Kampf gegen Hasskriminalität „Unser Rechtsstaat hat vor Facebook kapituliert“

Landen pornografische Fotos auf Facebook, werden diese schnell gelöscht. Bei Hasskommentaren oder Aufrufen zum Völkermord ist das schwieriger. Die Grünen halten das für inakzeptabel und fordern harte Konsequenzen.

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Immer wieder gibt es Kritik, das soziale Netzwerk schreite nicht konsequent genug bei Hassreden ein. Quelle: dpa

Berlin Es ist ein Foto, das dem Vietnam-Krieg ein Gesicht gab: Ein Mädchen ohne Kleider läuft nach einer Napalm-Attacke weinend über die Straße. Facebook löscht Anfang September einen Artikel mit dem Bild, weil es ein nacktes Kind zeige. Die Kritik ist groß, das Netzwerk macht eine Kehrtwende. Der Fall wirft ein Schlaglicht darauf, wie schwer sich das Internetunternehmen tut, mutmaßlich anstößige Postings in seinem Netzwerk zu bewerten und die richtigen Konsequenzen zu ziehen.

Dabei könnte es so einfach sein, zumindest nach der Vorstellung der Politik, die Facebook schon länger im Blick hat. „Strafbare Inhalte sollten aus dem Netz verschwinden, nicht Fotos, die die ganze Welt bewegen“, sagte seinerzeit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). „Wenn solche Fotos gelöscht werden, trifft es genau die Falschen.“

Facebook verteidigte sich indes mit dem Hinweis, dass es schwierig sei, bei Fotografien mit nackten Kindern einen Unterschied zu machen und die Veröffentlichung in einem Fall zu erlauben und in einem anderen nicht. „Wir versuchen, die richtige Balance zu finden zwischen der Möglichkeit für Menschen, sich auszudrücken, und einer sicheren und respektvollen Umgebung für unsere globale Gemeinschaft.“ Dieses Versprechen hat Facebook jedoch bis heute nicht wirklich eingelöst.

Immer wieder gibt es Kritik, das soziale Netzwerk schreite nicht konsequent genug bei Hassreden ein – gerade auch in der Flüchtlingsdebatte. Zwar lässt das Unternehmen inzwischen mehr Kommentare in Deutschland prüfen. Justizminister Maas ist das aber deutlich zu wenig. Nach seiner Ansicht bleibt Facebook noch immer hinter dem zurück, was gemeinsam vereinbart worden sei.

In einem von Maas im September 2015 initiierten Arbeitskreis hatten sich neben Facebook auch Internetanbieter wie Google und Twitter Anfang 2016 auf eine freiwillige Selbstverpflichtung zum Löschen rechtswidriger Hassbotschaften eingelassen. Innerhalb von 24 Stunden, so die Verabredung, sollten solche Inhalte entfernt werden. Doch in der Praxis zeigt diese Selbstverpflichtung bislang nur begrenzte Wirkung.

Ob Maas ein ähnlich ernüchterndes Fazit zieht, wenn er am heutigen Montag bei einer Diskussionsveranstaltung „Gemeinsam gegen Hass im Netz – Wo stehen wir?“ eine Zwischenbilanz seiner von ihm eingesetzten „Task Force“ gegen Hate Speech zieht? Die Grünen haben da so ihre Zweifel. Für sie hat sich die freiwillige Selbstverpflichtung in keinster Weise bewährt. „Vor allem brauchen wir klare vom Staat definierte Spielregeln statt windiger Vereinbarungen auf der Basis von Freiwilligkeit“, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Dieter Janecek, dem Handelsblatt. „Fakt ist: Unser Rechtsstaat hat vor Facebook kapituliert und sich auf einen Scheindeal freiwilliger Vereinbarungen eingelassen, die schädlich für unser Zusammenleben sind“, kritisierte der Grünen-Politiker.


Drastischer Anstieg von Beschwerden über Online-Inhalte

Janecek, der auch dem Digitalausschuss des Bundestages angehört, warf der Bundesregierung vor, über einen „vagen Begriff namens Hatespeech“ zu debattieren, statt konsequent die Durchsetzung von bestehendem Recht einzufordern. „Unser Rechtsstaat bietet klare Handlungsmöglichkeiten, gegenüber Beleidigungen, Hetze und sonstigen Regelübertretungen konsequent vorzugehen“, betonte er. Janecek räumte aber zugleich ein, dass die Durchsetzung dieser Regeln gegenüber Facebook oftmals nicht erfolgen könne, da das Unternehmen mit Stammsitz Kalifornien versuche, sich deutscher Rechtsetzung zu verweigern. „Das können wir nicht länger hinnehmen.“

Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt eine Auswertung der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM), die auch der „Task Force“ von Maas angehört. Im vergangenen Jahr gingen demnach bei der FSM mit 5.448 Beschwerden über Online-Inhalte so viele Meldungen ein wie nie zuvor. Gegenüber dem Vorjahr stieg damit die Gesamtbeschwerdezahl um zehn Prozent (2014: 4.949 Beschwerden).

Laut dem FSM-Jahresbericht stieg etwa die Zahl der Beschwerden über kinder- oder jugendpornografischen Inhalte (1.542 Fälle) um13 Prozent. Beschwerden über volksverhetzender Inhalte haben sich den Angaben zufolge fast verdreifacht (2015: 139 Fälle; 2014: 50 Fälle) und gegen rechtsradikale Inhalte verachtfacht (2015: 256 Fälle; 2014: 32 Fälle).

