Große Koalition Regentage für Merkel

Merkels Schönwetterpolitik droht ein jähes Ende. Der deutsche Konjunkturmotor stottert immer lauter. Auch in der Bevölkerung grummelt es, weil die Angst vor dem Abschwung wächst. Wie kann die Kanzlerin gegensteuern?

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Unterm Regenschirm: Die schlechten Nachrichten für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) häufen sich.

Berlin Es hat lange gedauert bis zum ersten Koalitionstreffen in größerer Runde. Zuletzt nahmen die Sticheleien zwischen CDU, CSU und SPD merklich zu. Im Kanzleramt galt es deshalb am Dienstag, sich zusammenzuraufen. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer berichtete später auf seiner Facebook-Pinnwand von einer „sehr kollegialen und guten Atmosphäre“. Man habe hart gearbeitet und viele Themen für den parlamentarischen Herbst vorbereitet. Das war es dann auch schon.

Über die vagen Allgemeinplätze hinaus, hatten die Großkoalitionäre nicht viel zu bieten. Konkrete Pläne, wie die deutsche Wirtschaft angesichts der zahlreichen Risiken besser für die Zukunft gerüstet werden könnte, drangen nicht ans Licht der Öffentlichkeit. Immerhin räumten Union und SPD ein, dass für die Wirtschaft bessere Rahmenbedingungen nötig seien.

Dass hier Handlungsbedarf besteht, können Merkel & Co. auch seit heute nachlesen – im Herbstgutachten, das die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute für die Bundesregierung erstellt haben. Darin wird unmissverständlich ausgeführt, dass die Aussichten für die Konjunktur auch deshalb gedämpft seien, weil „Gegenwind von der Wirtschaftspolitik“ kommt. Zwar gingen von der Finanzpolitik expansive Impulse aus, „doch wirken das Rentenpaket und die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns wachstumshemmend“, schreiben die Experten des Berliner DIW, des Münchner Ifo, des Essener RWI und des IWH aus Halle. Auch nutze die Bundesregierung ihren finanziellen Spielraum zu wenig für investive Zwecke. „All dies wirkt sich wohl negativ auf die private Investitionsneigung aus.“

Die Forscher brechen auch eine Lanze für die steuergeplagten Bürger. Die von der Regierung angestrebte Konsolidierung des Staatshaushaltes sei zwar zu begrüßen. Allerdings wäre aus Sicht der Experten angesichts erwarteter öffentlicher Finanzierungsüberschüsse „eine Minderung der Abgabenbelastung durchaus möglich“. Die Institute deuten auch an, was die Regierung in dieser Hinsicht anpacken könnte, wenn sie schreiben: „Zudem wirkt die kalte Progression, da sie die steuerliche Belastung insbesondere kleiner und mittlerer Einkommen erhöht, negativ auf den Arbeitsanreiz.“

Bei diesem Thema könnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sogar kräftig bei den Wählern punkten. Denn die Beseitigung dieser versteckten Steuererhöhung würde eine deutliche Mehrheit der Bürger in Deutschland  (58 Prozent) befürworten – und das über alle Parteigrenzen hinweg.  Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). 65 Prozent der SPD-Wähler und 59 Prozent der Unions-Wähler wollen demnach, dass dem inflationsbedingten „Lohnklau“ durch den Fiskus ein Ende bereitet wird. Auch die Anhänger der Grünen (67 Prozent) und der Linken (53 Prozent) wollen den Abbau der kalten Progression.

Hubertus Pellengahr, Geschäftsführer der INSM, sieht in den Umfrageergebnissen einen deutlichen Weckruf für die Bundesregierung. Die Steuerzahler hätten es satt, sich vom Fiskus sogar den Inflationsausgleich ihres Lohns wegbesteuern zu lassen. „Dieser Lohnklau muss endlich aufhören“, sagte Pellengahr. „Die Steuereinnahmen sind auch so noch hoch genug, um mehr für Bildung, Infrastruktur und die Vereinbarkeit von Familien und Beruf zu tun.“


Merkel denkt nicht an Entlastung für Bürger

Von Merkel waren in diesen Tagen allerdings keine Entlastungs-Signale zu vernehmen. Im Gegenteil, bei einer Rede vor Unternehmern vergangene Woche unterstrich sie vielmehr, dass am Ziel eines ausgeglichenen Haushalts 2015 nicht gerüttelt werden dürfe. Die Regierung werde aber alles tun, um in der „schwierigeren Wirtschaftslage“ Deutschland auf Kurs zu halten. Wie das geschehen soll, sagte sie aber nicht.

Dabei macht sich der Unmut über Merkels Regierungskurs nicht nur in der Bevölkerung breit. Inzwischen gerät die Kanzlerin auch in den eigenen Reihen unter Druck, die Bürger noch vor der Bundestagswahl 2017 steuerlich zu entlasten. So forderten der Arbeitnehmer- und der Mittelstandsflügel jüngst überraschend gemeinsam die Abschaffung der kalten Progression, bei der der Fiskus heimlich bei Lohnerhöhungen mitkassiert. Der Kampf gegen diese Ungerechtigkeit im Steuersystem gehöre zur „DNA der Union“, sagte der Chef der Unions-Mittelstandsvereinigung (MIT), Carsten Linnemann, in Berlin. Über den Antrag, der schon im Programm zur Bundestagswahl stand, soll im Dezember der CDU-Parteitag in Köln beraten.

