JU-Chef kontra Kanzlerin „Als Christdemokrat in NRW fühlt man sich gedemütigt“

Sven Volmering, stellvertretender Landeschef der NRW-CDU und Vorsitzender der Jungen Union in Nordrhein-Westfalen, rechnet mit der Bundespartei ab. Der Rauswurf Norbert Röttgens sei ein „Schlag ins Kontor“ gewesen. Von der Kanzlerin fordert er einen inhaltlichen und personellen Erneuerungsprozess. Und auch die anderen Landesverbände bekommen im Interview mit Handelsblatt Online ihr Fett weg.

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NRW-JU-Chef Sven Volmering: „Fassungslosigkeit und Ohnmacht“.

Handelsblatt Online: Herr Volmering, die Wahlniederlage, die sie selbst als „desaströs“ bezeichnet haben, ist jetzt eine Woche her. Haben sie den Schock inzwischen verdaut?

Sven Volmering: Nein, verdaut habe ich das in keinster Weise. Das war ein absoluter K.O.-Schlag, den ich in dieser Form nie für möglich gehalten hätte. Ich bin seit 1991 in der Jungen Union und hätte nie gedacht, dass wir mal ein Wahlergebnis von deutlich unter 30 Prozent in einem Flächenland einfahren. Aus meiner Sicht ist da mehr verloren gegangen als eine Landtagswahl.

Nämlich?

Ich glaube, dass diese Niederlage die ganze Union in ihren Grundfesten erschüttert hat. Das sieht man auch an der Stimmung in der Partei, die zwischen Lethargie, Frust, Wut und großer Ratlosigkeit schwankt.

Sie fordern eine schonungslose Analyse der Niederlage. Mit dem Abstand von einer Woche: Woran hat es gelegen?

Natürlich war es ein Fehler, dass sich Norbert Röttgen nicht klar zu Düsseldorf bekannt hat. Das hat er auch selbst gesagt. Das hat im Wahlkampf wie ein Mühlstein um unseren Hals gewirkt, den wir nicht mehr losgeworden sind. Wir sind danach überhaupt nicht mehr in die Offensive gekommen, was auch viele an der Basis gehemmt hat. Die Stimmung für einen Regierungswechsel konnte so nicht entstehen.

Norbert Röttgen hat die Konsequenzen gezogen und seinen Landesvorsitz niedergelegt. War danach der Rauswurf als Umweltminister durch die Kanzlerin noch nötig?

Die Stimmung in der Partei schwankt zwischen absoluter Zustimmung und vehementer Ablehnung dieses Schrittes. Menschlich und politisch nimmt das ganze inzwischen Züge eines Dramas an. Für mich ergeben sich zwei Fragen. Erstens: Wie gehen wir als Christdemokraten miteinander um? Zweitens: Welche Rolle spielt das Thema innerparteiliche Solidarität? Während des Wahlkampfes haben wir Querschläger aus anderen Bundesländern gegen den eigenen Kandidaten erlebt, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Darüber werden wir noch reden müssen.

Das klingt einer Abrechnung mit anderen Landesverbänden…

Die Frage muss erlaubt sein, wie hier mit der NRW-CDU umgegangen wird. Wir sind der mit Abstand größte Landesverband innerhalb der CDU. Ohne uns kann die Bundespartei bei der nächsten Bundestagswahl nicht erfolgreich sein. Insofern war die Entlassung von Norbert Röttgen für uns ein Schlag ins Kontor. Bundesminister haben eine Signalfunktion. Es kann nicht sein, dass der Mitgliederstärkste Landesverband künftig so schlecht in der Bundesregierung repräsentiert ist. Diesen Zustand muss man nach der kommenden Bundestagswahl abstellen.

Ihnen geht es um den Proporz?

Nicht nur. Es geht darum, wie wir miteinander umgehen. Und da fühlt man sich als Christdemokrat aus Nordrhein-Westfalen gedemütigt, das muss man deutlich sagen.

Gedemütigt?

Angela Merkel war bei vielen Wahlkampfveranstaltungen in Nordrhein-Westfalen mit dabei und hat Norbert Röttgen gelobt. Nach der Wahl wirft sie ihn raus. Das verstehen viele Mitglieder nicht. Viele verstehen auch die öffentliche Streiterei nach diesem Vorgang nicht. Das führt zu viel Fassungslosigkeit und Ohnmacht.


„Angela Merkel hat den Status Helmut Kohls locker erreicht“

Fehlt mit Norbert Röttgen künftig ein prominenter Kopf, der die moderne CDU vertritt?

Die Union hat in den letzten Jahren sehr, sehr viele Köpfe verloren. Roland Koch, Friedrich Merz, Ole von Beust, Jürgen Rüttgers, Christian Wulff und andere. Das ist ein riesiger Aderlass für die Partei und auch für die Politik. Wenn solche hellen Köpfe die Politik verlassen, ist das ein sehr schlechtes Zeichen. Das strahlt auch auf die Akzeptanz der CDU als Volkspartei ab. Von daher begrüße ich, dass Norbert Röttgen 2013 wieder für den Bundestag kandidiert.