Der Grünen-Politiker Janecek sieht nunmehr auch Facebook selbst am Zug. „Facebook muss endlich einen ständigen Ansprechpartner für die Ermittlungsbehörden einrichten sowie zusagen, bei Ermittlungsersuchen umfänglich zu kooperieren“, sagte der Grünen-Politiker. Polizei und Ermittlungsbehörden müssten zeitgleich „ein kräftiges Signal setzen, Anzeigen konsequenter als bisher zu verfolgen“.

Das sieht auch die Netzexpertin der Linksfraktion im Bundestag, Halina Wawzyniak, so. Von Strafverschärfungen hält sie zwar nichts, sie plädiert stattdessen dafür, die bestehenden Gesetze konsequent anzuwenden. „Um das zu können, müssten allerdings die zuständigen Polizeibehörden in die Lage versetzt werden, schneller und konsequenter auf Anzeigen wegen Beleidigungen oder volksverhetzender Äußerungen im Internet zu reagieren und Strafverfolgung müsste viel konsequenter stattfinden“, sagte Wawzyniak dem Handelsblatt.


„Das Verblödungspotential sozialer Netzwerke ist einfach zu hoch“

Sie habe auch keine Lust permanent beleidigende und rassistische Kommentare in den sozialen Medien lesen zu müssen. „Die Zunahme solcher Kommentare ist ein großes Problem“, betonte die Grünen-Politikerin. Daher müsse sich Facebook endlich seiner Verantwortung bewusst werden und viel konsequenter gegen rassistische Beleidigungen vorgehen. „Es kann nicht sein, dass nackte Frauen sofort gelöscht werden, aber offenkundig menschenverachtende Kommentare stehengelassen werden“, sagte Wawzyniak. Auch müsse Facebook solche Kommentare viel häufiger zur Anzeige bringen. „Hier vermisse ich bei allen Ankündigungen eine stringente Umsetzung durch Facebook.“

Doch sollte man nach Wawzyniaks Überzeugung nicht den Fehler begehen und glauben, eine konsequentere Strafverfolgung würde irgendetwas an der jetzigen Situation ändern. „Denn rassistische Hetze nimmt im Internet vor allem deshalb so zu, weil sich der braune Mob viel zu sicher fühlt. Nicht zu sicher vor Bestrafung, sondern zu sicher vor Widerspruch“, glaubt die Linken-Politikerin. „Stets finden sich viele Gleichgesinnte, die Bestätigung geben und sogar noch einen drauf setzen.“

Dabei seien auch alle Internetuser selbst dafür verantwortlich, dass Beleidigungen, aggressive, rassistische und volksverhetzende Äußerungen im Internet nicht unwidersprochen bleiben. „Rassistische Gedanken bleiben, auch wenn sie auf Facebook gelöscht werden“, so Wawzyniak. Man müsse daher zeigen, dass nicht der braune Mob die Mehrheit habe, sondern diejenigen, die sich ihm entgegenstellen. „Das halte ich für deutlich effektiver.“

Der Grünen-Politiker Janecek sieht auch den Bildungsbereich gefordert. Schulen müssten den Kindern in hohem Maße „reflektierende und kritische Medienkompetenz“ beibringen. „Das Verblödungspotential sozialer Netzwerke ist einfach zu hoch, allein schon deshalb, weil Algorithmen dafür sorgen, dass der User immer das zuerst sieht, was ihm am meisten gefällt“, sagte Janecek. „Kritisches Denken wird so nicht gefördert, gerade hiervon lebt aber eine lebendige Demokratie.“

Die Demokratie sieht Janecek durch soziale Netzwerke wie Facebook gefährdet. „Die sich immer weiter ausbreitende Hasspropaganda auf Facebook ist wie ein vor sich hin wucherndes hässliches Krebsgeschwür“, sagte er. „Die Folgen der Auswüchse verbaler Gewalt und Herabsetzung Andersdenkender sind für unsere Gesellschaft mittel- und langfristig verheerend, der psychologische Schaden für viele Betroffene immens.“ Wer sich in politisch sensiblen Bereichen wie etwa der Flüchtlingspolitik engagiert, dürfe mittlerweile mit täglichen Hasskommentaren, Shitstorms, unflätigen Bemerkungen bis hin zu Gewaltandrohungen rechnen.


Zuckerberg: „Für Hassrede gibt es keinen Platz bei Facebook“

Frauen treffe es dabei oft mehrfach so hart wie Männer, sagte Janecek weiter. Und er fragte: „Wie viele Tiefpunkte müssen noch erreicht werden? Können wir es weiter tolerieren, dass sich unsere Polizei und Ermittlungsbehörden in einem Abhängigkeitsverhältnis von unzureichenden Hausregeln eines US-Konzerns befinden, die letztlich dazu führen, dass sie kapitulieren statt tätig zu werden?“

Dass in seinem Unternehmen nicht alles rund läuft, hat Facebook-Chef Mark Zuckerberg selbst schon eingeräumt. Bei einem Treffen mit rund 1400 Anwendern in der Arena Berlin Anfang des Jahres erklärte der 31-Jährige bei der der Frage zu Facebooks Haltung zu den Hasskommentaren selbstkritisch: „Ich denke nicht, dass wir einen ausreichend guten Job gemacht haben.“

Wenige Wochen zuvor hatte Facebook einen Dienstleister in Deutschland damit beauftragt, sich intensiver um die Botschaften zu kümmern, die nach dem deutschen Recht und der Community-Richtlinie von Facebook selbst eigentlich gelöscht werden müssten. 200 Leute seien in dem Team, sagte Zuckerberg. Zuvor gab es von dem US-Unternehmen nur schwammige Angaben zur Anzahl der Mitarbeiter, die gegen hetzerische Einträge und Kommentare vorgehen.

Zuckerbergs zentrale Botschaft lautete damals: „Für Hassrede gibt es keinen Platz bei Facebook und in unserer Community.“

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