Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt „Wir sollten uns auf die Menschen konzentrieren, die die Wirtschaft braucht“

Daniel Terzenbach ist Sonderbeauftragter für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten. Quelle: dpa Picture-Alliance

Die Bundesregierung will 500 Millionen Euro einsparen, in dem sie geflüchtete Menschen schneller in Arbeit bringt. Kann das gelingen? Daniel Terzenbach soll als Sonderbeauftragter den „Job-Turbo“ zünden – und ist optimistisch.

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WirtschaftsWoche: Herr Terzenbach, mit dem „Job-Turbo“ für Geflüchtete will die Bundesregierung eine halbe Milliarde Euro sparen, indem vor allem mehr Ukrainer schneller eine Arbeit finden. Anders ausgedrückt: Sie müssen jetzt als Sonderbeauftragter liefern. Wie gehen Sie mit dem Druck um?
Daniel Terzenbach: Wenn überhaupt, sehe ich das eher positiv. Denn letztlich zeigt die Bundesregierung damit, dass wir mit dem Job-Turbo und der Integration von Geflüchteten aus der Ukraine, Syrien oder Afghanistan etwas bewegen können. Wir schaffen es, Menschen in Arbeit zu bringen. Es wäre doch paradox, den „Job-Turbo“ zu zünden, wenn wir davon ausgehen, dass wir mit ihm nichts erreichen.

Dennoch stehen jetzt die 500 Millionen Euro im Raum. Ist das machbar? 
Es kommt unter anderem darauf an, wie sich die Konjunktur entwickelt. Im Moment ziehen dunkle Wolken am Horizont auf. Werden sie zu einem Gewitter, beeinflusst das auch die Arbeitsmarktintegration negativ. Das sehe ich aber aktuell nicht. Bleibt der Arbeitsmarkt also weiterhin aufnahmefähig, dann glaube ich, dass wir hier beweisen können, dass der „Job-Turbo“ wirkt.

Im vergangenen Sommer lag die Erwerbstätigenquote bei den ukrainischen Geflüchteten bei 23 Prozent. Sie vermeiden es, eine Zielmarke zu nennen. Mit den 500 Millionen Euro hat jetzt die Bundesregierung quasi eine Vorgabe gemacht. Haben Sie schon heruntergerechnet, wie viele Geflüchtete sie dafür in Arbeit bringen müssen?
Beim „Job-Turbo“ geht es um 400.000 Menschen, die gerade aus Sprachkursen kommen oder diesen bereits abgeschlossen haben. Die genannten Einsparungen auf sie herunterzurechnen ist nicht so einfach. In der Grundsicherung reden wir über Bedarfsgemeinschaften, die sehr heterogen sind. Eine alleinstehende Person ist genauso eine Bedarfsgemeinschaft wie eine Familie mit Kindern im Bürgergeld. Da ist klar, dass die Familie als Bedarfsgemeinschaft mehr Geld bekommt. Wir sollten uns auf die Menschen konzentrieren, die die Wirtschaft braucht.

Zur Person

Aber Sie könnten das doch zumindest grob überschlagen. Starten Sie einfach ins Jahr und hoffen, dass Sie die 500 Millionen Euro irgendwie zusammenbringen?
Unser primäres Ziel bleibt es erst einmal, Menschen in Arbeit zu bringen. Zu konkreten Zahlen können wir erst im Rückblick was sagen, weil es auch von vielen Variablen und Rahmenbedingungen abhängt. Und natürlich kann es auch sein, dass Geflüchtete eine Arbeit finden, aber weiterhin im Bezug bleiben, zum Beispiel weil sie in Teilzeit arbeiten.

Weitere 250 Millionen Euro verspricht man sich durch die Streichung des Bürgergeld-Bonus und Verschärfung der Sanktionen für alle Bürgergeldempfänger. Ist das der richtige Weg? 
Wir müssen das parlamentarische Verfahren abwarten. Und da kann es vielleicht auch noch zu Änderungen kommen. Es macht deshalb keinen Sinn, wenn ich hier spekulieren und Bürgerinnen und Bürger oder Unternehmen verunsichern würde.

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Die Bundesagentur für Arbeit soll außerdem über vier Jahre hinweg 5,2 Milliarden Euro von den Zuschüssen, die sie vom Bund für die Corona-Pandemie erhalten hat, zurückzahlen. Welche Auswirkungen hätte das? 
Das wäre meiner Meinung nach falsch. Das würde es der Bundesagentur für Arbeit deutlich erschweren, Rücklagen zu bilden und damit krisensicher zu machen. Und die nächste Krise kommt bestimmt.

Ist das Bürgergeld überhaupt geeignet, um beim Haushalt zu sparen?
Es liegt auf der Hand, dass sich die Kosten für die Allgemeinheit reduzieren, wenn Menschen arbeiten. Davon profitieren die Menschen in erster Linie selbst. Sie zahlen dadurch außerdem nicht nur Steuern, sondern sind auch nicht mehr auf die Allgemeinheit angewiesen. Bringen wir Menschen in Arbeit, entlastet das also doppelt. Deshalb finde ich die aktuelle Diskussion nicht falsch. Wir verstehen den „Job-Turbo“ und die Integrationsarbeit aber so: Wir bringen Menschen in Arbeit – und darauf liegt der Fokus – und folglich führt das zu einer Kostenreduktion.

