Fake-News „Lug und Trug im Netz“

Beim Umgang mit Fake News bekleckern sich weder Politik, noch Facebook, Google oder die traditionellen Medien mit Ruhm, meint Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Ein Gastkommentar.

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war Bundesjustizministerin und ist Vorstand der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Quelle: dpa

Das vermeintliche Allheilmittel der Politik, wenn man nicht mehr weiter weiß, lautet bekanntlich: neue Strafrechtsbestimmungen. Wenig verwunderlich, dass jetzt auch das Problem der „Fake News“ so gelöst werden soll. CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer warnte in düsteren Worten vor der Gefahr einer verfälschten Bundestagswahl 2017 und forderte rechtliche Konsequenzen wie die Aufnahme von „Desinformationskampagnen als Straftatbestand“. CDU-Rechtspolitiker Patrick Sensburg meint gar, eine staatliche Prüfstelle solle Propagandaseiten aufdecken und kennzeichnen. Vorschläge, an deren Umsetzbarkeit wohl nicht einmal die Betreffenden selbst glauben. Schließlich geht es mehr als nur Internettrolle und automatisierte Computerprogramme.

„Fake News“ sind bewusst gestreute Falschmeldungen, um Verwirrung zu schaffen, den politischen Gegner zu diffamieren oder schlicht durch hohe Aufmerksamkeit Geld zu verdienen. Neu ist der bewusste Einsatz in sozialen Netzwerken, indem virale Effekte ausgenutzt werden und so schnell enorme Reichweiten erzeugt werden können. Dabei bleiben deren Urheber und damit auch die Absicht dahinter meist gut versteckt im Verborgenen. Verstärkt wird die Wirkung durch den verbreiteten Einsatz von Bots und Algorithmen. Ob etwa deutsche Kommentare für die autoritäre Politik Erdogans von Bots, echten Menschen oder sogar extra bezahlten Schreibern stammen, lässt sich für andere User kaum erkennen. Meinungen und Öffentlichkeit entstehen trotzdem. Oft werden bewusst Auslassungen vorgenommen, die den Sinn verfälschen. Und völlig selbstverständlich werden Lügen in die Welt gesetzt.

Angesichts des tiefgreifenden Wandels des Mediennutzungsverhaltens ist die Wirkung groß. Fast 90 Prozent der Jugendlichen nutzen das Internet täglich, Tageszeitungen werden hingegen nur von 19 Prozent konsumiert. Insbesondere führende Onlinedienste wie Facebook, Google oder Twitter sind entscheidend für die virale Verbreitung von Falschmeldungen. Sie stehen zu Recht in der Kritik, nicht streng genug gegen Lug und Trug vorzugehen.

Traditionelle Medien machen es sich arg einfach, wenn sie mit dem erhobenen Finger auf Bots und Algorithmen zeigen. Das Medienangebot war noch nie völlig objektiv und kann es auch gar nicht sein. Die Entscheidung über den Wert einer Nachricht ist immer ein Stück weit subjektiv, jede Meldung braucht schließlich Kontext.


Wer bestimmt die Grenze?

Dass die Tagesschau tagelang nicht über die Verhaftung des syrischen Flüchtlings berichtete, dem die Vergewaltigung einer Freiburger Studentin vorgeworfen wird, ist einer der großen Medienskandale dieses Jahr. 2016 hat sich auch der Qualitätsjournalismus seine eigenen Fakten zurechtgeschrieben. Die Wahl Hillary Clintons und der Verbleib Großbritanniens in der EU wurden lange als Fakten beschrieben – bis sie es nicht mehr waren.

Wer bestimmt die Grenze zwischen dilettantischer journalistischer Arbeit, Meinungsbeiträgen und tatsächlichen ‚Fake News‘? Schließlich sind Populisten wie Donald Trump und seine Anhänger nicht die Einzigen, die durch öffentliche Falschaussagen auffallen. Im Falschaussagen-Ranking der Kölner Journalistenschule steht Markus Söder mit 21,9 Prozent unkorrekter Aussagen in Talkshows auch nicht viel besser da. Politik und Propaganda sind alte Bekannte.

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich muss zum Beispiel Facebook ganz anders gegen Hetze und Falschmeldungen vorgehen. Das entlässt den einzelnen User aber nicht aus der Verantwortung. Die selbstständige Auswahl und Rezeption aus der neuen Informationsflut erfordert eine andere Form der Medienkompetenz. Was auf den ersten Blick bequem erscheint, dass zum Beispiel Facebook für den User relevante Nachrichten auswählt, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als Einfallstor für Manipulation. Wenn jemand ernsthaft alleine den Facebook-Algorithmus als Grundlage seiner Information nutzt, ist daran Facebook nicht schuld.

Das schier unendliche Nachrichtenangebot im Netz bietet mehr, als jetzt immer wieder in düsteren Farben beschrieben wird. Die Möglichkeiten unabhängiger Berichterstattung, selbst wenn alle kritischen Medien mundtot gemacht werden wie in der Türkei, sie heute sind nicht wegzudenken. Auch deswegen halte ich wenig von Diskussion über das „postfaktische Zeitalter“. Die Mehrheit der Menschen orientiert sich an Fakten. Es ist nicht so, dass die gefühlte Wahrheit zunehmend schwerer wiegt als nüchterne Fakten.

Sicher gibt es einen tiefgreifenden Vertrauensverlust in unsere Demokratie. Gleichzeitig darf die Unsicherheit, wie mit dem schleichenden Autoritarismus umgegangen werden soll, nicht zu Schwarz-Weiß Denken führen. Politiker und Medienvertreter sollten aufhören, „böse Mächte“ für die eigenen Probleme verantwortlich zu machen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war Bundesjustizministerin und ist Vorstand der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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