Gastkommentar zur Deutschen Einheit (K)ein Grund zum Feiern

25 Jahre deutsche Einheit: Ost und West sind inzwischen zu einem Deutschland zusammengewachsen. Nur den politisch Verfolgten der früheren DDR ist kaum zum Feiern zumute – sie sind in die Verlierer der Wiedervereinigung.

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Kein anderes ex-sozialistisches Land hat so schnell den Anschluss an die westliche Welt geschafft wie die einstige DDR. Quelle: dpa

Berlin Ein Vierteljahrhundert ist es jetzt her, dass die DDR der Bundesrepublik beitrat. Fast so lang wie die Weimarer Republik und der Nationalsozialismus zusammengerechnet existierten. In den 25 Jahren wurden die Wunden, die die kommunistische Diktatur im Osten Deutschlands geschlagen hatte, weitgehend beseitigt.

Zwischen Dresden und Rostock unterscheiden sich die Lebensverhältnisse heute kaum noch von denen im Westen Deutschlands. Die Menschen haben genauso viele Autos, Geschirrspüler, Waschmaschinen. Sie leben in ähnlichen Wohnungen und sterben nicht mehr wie zu DDR-Zeiten drei bis fünf Jahre früher als ihre westdeutschen Landsleute. Kein anderes ex-sozialistisches Land hat so schnell den Anschluss an die westliche Welt geschafft wie die einstige DDR.

Nur eine Gruppe sieht auf das in den letzten 25 Jahren Erreichte eher enttäuscht zurück – die, die in der DDR politisch verfolgt wurden. Ausgerechnet diejenigen, die sich gegen das kommunistische Regime aufgelehnt haben, sind in vielerlei Beziehung die Verlierer der Einheit.

Da ist zunächst die Tatsache, dass das ihnen zugefügte Leid größtenteils ungesühnt blieb. Weit über 200.000 Menschen saßen in der DDR aus politischen Gründen im Gefängnis, mehr als 50 wurden hingerichtet. Über 1.000 Flüchtlinge wurden an den Grenzen erschossen oder schwer verletzt, Zehntausende Häftlinge in DDR-Gefängnissen misshandelt. Trotzdem kamen nach der Wiedervereinigung nur 40 Funktionäre in Haft, keiner länger als vier Jahre. Von den Mitarbeitern des gefürchteten Staatssicherheitsdienstes wurde überhaupt niemand zur Rechenschaft gezogen, so dass dessen letzter Chef, Wolfgang Schwanitz, schon vor Jahren verkündete, sie seien „juristisch rehabilitiert“.

Ebenso bitter stößt es den Opfern auf, dass die Auftraggeberin der Stasi, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), nach der Wiedervereinigung einfach weitermachen konnte. Statt sie zu verbieten und ihr Vermögen zu beschlagnahmen, brauchte sie sich lediglich umzubenennen. Unter dem Vorsitz des von den Medien hofierten Nomenklaturkaders Gregor Gysi schafften die Funktionäre einen Großteil des Parteivermögens – und der Akten –beiseite und machten sich gut versorgt in den Parlamenten breit. Von dort berieseln sie seitdem die Deutschen mit ihrer aus Steuermitteln finanzierten Propaganda.

Stillschweigend akzeptiert wurde nicht nur, dass ehemalige SED-Funktionäre und Stasi-Mitarbeiter auf dem Ticket der Linkspartei als Volksvertreter agieren. Noch schmerzhafter für die Opfer ist, dass sie in Brandenburg und Thüringen auch über die Regierungspolitik entscheiden.

Dass sich die alten Kader nicht nur an der Spitze behaupten konnten, mussten die Verfolgten in Ostdeutschland ebenfalls bald erkennen. Mit dem Einigungsvertrag wurde fast der gesamte DDR-Staatsapparat in den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik übernommen. Ob Schulen, Polizeistationen, Behörden – überall stießen die Opfer auf altbekannte Gesichter. Von den 28.000 Stasi-Mitarbeitern, die in den ostdeutschen Landesverwaltungen entdeckt wurden, durfte mehr als die Hälfte weiter arbeiten. Selbst in der Stasi-Unterlagen-Behörde kontrollierten ehemalige Stasi-Mitarbeiter vor der Akteneinsicht die Ausweise der Opfer – und niemand störte sich daran.


