständlichkeit predigt Löhrmann auch für den Wettbewerb zwischen staatlichen und privaten Schulen. „Privatschulen haben die Möglichkeit, schneller Dinge auszuprobieren“, sagt Löhrmann, „wir müssen deshalb die Offenheit bewahren, gute Ideen von dort an staatliche Schulen übernehmen zu können.“

Keine signifikanten Unterschiede

So seien gerade im Grundschulbereich viele Ideen aus den Montessorischulen auch an staatlichen Stellen umgesetzt worden. In einigen Bundesländern, darunter NRW, gibt es sogar staatliche Grundschulen, die ganz nach dem Montessorikonzept unterrichten. Der Anteil der Schüler an Privatschulen ist mit 8,7 Prozent entsprechend geringer als anderswo, dabei ist die öffentliche Förderung in NRW so üppig wie sonst nirgends.

„Es ist nicht belegt, dass private Schulen per se besser sind als staatliche Schulen“, sagt Löhrmann. Als Beleg zieht sie den von der Bertelsmann Stiftung vergebenen Deutschen Schulpreis heran, bei dem regelmäßig staatliche Schulen die Preise abräumen.

Zumindest wenn man die Leistungen der Schüler als Maßstab nimmt, trifft das zu. So preist die Alternativschulleiterin Rasfeld den Notenschnitt ihrer Abiturienten, der mit 2,0 deutlich über dem bundesweiten Schnitt liege. Der reicht von 2,17 in Thüringen bis zu 2,61 in Niedersachsen. Der Schnitt allein sagt aber nicht allzu viel aus. „Vergleicht man die Pisa-Ergebnisse von Privatschülern mit denen von öffentlichen Schulen, so lassen sich keine signifikanten Unterschiede feststellen“, so Bildungsforscher Köppe.

Zwar schneiden die Privatschüler im Durchschnitt leicht besser ab, sobald man den Einfluss des elterlichen Einkommens und Bildungsstands herausrechnet, verflüchtigt sich dieser Vorsprung jedoch umgehend.

Dennoch kann der Wechsel auf eine private Schule im Einzelfall zu deutlichen Verbesserungen führen. Gerade für Kinder, die mit dem Leistungsdruck oder der Konformität einer staatlichen Schule nicht klarkommen, bietet sich ein Wechsel an. Und in einer Hinsicht schneiden die Privatschulen auch in Vergleichsuntersuchungen durchgehend besser ab: bei der Zufriedenheit von Eltern und Schülern.

An der Freien Schule Anne-Sophie in Berlin Zehlendorf macht Daniela Lange dem ersten Schultag zügig ein Ende. Die Hitze staut sich im Raum, die Konzentration lässt nach. Ein Punkt ist Lange aber noch wichtig. Was sie denn das nächste Mal besser machen könne, fragt sie in die Runde.

Die Kinder gucken sich etwas ratlos an, zucken mit den Schultern. Zögerlich meldet sich ein Junge: „Können wir jetzt gehen?“, fragt er. Das Beste ist immer noch der Unterrichtsschluss – egal, ob an privaten oder staatlichen Schulen.

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