Fall Böhmermann Merkels Vierfach-Dilemma

Im Fall Böhmermann hat die Bundesregierung vier Optionen. Doch wie auch immer die Entscheidung ausfällt: Entweder es droht ein innenpolitischer Schaden oder ein außenpolitischer.

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Im Fall Böhmermann muss die Bundesregierung jetzt entscheiden, wie sie sich verhält. Doch eine optimale Lösung gibt es nicht. Quelle: dpa

Berlin Auch knapp zwei Wochen nach der ZDF-Sendung „Neo Magazine Royal“ wird die Lage immer komplexer. Die persönliche Strafanzeige des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei der Staatsanwaltschaft Mainz hat die Lage weiter verändert. Die Bundesregierung steckt in einem Dilemma, das juristisch, innen- und außenpolitische sowie möglicherweise auch wirtschaftliche Folgen hat - egal wie sie sich verhält. Diskutiert werden in der Bundesregierung derzeit vier denkbare Optionen:

1. Bundesregierung ermächtigt Strafanzeige ohne Kommentar

Die Bundesregierung prüft derzeit die Verbalnote der türkischen Regierung, in der sie nach Paragraf 103 des deutschen Strafgesetzbuches aufgefordert wird, Ermittlungen gegen Böhmermann wegen Beleidigung zuzulassen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Mittwoch, die Bundesregierung prüfe weiterhin eine entsprechende Forderung Ankaras. „Ich bitte noch ein wenig um Geduld“, sagte Seibert.

Rein juristisch betrachtet könne die Regierung dies tun, ohne dabei eine Aussage über ihre eigene Position zu treffen, sagt etwa CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Dann wäre das Problem für die Politik formal gelöst, und die unabhängige deutsche Justiz könnte sich mit dem Fall befassen. Erwartet wird, dass die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass Böhmermann dann nicht verurteilt wird. Auch der Entertainer Rudi Carrell entging 1987 in einem ähnlichen Fall einer Verurteilung.

Aber politisch wäre dieser Weg für Bundeskanzlerin Angela Merkel schwierig: Seit sie in einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu betonte, auch sie finde das Gedicht „bewusst verletzend“, wird ihr Kuschen vor der Türkei vorgeworfen. Hintergrund: Die EU und gerade Deutschland brauchen eine Kooperation mit der Regierung in Ankara zur Lösung der Flüchtlingskrise.

Am Dienstag versuchte Merkel hier schon vorsorglich eine klare Trennung einzuziehen. Es gebe keinen Zusammenhang zwischen dem Flüchtlingsthema und der Meinungsfreiheit. In Deutschland gälten in jedem Fall die Rechte des Grundgesetzes. Kritisiert würde sie bei einer Ermächtigung wohl dennoch. Allerdings soll die Entscheidung auf jeden Fall zusammen mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Justizminister Heiko Maas (beide SPD) getroffen werden.

2. Bundesregierung reicht Klage mit Kommentar weiter

Denkbar wäre auch, dass die Bundesregierung dem türkischen Wunsch nach Ermittlungen gegen Böhmermann aus juristischen Gründen statt gibt, dies aber gleichzeitig mit einem Kommentar versieht – etwa dass sie mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit gegen eine Verurteilung wäre. Die Folgen wären auch hier schwer abzuschätzen: Erdogan wäre wahrscheinlich verärgert. Gleichzeitig würde der Regierung vorgeworfen, die unabhängige deutsche Justiz beeinflussen zu wollen.

3. Bundesregierung weist türkisches Ansinnen zurück

Sollten Kanzleramt, Auswärtiges Amt und Justizministerium die Verbalnote zurückweisen, wäre der Effekt wieder anders: Die türkische Regierung würde wahrscheinlich verschnupft reagieren, die innenpolitische Reaktion wäre wohl positiv. Ermittelt würde gegen Böhmermann aber dennoch, weil Erdogan nach Paragraph 185 Strafgesetzbuch nun selbst Anzeige in Mainz gestellt hat.

Unklar sind die außenpolitischen und wirtschaftlichen Folgen, auch weil Erdogan als schwer berechenbar gilt. Im Jahr 1987 entschuldigte sich Rudi Carrell für den Witz beim iranischen Botschafter, die Bundesregierung bedauerte den Vorfall ebenfalls. Die iranische Regierung wies dennoch zunächst zwei deutsche Diplomaten aus und schloss das Goethe-Institut in Teheran. Carrell hatte in seiner Sendung „Rudis Tagesshow“ Revolutionsführer Ayatollah Chomeini verspottet.

Im Fall von Mohammed-Karikaturen in Dänemark, durch die sich Muslime beleidigt fühlten, gab es in mehreren islamischen Ländern Boykott-Aufrufe gegen dänische Waren. Allerdings ging es damals um Mohammed – nicht um den türkischen Präsidenten.

4. Bundesregierung entscheidet gar nicht

Theoretisch könnte sich die Bundesregierung auch auf den Standpunkt stellen, dass sich mit Erdogans direkter Anzeige in Mainz das Thema der türkischen Verbalnote eigentlich erledigt habe. Warum muss die Bundesregierung die Zustimmung zu Ermittlungen geben, die sowieso angestrengt werden? Die Folgen einer solchen Nicht-Entscheidung sind aber ebenfalls unklar: Im schlechtesten Falle wäre die Türkei verärgert, und in der Innenpolitik würde man der Regierung Feigheit vorwerfen.

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