Eine Unvereinbarkeit von Mandat und Stasi- oder SED-Tätigkeit gibt es nicht

Deutschland hält sich so viel auf seine Vergangenheitsbewältigung zugute. Aber Überprüfungen auf eine frühere Tätigkeit für die DDR-Geheimpolizei waren nicht vorgeschrieben. Sie blieben deshalb lückenhaft. Parteifunktionen wurden überhaupt nicht gecheckt und Konsequenzen waren schon gar nicht vorgeschrieben. Nicht einmal im Deutschen Bundestag oder in der Bundesregierung sind Stasi-Checks obligatorisch – anders als etwa in Rumänien. Eine Unvereinbarkeit von Mandat und Stasi- oder SED-Tätigkeit gibt es nicht.

Ehemalige Oppositionelle hatten dagegen im wiedervereinigten Deutschland nur wenig Chancen, Einfluss zu gewinnen. Weil ihnen die SED eine höhere Bildung verwehrt hatte, kamen sie in der Regel für entsprechende Positionen nicht in Frage. Niemand kümmerte sich darum, ihnen mit gezielten Programmen nachträglich zu den notwendigen Berufsabschlüssen zu verhelfen. In der Stasi-Unterlagen-Behörde wurde ihnen unter dem ersten Direktor Hans-Jörg Geiger sogar bewusst der Zugang versperrt.

Zumindest materiell, so könnte man denken, wurde im wiedervereinigten Deutschland dafür gesorgt, dass den Opfern Gerechtigkeit wiederfuhr. Doch eine Untersuchung des Thüringischen Gesundheitsministeriums brachte zum Vorschein, dass insbesondere ehemals Verfolgte im arbeitsfähigen Alter kaum vom neuen Wohlstand profitierten. 17 Prozent hatten ein monatliches Nettoeinkommen von unter 500 Euro, bei 30 Prozent lag es zwischen 500 und 1.000 Euro. Zum Vergleich: Weniger als 500 Euro stehen in Thüringen sonst nicht einmal zwei Prozent der Bevölkerung zur Verfügung.

Auch im Rentenalter wirkt die Verfolgung fort. Die hohen Renten für DDR-Funktionäre werden Dank Rentenüberleitungsgesetz von der bundesdeutschen Rentenkasse bis heute größtenteils weitergezahlt. Die Ausgegrenzten und Verfolgten bringen hingegen kaum „Entgeltpunkte“ für ihre Rentenberechnung zusammen – und erhalten entsprechen niedrige Bezüge. Den Flüchtlingen und Ausgereisten wurde die bundesdeutsche Rente nach der Wiedervereinigung sogar nachträglich wieder aberkannt.

Anders als in Polen gibt es in Deutschland auch keine zentrale Behörde, die für die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer zuständig ist. Meist müssen sie sich mit diversen örtlichen Behörden herumschlagen, die ihnen häufig Steine in den Weg legen. Wer zum Beispiel nicht mehr arbeiten kann, weil er durch die Zeit im Gefängnis schwer traumatisiert ist, muss nachweisen, dass dies an der Haft liegt – sonst bekommt er keine Berufsunfähigkeitsrente. Und wer nicht auf mindestens sechs Monate Gefängnis kommt, hat keinen Anspruch auf eine Opferrente von derzeit 300 Euro pro Monat. Zum Vergleich: In Litauen beträgt die Zusatzrente für politisch Verfolgte 1.380 Euro.

Mit 25-jähriger Verspätung hat der Deutsche Bundestag am Freitag (2.10) immerhin beschlossen, in Berlin ein Denkmal für die Opfer des Kommunismus zu errichten. Doch die Herzenswärme, die viele für die derzeit nach Deutschland strömenden Flüchtlinge fordern, haben die Opfer der SED-Diktatur nie erhalten. Deshalb ist ihnen am 25. Jahrestag der Wiedervereinigung auch kaum zum Feiern zumute.

Der Autor ist Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und Verfasser des Buches „Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur.“

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