Kämpfe in der Ost-Ukraine CDU-Politiker warnt vor Massenflucht nach Deutschland

Ungeachtet der geltenden Waffenruhe wird in der Ost-Ukraine gekämpft. Eskaliert die Lage weiter, könnte der Westen eingreifen – mit unabsehbaren Folgen auch auf die Flüchtlingslage, warnt ein CDU-Außenpolitiker.

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Unweit der umkämpften Stadt Debalzewo: Droht eine massenflucht aus der Ost-Ukraine? Quelle: dpa

Berlin Der Obmann der Unions-Bundestagsfraktion im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter (CDU), befürchtet eine Flüchtlingswelle aus der Ost-Ukraine, die auch Deutschland treffen könnte, sollte der Westen auf die andauernden Kämpfe mit Waffenlieferungen in die Ukraine reagieren. „Eine Bewaffnung der ukrainischen Streitkräfte und Milizen hätte einen Stellvertreterkrieg zur Folge, den Russland wegen seiner Grenznähe und Fokussierung auf militärische Lösungen nach Belieben eskalieren und gestalten könnte – mit unabsehbaren Folgen auch auf die Flüchtlingslage“, sagte Kiesewetter dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).  

„Sollten wegen fortgesetzter Gewalt einige Millionen der derzeit fünf Millionen Betroffenen in der Ost-Ukraine in die EU und davon auch nur einige hunderttausend Flüchtlinge in die Bundesrepublik fliehen, hätten wir eine problematische innenpolitische Lage mit nicht absehbaren Konsequenzen.“

Die fortwährenden Angriffe der prorussischen Separatisten auf die ostukrainische Stadt Debalzewe blockieren die Umsetzung des vereinbarten Waffenstillstands für die Ost-Ukraine. Trotz der jüngsten Telefonate von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande mit den Präsidenten von Russland und der Ukraine, in denen sie die Einstellung der Kämpfe forderten, tobten am Dienstag nach ukrainischen Angaben erneut schwere Gefechte um den Eisenbahnknotenpunkt. Rebellen-Anführer Denis Puschilin sagte der Nachrichtenagentur Reuters in Donezk, dass die Separatisten die Kämpfe nicht stoppen würden. Die ukrainische Regierung will ihrerseits deshalb nicht mit dem Rückzug schwerer Waffen beginnen.

Die Rebellen wollen den Eisenbahnknotenpunkt einnehmen, weil er die beiden von ihnen kontrollierten Gebiete um Donezk und Luhansk verbindet. In dem Ort sind ukrainischen Militärexperten zufolge bis zu 7000 Soldaten eingeschlossen. Die Separatisten hatten laut Interfax angeboten, einen Korridor zu öffnen, damit die Regierungssoldaten abrücken können. Die ukrainische Regierung wies dies zurück. Der Ort bleibe unter Kontrolle der Armee, wie es im Minsker Protokoll vorgesehen sei, und werde nicht aufgegeben.

Nun sollen Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) versuchen, die belagerte Stadt zu erreichen. Merkel und die Präsidenten Wladimir Putin und Petro Poroschenko hätten konkrete Schritte vereinbart, um eine Beobachtung der Lage durch die OSZE zu ermöglichen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit.


Deutsche Welle soll „Kommunikationsoffensive“ gegen Putin starten

Polen behält sich derweil Waffenlieferungen in die Ukraine vor – trotz des Abkommens von Minsk. „Mir ist bewusst, dass das ein heißes Thema ist“, hatte der polnische Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak der „Welt am Sonntag“ gesagt. Im Moment konzentriere man sich zwar auf die Umsetzung des Minsker Friedensabkommens. „Wir sollten aber verschiedene Möglichkeiten für die Zukunft offen lassen. Ich möchte nur in Erinnerung bringen, dass es kein Embargo gibt“, ergänzte Siemoniak.

Der außenpolitische Berater des polnischen Präsidenten, Roman Kuzniar, ging noch weiter. Er plädierte in der Zeitung für „jede Form von Druck auf den Kreml“ und sprach sich für die Lieferung von „tödlichen Defensivwaffen“ an die Regierung in Kiew aus.

