Geschwächte Währungshüter Es war einmal eine Bundesbank

Mit dem Start der EZB-Bankenaufsicht verliert die Bundesbank abermals an Einfluss. Experten halten das für eine zeitgemäße Entwicklung. Zu den Regeln des Euro-Systems passt der traditionelle deutsche Fokus nicht mehr.

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Ein Schild weist auf die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank hin: die Notenbank bewegt sich zunehmend im Schatten der EZB. Quelle: dpa

Berlin Deutschland ist Europas Zahlmeister und verliert dennoch an Einfluss. Die Europäische Zentralbank (EZB) erhält dagegen immer mehr Machtbefugnisse. Heute übernimmt die Zentralbank die Aufsicht über die größten und wichtigsten Banken der Euro-Zone. Die kleineren Institute bleiben unter der Kontrolle der nationalen Aufseher. Innerhalb der neuen EZB-Aufsicht wird die BaFin erste Ansprechpartnerin der EZB sein – und nicht die Bundesbank.

Die deutsche Notenbank büßt damit zum wiederholten Mal an Einfluss ein. Auch bei wichtigen Abstimmungen im EZB-Rat gerät die Bundesbank ins Hintertreffen, sobald Litauen am 1. Januar 2015 als 19. Land der Währungsgemeinschaft beitritt. Dann greift ein Rotationsverfahren für Abstimmungen, damit das oberste Entscheidungsgremium beschlussfähig bleibt. Die Präsidenten der nationalen Notenbanken rotieren künftig. Dadurch wird auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann alle fünf Monate bei den Ratssitzungen kein Stimmrecht haben.

In der Politik wird diese Entwicklung teilweise argwöhnisch beobachtet. Führende Ökonomen in Deutschland halten sie für folgerichtig. „Regeln des Euro-Systems sind einzuhalten, auch wenn diese in bestimmten Konstellationen die Bundesbank in ihrem Einfluss schwächen“, sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Dieser Grundsatz sei deshalb wichtig, weil ansonsten auch andere Regeln des Euro-Systems, etwa das Interventionsverbot am Primärmarkt für Staatsanleihen, von anderen bei entsprechender Interessenlage mit gleichem Recht zur Disposition gestellt werden könnten. „Man hätte bei den Verhandlungen in Maastricht vor langer Zeit diese Folgen berücksichtigen müssen“, fügte Hüther hinzu. Jetzt aber sei „eine Wehklage müßig“.

Was manchen bitter aufstößt, ist im Fall der Übernahme der Bankenaufsicht durch die EZB der Umstand, dass in Deutschland die bisher zuständige BaFin und die Bundesbank deutlich entmachtet werden. Denn die EZB wird die oberste Behörde für die Banken in der Euro-Zone. Für 120 große Institute - davon 21 aus Deutschland - ist sie künftig direkt zuständig. Die wichtigsten grenzüberschreitend tätigen Finanzhäuser mit einer Bilanzsumme von mehr als 30 Milliarden Euro sollen damit nach einheitlichen Kriterien kontrolliert werden. Bislang standen nationale Aufseher häufig im Ruf, zu milde mit ihren jeweiligen Kreditinstituten umzugehen. Das lag auch daran, dass die Banken oft der größte Geldgeber für die Staaten sind.

Die tägliche Aufsicht über die Geschäfte der kleinen Geldhäuser haben zwar weiterhin die nationalen Behörden. Zuständig sind in Deutschland die BaFin und die Bundesbank. Die EZB hat aber das Recht, notfalls bei jeder der rund 6000 Banken im gemeinsamen Euro-Währungsgebiet durchzugreifen.


Interessenkonflikte befürchtet

Kritiker warnen vor Interessenkonflikten: Die Euro-Hüter versorgen die Banken einerseits mit Geld, andererseits entscheiden sie gleichzeitig über die Qualität der Vermögenswerte der Institute. Eine Gruppe deutscher Professoren stellt gleich das ganze Projekt der Bankenunion infrage und hat dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie warnen, dass die EZB mehr Macht bekomme, als ihr zustehe.

Schon länger ein Dorn im Auge ist vielen außerdem, dass das deutsche Gewicht bei wichtigen Entscheidungen der europäischen Währungshüter viel zu gering ist. Denn wenn der Rat der Europäischen Zentralbank an der Zinsschraube dreht oder den milliardenschweren Kauf von Staatsanleihen beschließt, zählt die Stimme von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann genauso viel wie die seiner 17 Kollegen - auch wenn die aus kleinen Euroländern wie Zypern oder Malta kommen.

Doch das wird künftig nicht mehr bei jedem Votum so sein: Mit dem zum Jahreswechsel erwarteten Beitritt Litauens zum Euro-Club werden die Stimmrechte im EZB-Rat rotieren: Die Deutsche Bundesbank etwa darf dann alle fünf Monate nicht an den Abstimmungen teilnehmen.

