Streit ist Gift für eine Partei – besonders im Wahlkampf. Dieser Satz ist eine Art politisches Naturgesetz in Deutschland. Sollten die beiden Unionsparteien ihren Streit über die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin nicht beilegen und das Thema den Bundestagswahlkampf dominieren, könnten CDU und CSU im kommenden Jahr ein Debakel erleben.
Doch so richtig dieses politische Naturgesetz für die etablierten Parteien ist, so wenig stimmt es für die Alternative für Deutschland. Was stimmt: Wenn sich die AfD streitet, dominiert die Partei die Schlagzeilen. Aktuell geht es um die Frage, wie sehr es der Partei schadet, dass sie ihre Führungskrise nicht beilegt. Die beiden Parteichefs, Frauke Petry aus Sachsen und Jörg Meuthen aus Baden-Württemberg, können sich nicht ausstehen. Beide halten den jeweils anderen für unfähig die Partei zu führen. Sie machen keinen Hehl aus ihrer gegenseitigen Missgunst.
Ein Ausweg aus der vertrackten Lage schien möglich: Auf einem Sonderparteitag hätten sich die Mitglieder für einen der beiden Chefs entscheiden können. Lieber Meuthen, Professor für Volkswirtschaft, der für eine wirtschaftsliberale Ausrichtung der Partei stünde? Oder doch Petry, die sich über Sozialpolitik, einen kümmernden Staat und Anti-Flüchtlings-Statements (abgelehnte Asylbewerber auf Inseln außerhalb Europas unterbringen) profiliert?
Die Sprüche der AfD
Ob Flüchtlingspolitik oder Fußball - mit markigen Sprüchen sorgen führende AfD-Politiker immer wieder für Kopfschütteln und Empörung, wie jetzt die stellvertretende Bundesvorsitzende Beatrix von Storch. Einige Zitate.
Quelle: dpa
„Das ist ungefähr so, als würden Sie mit Plastikeimern einen Tsunami stoppen wollen.“ (Der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen am 24. Oktober 2015 bei einem Landesparteitag in Baden-Württemberg über die Maßnahmen der Bundesregierung zur Bewältigung der Flüchtlingskrise)
„Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp.“ (Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke am 21. November 2015 in einem Vortrag über Asylbewerber aus Afrika)
„Wer das HALT an unserer Grenze nicht akzeptiert, der ist ein Angreifer. Und gegen Angriffe müssen wir uns verteidigen. (...) Es gibt keinen Grund, mit Gewalt unsere Grenze zu überqueren.“ (Die stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Beatrix von Storch Ende Januar 2016 auf ihrer Facebook-Seite über Flüchtlinge)
„Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt.“ (Die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry in einem Interview des „Mannheimer Morgen“ vom 30. Januar 2016. Angesichts des Flüchtlingszustroms forderte sie im Notfall auch den Einsatz von Schusswaffen.)
„Wir müssen die Grenzen dichtmachen und dann die grausamen Bilder aushalten. Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen.“ (Gauland am 24. Februar 2016 im Magazin der Wochenzeitung „Die Zeit“ über Flüchtlinge)
„Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ (Gauland in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 29. Mai 2016 über Fußball-Nationalspieler Jérôme Boateng)
„Eine deutsche oder eine englische Fußballnationalmannschaft sind schon lange nicht mehr deutsch oder englisch im klassischen Sinne.“ (Der AfD-Bundesvize Alexander Gauland am 3. Juni 2016 im „Spiegel“)
Ein Parteikonvent hat sich nun gegen einen Sonderparteitag entschieden. Damit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die AfD mit der aktuellen Besetzung in die kommende Bundestagswahl geht. Wer die Partei als Spitzenkandidat anführt, ist noch offen. Meuthen möchte nicht, Petry würde wohl, kann sich aber kaum gegen ihre männlichen Konkurrenten (Jörg Meuthen, Alexander Gauland, Björn Höcke) durchsetzen. Es ist gut möglich, dass die Partei gar keinen Spitzenkandidaten aufstellt.
Das Resultat: Im Bundestagswahlkampf würden wir eine AfD erleben, die mit Kakophonie auf sich aufmerksam macht. Petry, Höcke und Gauland würden gegen Merkels Flüchtlingspolitik mobilisieren. Petry könnte zudem sozialpolitische Geschenke für deutsche Familien fordern. Und Meuthen würde sich aus Stuttgart mit ordnungspolitischen Zwischenrufen zu Wort melden.
Das ist die Methode AfD. Es gibt nicht eine Alternative für Deutschland, es gibt mehrere Alternativen, für jeden potentiellen Wähler soll etwas dabei sein. Ein Teil der Partei möchte den Sozialstaat massiv ausbauen, ein anderer Teil am liebsten die FDP als national-liberale Kraft ersetzen und für ordnungspolitische Positionen eintreten. Beides passt nicht zusammen und dennoch müssen die Flügel die Positionen der anderen Seite er- und mittragen.
Mit dieser Situation war die Partei schon einmal konfrontiert. Bernd Lucke, der frühere Parteichef und Mitgründer der AfD, war ebenfalls ein Konkurrent von Petry. Auch die beiden konnten sich nicht ausstehen. Lucke verließ die Partei schließlich, nachdem sich die Mitglieder auf einem Parteitag für Petry entschieden hatten. Danach siechte die Partei vor sich hin, in den Umfragen sackte sie unter die 5-Prozent-Marke. Doch dann dominierte die Flüchtlingspolitik die Agenda und die AfD erlebte eine Art Wiederauferstehung.
Seitdem können AfD-Politiker machen, was sie wollen. Sie können Fußballnationalspieler beleidigen oder mit einem Schießbefehl für Flüchtlinge kokettieren. Es scheint kaum noch Tabus zu geben. Dennoch rutscht die Partei in der Wählergunst nicht ab. Denn die Partei erfüllt eine Funktion: Sie bietet all jenen eine Plattform, die die Politik von Angela Merkel falsch finden – egal ob Flüchtlings- oder Wirtschaftspolitik.
Insofern gilt: Die AfD-Chefs könnten sich wohl offen im Fernsehen beschimpfen, für einen gewissen Teil der Wähler bleibt sie aber auch dann die wählbare Alternative.