Gibt es in der CDU überhaupt noch ein Gegengewicht zu Angela Merkel? Es ist niemand in Sicht der ihr auf Augenhöhe entgegentreten könnte...

Sie hat den Status eines Helmut Kohl dahingehen locker erreicht, wahrscheinlich sogar überschritten. Bei Helmut Kohl war stets klar, dass es mir Wolfgang Schäuble einen exzellenten Nachfolger gibt. Außerdem gab es die Reihe der „Jungen Wilden“, die sich aufmachten, die Länder zu erobern. Beides sehe ich bei Merkel im Moment in der Form noch nicht.

Geht der Union das Personal aus?

Das glaube ich nicht. Es gibt bei uns viele Leute, die ein gutes Entwicklungspotenzial haben, wenn sie die nötige Zeit bekommen und man ihnen die Chancen dazu gibt. Aber der Regenerationsprozess der Union wird lange dauern.

Sollte die CDU schon jetzt für eine Nach-Merkel-Ära planen?

Nein. Angela Merkel ist in der Partei unumstritten und sie macht als Kanzlerin einen hervorragenden Job - wie man ja in der Euro-Krise immer wieder gesehen hat. Aber zu ihren Aufgaben als CDU-Parteivorsitzende gehört es auch, für einen permanenten, sinnvollen personellen und inhaltlichen Erneuerungsprozess zu sorgen. Ansonsten droht uns eine Regeneration in der Opposition - und davon halte ich nichts.

Wie muss sich die Partei denn inhaltlich verändern?

Wir sind zu weit weg vom Lebensgefühl der Menschen. Wir haben noch nicht realisiert, dass es viele unterschiedliche Milieus gibt, die ich auf unterschiedliche Weise ansprechen und auch ernstnehmen muss. Der konservative Flügel verfolgt mit Entsetzen die Debatte darüber, wie es mit dem Betreuungsgeld weitergeht. Die junge Generation vergraulen wir, indem wir einen Parteitag mit den Worten eröffnen, dass wir nicht Facebook, sondern Face-to-Face machen. Und es ist ein Alarmsignal, wenn man die Erleichterung der Wirtschaftsverbände darüber sieht, dass ein CDU-Spitzenkandidat in NRW verliert.


„Auf junge Menschen wirkt die CDU wie ein Streber“

Sie haben den Status der Union als Volkspartei angesprochen. Sorgen Sie sich darum?

Ja. Wenn man nur noch 26 Prozent hat, und es nicht mehr schafft, alle Wählergruppen zu erreichen, ist der Status als Volkspartei in Gefahr. Gerade bei der jungen Generation haben wir ein Image-Problem. Die CDU präsentiert sich zum Teil so staatstragend, dass sie als Verbotspartei wahrgenommen wird. Wenn es zum Beispiel darum geht, Stehplätze in Fußballstadien abzuschaffen, sind unsere Innenminister in vorderster Front mit dabei. Eine meiner Schülerinnen hat mir mal gesagt, die CDU wirkt auf sie wie ein Streber: Den ruft man, wenn der Karren richtig im Dreck ist - aber zu seiner Geburtstagsparty lädt man ihn nicht ein. Da ist aus meiner Sicht was dran.

Müsste dann nicht gerade die Junge Union mehr Akzente setzen? Auf Bundesebene nimmt den parteiinternen Nachwuchs kaum war...

Diesen Eindruck teile ich nicht. Die Junge Union meldet sich immer wieder zu Wort – auch mit deutlicher Kritik. In Teilen der Parteispitze mag es Akzeptanzprobleme geben, und vereinzelt gibt es auch Leute, die uns als „großen Kindergarten“ belächeln. Das ist sicher eine falsche Herangehensweise an politische Nachwuchsarbeit. Unabhängig davon ist es ohne Zweifel schwieriger geworden, in der medialen Berichterstattung Fuß zu fassen. Inzwischen fokussiert sich ziemlich viel auf die Spitzenleute, die zweite und dritte Reihe gehen da leider unter.

Wie wollen Sie denn die junge Generation wieder erreichen?
Wir müssen versuchen, mit einer gewissen Leichtigkeit eine andere Form von Wahlkampf zu machen. Das ist das, was ich mit Lebensgefühl meine: Eine Partei ist dann erfolgreich, wenn sie die Themen aufgreift, die die Menschen bewege. Das war in den 80er-Jahren bei den Grünen so, das ist bei der Wiedervereinigung der CDU gelungen, und das kann man jetzt bei den Piraten beobachten. Man mag über Horst Seehofer und seine Facebook-Party lachen, aber das Signal, das er damit gesetzt hat, war richtig: Er hat ein Bedürfnis erkannt, und er kümmert sich darum.

Herr Volmering, vielen Dank für dieses Gespräch.

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