Bei einigen Politikern stößt das künftige Verfahren auf scharfe Kritik. Sie fürchten einen Machtverlust der Bundesbank. Und weil die Bundesbank wie keine andere europäische Notenbank als Garant für stabile Preise wahrgenommen wird, ist die Angst vor weitreichenden Entscheidungen hin zu einer noch lockereren Geldpolitik groß.

„Deutschland hält 27 Prozent der Anteile an der EZB. Es kann doch nicht sein, dass die großen Mitgliedsländer alle fünf Monate außen vor sind“, wetterte etwa kürzlich CSU-Finanzexperte Markus Ferber, Mitglied im Währungsausschuss im Europaparlament. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch fürchtet: „Und wenn sich die Krise dann wieder einmal zuspitzt und über Nacht Fakten geschaffen werden - was in den letzten Jahren nicht selten vorgekommen ist - dann dürfen wir Deutschen als Hauptzahler nicht einmal mitstimmen.“

Ins gleiche Horn stößt der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. Aus seiner Sicht hat die Stimme der Bundesbank schon heute viel zu wenig Gewicht: „Wir brauchen Regeln wie beim Internationalen Währungsfonds, wo Stimmrecht und Haftungsanteile zusammenfallen“, sagte Sinn.


„Die EZB ist nicht die Bundesbank 2“

Tatsächlich hatte die EU die Rotation der Stimmrechte schon 2003 einstimmig beschlossen. Das Ziel: Der EZB-Rat soll Entscheidungen auch dann rasch und effizient treffen können, wenn die Euro-Gruppe wächst. Festgelegt wurde seinerzeit, dass sich die fünf größten Länder - Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande - vier Stimmrechte teilen, sobald die Anzahl der Euroländer 18 übersteigt. Jeder dieser nationalen Notenbanken hat folglich jeden fünften Monat kein Stimmrecht. Gleichzeitig verfügen die anderen 14 Länder künftig über elf Stimmrechte.

IW-Chef Hüther sieht darin kein Problem. Die Stärke der Bundesbank im Euro-System müsse stattdessen von der Überzeugungskraft ihres Präsidenten getragen werden. „Das aber lebt davon, die eigene Position gut zu vermitteln und weniger kategorisch vorzutragen“, sagte Hüther. „Die EZB ist nicht die Bundesbank 2, auch wenn dies viele D-Mark-Träumer sich gerne so vorstellen, um den Euro als hinnehmbar zu erachten“, betonte er.

Die Notenbank einer Währungsunion, zumal bei teilsouveräner Finanzpolitik der Mitgliedsstaaten, müsse andere Aufgaben erfüllen als dies für die Bundesbank gegolten habe. „Deshalb muss sowohl in den Handlungsperspektiven als auch bei den geldpolitischen Instrumenten der enge traditionelle deutsche Fokus aufgegeben werden“, so Hüther. „Auf dieser Grundlage und bei konziliantem Auftritt sollte bei klarer strategischer Stabilitätsorientierung der Geldpolitik dem Bundesbankpräsidenten eine starke Rolle auch weiterhin zuwachsen.“

Ähnlich argumentiert der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. „Die Bundesbank kann das Gewicht ihrer Stimme im EZB-Rat ausschließlich durch überzeugende Argumente erhöhen“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Fratzscher ist auch der Ansicht, dass die Bundesbank entgegen der öffentlichen Wahrnehmung in den vergangenen Jahren einen „großen Einfluss auf die EZB-Entscheidungen ausgeübt“ habe. „Ich bin überzeugt, dass die EZB-Entscheidungen anders ausgefallen wären, wenn die Bundesbank nicht so effektiv ihre Meinungen vertreten hätte.“

Daher ist Fratzscher auch überzeugt, dass die Bundesbank durch die Rotationsregel bei Abstimmungen nicht an Gewicht bei EZB-Entscheidungen verlieren wird. „Technisch gesehen gewinnt sie sogar an Gewicht, da die meisten anderen Gouverneure häufiger ohne Stimmrecht sind“, sagte der DIW-Chef. Eine Stimmgewichtung nach Größe im EZB-Rat würde das Gewicht der Bundesbank dagegen reduzieren. „Denn alle Mitglieder des EZB-Rates haben die Pflicht eine europäische Perspektive einzunehmen, und nicht nationale Interessen zu verfolgen.“


DIW-Chef: Diskussion im Rotationsregel „völlig irreführend“

Abgesehen davon hält Fratzscher die Diskussion in Deutschland um die Rotationsregel für „völlig irreführend“. „Wir müssen uns endlich von dem Denken verabschieden, dass was gut für Europa ist, schlecht für Deutschland sei“, sagte er. Die gegenwärtige Geldpolitik der EZB sei gerade auch „im besten Interesse Deutschlands“. Sie erlaube nicht nur Unternehmen günstig an Kredite zu kommen und Investitionen zu tätigen, auch Bürger könnten von günstigen Krediten für ein Eigenheim profitieren.