Der CDU-Außenexperte Kiesewetter warnte eindringlich davor, militärisch zu reagieren. „Waffenlieferungen des Westens ohne Rückhalt in der gesamten EU würden zu einer Spaltung in der gemeinsamen Haltung der EU in Sanktionsfragen führen und damit mittelbar Putin in die Hände arbeiten“, sagte er. Denn das strategische Interesse des Kreml-Chefs sei die Schwächung des westlichen Zusammenhalts. „Unsere strategische Stärke ist immer noch der Zusammenhalt der EU in Sanktionsfragen.“

Kiesewetter zeigte sich offen für eine weitere Verschärfung der Sanktionen, um ein für Putin „schwierigeres innenpolitisches Klima“ in Russland zu schaffen. „Er braucht Einhalt und Widerspruch aus der eigenen Bevölkerung, sollte er kein Interesse daran haben, sämtliche Minsker Beschlüsse durchzusetzen“, sagte der CDU-Politiker. Deutschland sollte das „medial“ begleiten. Kiesewetter regte hierfür als Kontrapunkt zu „Russia Today“ eine „strategische Kommunikationsoffensive“ über den deutschen Auslandsrundfunk Deutsche Welle an.

Der CDU-Politiker lobte in diesem Zusammenhang US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für ihren bisher gemäßigten Umgang  mit der Krise. „Zwischen Merkel und Obama könnte eine neue transatlantische Einigkeit gegen die Falken im Lager Putins aber auch in der US-Administration entstehen“, sagte der CDU-Politiker. „Hier haben wir gemeinsame deutsche und US-amerikanische Interessen der Vernunft und des Maßhaltens in der Krise.“


Im März könnte sich ich die Bewaffnungsfrage erneut stellen

Für Kiesewetter sind die nächsten knapp drei Wochen entscheidend, ob Obamas und Merkels mäßigende Politik erfolgreich sei. „Sollte der Rückzug der schweren Waffen bis zum 3. März erfolgen, muss die OSZE eine umfangreiche und langwierige Mission in der Pufferzone leisten“, sagte er. „Sollte der Ansatz scheitern, stellt sich die Bewaffnungsfrage erneut.“

Die US-Regierung denkt bereits in diese Richtung. Der Krisendiplomatie der Bundeskanzlerin und des französischen Präsidenten will Washington zwar eine Chance geben. Doch der Finger bleibt am Drücker – auch mit Blick auf mögliche Waffenlieferungen. Daran ließ auch Obamas Sprecher Josh Earnest zuletzt keinen Zweifel. „Unsere Haltung hat sich nicht geändert, weshalb wir unsere Antwort auf diese Krise laufend überprüfen.“

Obama steckt in einer Zwickmühle. Einerseits will er Russlands Präsidenten in die Ecke drängen und ein klares Signal senden, dass weitere Schachzüge in Richtung Ukraine Moskau teuer zu stehen kommen könnten - auch, um nicht selbst erneut als Zauderer dazustehen. Zugleich will er den deutsch-französischen Bemühungen keinen Strich durch die Rechnung machen.

Und so geht Obama in kleinen Schritten vor, die ähnlich wie sein Besuch in Estland im September vor allem auch als Signal an Putin gedacht sind. Kommenden Monat wollen die USA im westukrainischen Lwiw (Lemberg) drei Bataillone des ukrainischen Innenministeriums ausbilden, Teil des Trainings soll der Schutz vor Artillerieangriffen sein. Unterdessen wurde der Zerstörer „USS Cole“ ins Schwarze Meer verlegt, um dort angesichts der Ukraine-Krise zu patrouillieren.

Es ist kein Geheimnis, dass Obama eine diplomatische Lösung des Konflikts mit inzwischen mehr als 5400 Toten vorzieht. Neue Sanktionen gegen Russland oder Waffenlieferungen an die Ukrainer wird es daher nicht geben, heißt es in Washington – zumindest vorerst.

Doch die Diskussion um Waffenlieferungen wird immer lauter geführt. Im Pentagon war zuletzt von „aktiven und umfassenden Gesprächen“ die Rede. Möglich sind Panzerabwehrwaffen, bewaffnete Geländefahrzeuge, Radar-Systeme sowie Drohnen, um russische Raketenwerfer und Artilleriegeschütze ins Visier zu nehmen. Obama weiß, dass seine Entscheidung den Konflikt in die eine oder andere Richtung drehen könnte.

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