IG Metall Die Gewerkschaft muss sich neu erfinden

Die IG Metall feiert ihren 125. Geburtstag. In den vergangenen Jahren hat die größte Gewerkschaft des Landes nach langer Krise zu neuer Stärke gefunden – und kann trotzdem nicht sorgenfrei in die Zukunft blicken.

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Fahne der IG Metall. Quelle: dpa

Wenn sich Gewerkschafter zu offiziellen Veranstaltungen treffen, kommen sie meist in tageslichtlosen Kongress- und  Messehallen zusammen und auf der Tagesordnung stehen Wahlen, Geschäftsberichte und Antragsberatungen. An diesem Samstagnachmittag ist das anders.

Da versammelt sich die deutsche Gewerkschaftselite in der Frankfurter Paulskirche, Cassandra Steen wird singen und Bundestagspräsident Norbert Lammert eine Festrede halten. Denn es gilt, gebührend den 125. Geburtstag der IG Metall zu feiern, der mit knapp 2,3 Millionen Mitgliedern größten Einzelgewerkschaft der westlichen Welt.

Im Juni 1891, das Bismarck'sche Sozialistengesetz war im Vorjahr gefallen, hatten sich Klempner, Schlosser, Maschinenbauer, Feilenhauer und andere Metaller in Frankfurt zum Gründungskongress des Deutschen Metallarbeiter-Verbands getroffen. Diesen betrachtet die IG Metall als ihre Vorläuferorganisation.

Zur Geburtstagfeier 125 Jahre später ist die IG Metall in bester Stimmung, denn aktuell hat sie deutlich Oberwasser. Der jahrelange Mitgliederschwund ist ebenso beendet wie die lähmenden Flügelkämpfe zwischen Reformern und  linken Traditionalisten.

In den vergangenen fünf Jahren gab es - anders als bei vielen anderen Gewerkschaften - einen Nettozuwachs bei den Mitgliederzahlen. Die Beitragseinnahmen, die 2015 auf einen Rekordwert von 533 Millionen Euro stiegen, dürften 2016 wegen der guten Lage am Arbeitsmarkt abermals nach oben gehen.

Megatrend Industrie 4.0 macht IG Metall zu schaffen

Und dennoch: Die Perspektiven der Gewerkschaft sind nicht so rosig, wie es die aktuelle Stimmungslage suggeriert. Der Megatrend Industrie 4.0 und die digitalisierte Wirtschaft unterhöhlen das traditionelle Geschäftsmodell der IG Metall.

Die Individualisierung von Arbeitszeit und -ort nimmt zu, immer mehr Aufträge werden über Internetplattformen an Soloselbstständige vergeben. Home-Office-Arbeitsplätze und dezentrale Projektteams ersetzen den klassischen Nine-to-Five-Job - und an die Stelle des Bandarbeiters könnten bald Roboter rücken. Gerade erst hat das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) eine Studie erstellt, wonach die Digitalisierung vor allem Tätigkeiten in der Industrieproduktion bedroht.

Berufe mit Zukunftsgarantie
Ein Turm aus Styropor-Bausteinen, der vor dem Arbeitsministerium in Berlin aufgebaut wird, soll den ohne Fachkräfte zusammenbrechenden Arbeitsmarkt symbolisieren. Quelle: dpa
Ein junger Mann bedient einen Gasschweißer Quelle: dpa
Eine Dialyseschwester überprüft in Hamburg im Marienkrankenhaus die Einstellungen eines Dialysegerätes. Quelle: dpa
Ein Schiff fährt in Köln an den Kranhäusern und dem Dom vorbei den Rhein hinunter. Quelle: dpa
Einen Aufkleber mit dem offiziellen Slogan der Imagekampagne des Landes Baden-Württemberg "Wir können alles. Außer Hochdeutsch." hält eine junge Frau in der Hand. Quelle: AP
Der Reichstag in Berlin Quelle: REUTERS
Besucher aus Holland in bayerischem Blauweiß prosten sich beim Münchner Oktoberfest zu. Quelle: dpa

Die klassische Mitgliederwerbung und -bindung über Betriebsräte und betriebliche Vertrauensleute wird für die IG Metall dadurch schwieriger. Es geht die Angst um, dass ihr nicht nur eine treue Klientel wegbricht, sondern auch Türöffner in den Betrieben verloren gehen. "Wir müssen die digitale Arbeitswelt erobern", fordert denn auch IG-Metall-Boss Jörg Hofmann. Die Digitalisierung sei "eine Nagelprobe für die Betriebs- und Tarifpolitik“.

Von Wachstumsfantasien hat sich die IG-Metall-Spitze schon verabschiedet, die interne Maßgabe an die Bezirke lautet, die Mitgliederzahl bis 2025 stabil zu halten. 190 Millionen Euro sollen bis dahin in die Mitgliederakquise fließen.

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Doch um neue Milieus für sich zu begeistern, braucht die IG Metall mehr als Geld. Sie braucht eine Ansprache für jene, die Marktwirtschaft und Kapitalismus gar nicht übel finden, wohl aber Halt und Hilfe in einer sich verändernden Arbeitswelt suchen. Für jene, die auch mal zehn Stunden am Tag arbeiten wollen, wenn sie in einem Projekt stecken - und dann niemanden sehen wollen, der mit dem Tarifvertrag zur 35-Stunden-Woche wedelt.

Die Öffnung für eine an Klassenkampf und Streikritualen nicht interessierte akademische Klientel dürfte manch altgedientem Funktionär missfallen. Für die IG Metall ist sie angesichts des Verschwindens der Blaumannfraktion alternativlos.

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