Wie der IW-Chef Hüther konstatiert auch der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn,  einen „schwindenden Einfluss“ der Bundesbank. Und auch Horn hält diesen Umstand sowohl inhaltlich als auch formal für richtig. Zur Begründung sagte Horn dem Handelsblatt (Online-Ausgabe): „Inhaltlich hat sich die Bundesbank und ihre Vertreter in einer Weise geäußert und offenbar auch abgestimmt, die die Krise im Euro-Raum eher verschärft hätte und verlängert hat.“ Der IMK-Chef verwies dabei auf den Widerstand des früheren Bundesbankpräsidenten Axel Weber gegen die „äußerst erfolgreiche“ Ankündigung von Staatsanleihen-Aufkäufe durch die EZB im Jahr 2012.

Aber auch formal sei diese Entwicklung zu begrüßen, sagte Horn weiter. „Denn die Geldpolitik sollte nicht aus nationaler Sicht, sondern allein aus europäischer Sicht betrieben werden.“ Damit sich diese Perspektive auch durchsetze, sei eine Rotation bei Abstimmungen im EZB-Rat „durchaus hilfreich“.

Bert Van Roosebeke, Fachbereichsleiter Finanzmarktregulierung beim Freiburger Centrum für Europäische Politik (CEP), sieht die Bundesbank ebenfalls im EZB- Rat in einer „Außenseiterposition“. Durch das Rotationsprinzip werde sie aber nicht mehr benachteiligt als andere große Staaten, sagte Van Roosebeke dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Weitere Änderungen  bei den Abstimmungsmodalitäten werden das aus seiner Sicht auch nicht lösen können, zumal hierfür auch eine „unwahrscheinliche Einstimmigkeit“ der 28 EU-Staaten nötig wäre.

Etwaige Änderungen kämen überdies einer „Bankrotterklärung für die einheitliche Geldpolitik der Euro-Zone gleich“, warnte der CEP-Experte. „Es soll im EZB-Rat nicht gefeilscht werden, sondern mit fachlichen Argumenten nach möglichst optimalen Entscheidungen gesucht werden“, sagte Van Roosebeke. „Davon weiter abzuweichen sollte Deutschland nicht propagieren.“


Grüne fordern Reform des Bundesbankgesetzes

Kein Problem sieht der Experte auch darin, dass die Bundesbank bei der Bankenaufsicht nicht sonderlich berücksichtigt wurde. „Die Bundesbank kann nicht glaubwürdig auf Interessenkonflikte bei der EZB zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht hinweisen, wenn sie selbst auch als geldpolitische Instanz bei der Bankenaufsicht voll mitmischen will“, sagte Van Roosebeke. Im Übrigen gehe die Entscheidung, die BaFin zu bevorzugen, auf die Bundesregierung zurück.

Das sehen auch die Grünen so. „Dass die Große Koalition das Petitum der Bundesbank ignoriert hat, sie bezüglich der Zusammenarbeit mit der EZB nicht gegenüber der BaFin zu benachteiligen, zeigt einen Einflussverlust der Bundesbank“, sagte der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Gerhard Schick, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).  Allerdings ist auch er der Ansicht, dass die Verlagerung der Bankenaufsicht auf die europäische Ebene „völlig richtig“ sei.

„Sie ist eine logische Folge der Schaffung des Binnenmarkts für Bankdienstleistungen. Denn nationale Aufsichtsbehörden können das Handeln großer Banken nicht mehr wirklich effektiv kontrollieren.“ Zudem sei eine europäische Aufsicht weniger nationalen Interessen bei der Beaufsichtigung von eigenen Großbanken ausgesetzt. „Eine Aufsicht durch die nationale Brille darf es nicht mehr geben“, betonte Schick. „Insofern sollte niemand über den Kompetenzverlust der Bundesbank oder der BaFin klagen.“

Falsch wäre es aus Schicks Sicht auch, bei den Abstimmungen im EZB-Rat die nationale Brille aufzusetzen und eine Sonderregel für Deutschland beim Rotationsprinzip einzufordern. „Denn die Geldpolitik soll nicht national ausgerichtet sein, sondern die Euro-Zone als Ganzes im Blick haben“, sagte der Grünen-Politiker. Allerdings sieht Schick die Bundesbank für die Zukunft nicht ausreichend gerüstet. „Ich denke, es braucht eine Reform des Bundesbankgesetzes, nicht nur was die Vorstandsbenennungen betrifft, um die Bundesbank auf ihre neue Rolle auszurichten“, sagte er. „Manche alte Struktur passt da nicht mehr.“

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