Der CDU-Wirtschaftsexperte Joachim Pfeiffer betonte hingegen, dass die Regierung am Ziel eines ausgeglichenen Bundeshaushalts 2015 auch im Fall eines Konjunktureinbruchs festhalten müsse. Notfalls müsse es Einsparungen geben. Gleichzeitig erhob Pfeiffer angesichts der immer schwächer werdenden Konjunktur schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung. „Es ist einfach so, dass etliche Entscheidungen der Regierung nicht wachstumsfördernd waren, sondern sich negativ auswirken“, sagte Pfeiffer der Nachrichtenagentur Reuters.

Als Beispiel nannte der CDU-Bundestagsabgeordnete die Rente mit 63 sowie die Einführung des Mindestlohns. „Deshalb muss klar sein, dass nun Schluss ist mit weiteren Belastungen für die Wirtschaft“, sagte Pfeiffer. „Wenn es finanzielle Spielräume gibt, dürfen diese nur für Investitionen oder für steuerliche Anreize für Investitionen genutzt werden“, forderte er.


„Jetzt kommt ein Stresstest für die Großen Koalition“

Auch aus der Wirtschaft kommen Vorwürfe. „Der außenwirtschaftliche Rückenwind ist nicht mehr da“, sagte der Vize-Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. „Jetzt kommt ein Stresstest für die Beschlüsse der Großen Koalition.“ Die Frage sei, wie die Reformen - vom Mindestlohn bis zur Mütterrente - die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Produkte belasteten.

Die Wirtschaftsinstitute machten die Regierung ebenfalls mitverantwortlich dafür, dass etwa die Zahl der Arbeitslosen nicht weiter sinken werde. Sie konstatieren zunächst, dass sich dank der Rente mit 67 die Erwerbsquote der 60- bis 64-Jährigen zwischen 2002 und 2012 von 25 Prozent auf fast 50 Prozent verdoppelt hat – und dies als zeige, dass sich die Erwerbsmöglichkeiten für Ältere verbessere. „Jedoch wurde mit der Einführung der abschlagsfreien Rente ab 63 dieser Kurs aufgeweicht“, heißt es in dem Gutachten.

Die Einführung eines gesetzlichen flächendeckenden und einheitlichen Mindestlohns dürfte aus Sicht der Forscher die strukturelle Arbeitslosigkeit zudem erhöhen, da sie Personen vom Arbeitsmarkt ausschließe, deren Produktivität unterhalb des Mindestlohns liegt. „Außerdem verteuert der Mindestlohn den Produktionsfaktor Arbeit und dies insbesondere in Regionen, in denen die Arbeitslosigkeit ohnehin hoch ist.“

Verteuernd auf den Arbeitskosten wirken sich nach der Analyse der Ökonomen auch die Rentengeschenke der Bundesregierung aus. „Durch sie unterblieb in diesem Jahr nicht nur eine ansonsten mögliche Senkung des Rentenbeitrags, sondern die Rentenerhöhung im kommenden Jahr wird auch geringer ausfallen.“ Außerdem rechnen die Experten damit, dass die Beitragssätze künftig, wenn sie aus demografischen Gründen ohnehin steigen würden, noch höher liegen dürften als ohne die Rentengeschenke.

Das negative Urteil der Forscher über die Rentenpolitik der Großen Koalition findet ihren Niederschlag in der Emnid-Umfrage zur Zufriedenheit mit Merkels Regierungspolitik. 56 Prozent der Befragten halten auch die Rentenpolitik nicht für geeignet, um Deutschland für die Zukunft fit zu machen.


Junge wenden sich von Merkel ab

Besonders die Jüngeren sind vom Kurs der Bundesregierung nicht überzeugt: 68 Prozent der unter 29-Jährigen bewerten die Rentenpolitik der Koalition negativ. Entsprechend deutlich ist der Ruf, vor allem mehr für die jüngere Generation zu tun. 84 Prozent der Befragten fordern das. 82 Prozent möchten, dass mehr für Familien oder Alleinerziehende (77 Prozent)  getan wird.

INSM-Chef Pellengahr hält der Bundesregierung vor diesem Hintergrund vor, mit dem Rentenpaket ungerecht von jung zu alt umzuverteilen. „Die auffällig niedrigen Zustimmungsraten der jungen Generation bei der Rentenpolitik sind die Quittung dafür“, sagte Pellengahr.  

Und wie reagiert Merkel? Sie lässt die Dinge erst einmal treiben – und liefert damit der Opposition eine Steilvorlage nach der anderen. Kein Wunder, dass die Linke die Ergebnisse des Koalitionsausschusses als substanzlos kritisiert hat. Außer „viel Rauch und heiße Luft“ hätten Union und SPD bei ihren Koalitionsberatungen nicht zustande gebracht, sagte Parteichef Bernd Riexinger dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

„Überall explodieren gewalttätige Konflikte, der Weltwirtschaft droht eine neue Krise, Straßen und Schulen verrotten, und Merkel lädt zum Plauderstündchen ins Kanzleramt“, kritisierte Riexinger. Er forderte ein schnell wirkendes Konjunkturprogramm mit Investitionen in die Infrastruktur. Zudem müsse „dringend mehr im Bereich der sozialen Gerechtigkeit getan werden“. Eine „Neuauflage der Politik der ruhigen Hand“ wie einst unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) könne Deutschland nicht gebrauchen.

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