Aber genau das macht doch die Bundesregierung im Moment eben nicht. 
Naja, wir prognostizieren aus den vielen genannten und unterschiedlichen Einflussfaktoren ja eben nicht, wie viele Menschen wir genau in Arbeit bringen werden, sondern dass es von den 400.000 möglichst viele sein sollen. Das ist Ansporn genug, noch einmal einen Gang hochzuschalten.

Einen Gang hochschalten heißt unter anderem eine engmaschigere Betreuung der Geflüchteten durch die Jobcenter. Schaffen das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überhaupt bei 400.000 Menschen? 
Die Kolleginnen und Kollegen waren während der Corona-Pandemie am Limit. Das hat sich reduziert, auch wenn die Belastung weiter hoch ist. Wir wollen in den kommenden sechs Monaten die Kontaktdichte erhöhen. Das wird die Kolleginnen und Kollegen fordern, aber nicht überfordern. Ich merke auch eine große Bereitschaft in den Jobcentern, dieses Thema noch einmal anzugehen. Wir können den Job-Turbo aber nicht dauerhaft aufrechterhalten.

In Dänemark sollen bereits 77 Prozent der geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer arbeiten. Das zeigt eine Auswertung des Migrationsforschers Dietrich Thränhardt. In Polen und Tschechien sind es demnach zwei Drittel, in den Niederlanden und Großbritannien die Hälfte. Auch wenn die Zahlen wegen unterschiedlicher Berechnungsgrundlagen mit Vorsicht zu genießen sind: Kommen wir 2024 an diese Quoten ran? 
Richtig ist: Man muss bei den Zahlen vorsichtig sein. Wir sind jetzt dabei, uns anzusehen, was wir von diesen Ländern lernen können, aber auch wie diese Quoten zustande kommen. Ich will verstehen, welche Zahlen hier verglichen und wie diese genau berechnet werden. Schon jetzt lässt sich sagen, dass hier in Europa mindestens Äpfel mit Birnen, wenn nicht sogar eher mit Tomaten verglichen werden.

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Hinkt Deutschland also im europäischen Vergleich gar nicht so stark hinterher? 
Ein Vergleich ist schwierig, weil die Länder unterschiedliche Wege gehen. Nehmen die Menschen sofort eine Arbeit auf, die nichts mit ihrer Qualifikation zu tun hat und die keine Sprachkenntnisse erfordert, mag das eine zunächst hohe Erwerbstätigenquote mit sich bringen. Die Migrationsforschung zeigt aber, dass dieser Weg nicht nachhaltig ist. Auf der anderen Seite bringt es auch nichts, dass die Menschen viele Jahre Kurse besuchen ohne zu arbeiten. Mit dem „Job-Turbo“ versuchen wir einen Mittelweg. Die Geflüchteten sollen erst grundsätzlich Deutsch lernen, dann eine Arbeit aufnehmen und wir begleiten sie von dort aus weiter bei der Verbesserung von Sprache und Qualifizierung.

Landen hierzulande aber nicht trotzdem auch Geflüchtete in prekären Jobs? 
Das Risiko gibt es. Aber wir beobachten anhand von Studien, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer mehr verdienen als andere Menschen in den Fluchtbewegungen zuvor. Das zeigt uns, dass wir die Qualifikation dieser Menschen besser als in der Vergangenheit nutzen. Aber es gibt noch viel zu tun.

In welchen Ländern waren Sie bisher und was haben Sie gelernt? 
Wir waren vor Kurzem in den Niederlanden. Das war sehr interessant. Wir haben viele Gespräche geführt und konnten so das System der Arbeitsmarktintegration besser verstehen. Eine abschließende Auswertung folgt erst noch. Wir wollen uns zudem noch Dänemark und Norwegen anschauen. Außerdem werfen wir einen Blick auf Österreich und die Schweiz, wo der Spracherwerb für den Arbeitsmarkt wie hierzulande besonders wichtig ist.

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Die Sprache ist nur ein Grund, warum sich Unternehmen scheuen, mehr Geflüchtete einzustellen. Wie wollen Sie die Betriebe mehr überzeugen? 
Ich glaube, es existiert keine Scheu, sondern Offenheit. Vielmehr fehlt einigen Unternehmen die Erfahrung mit der Einstellung von Geflüchteten. Bis zur Fluchtbewegung ab 2015 hatten Geflüchtete ja auch nahezu keinen Zugang zum Arbeitsmarkt. Mittlerweile sind aber viele Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt integriert. Viele Unternehmen wissen jedoch gar nicht, welche Unterstützungsmöglichkeiten sie haben, wenn es um Sprachförderung, Qualifizierung, die Anerkennung eines Führerscheins oder den Kontakt mit Ausländerbehörden geht. Das gilt es jetzt mehr und besser zu kommunizieren.

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