Marlene Engelhorn Warum eine Millionen-Erbin ihr Vermögen einem Bürgerrat überantwortet

Millionenerbin Marlene Engelhorn gründet Bürgerrat Quelle: Getty Images

Marlene Engelhorn ist Millionen-Erbin, doch will sie das Geld nicht behalten. Ein Bürgerrat soll über die Verwendung von über 25 Millionen Euro entscheiden. Hauptaufgabe soll aber nicht die Verteilung dieses Geldes sein.

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Marlene Engelhorn ist Multimillionärin, ohne je einen Finger dafür gekrümmt zu haben. Engelhorns Großvater war einer der Gründer des Pharmaunternehmens Boehringer Mannheim, dessen Verkauf Milliarden einbrachte. Der 32-jährigen Engelhorn missfällt ihr unverdientes Erbe. Gemeinsam mit anderen Vermögenden gründete sie 2023 die Initiative „Taxmenow“, die eine stärkere Besteuerung von Millionenvermögen fordert.

Einfach spenden will sie ihr Geld aber nicht. Das sei schließlich nicht demokratisch. Anfang Januar 2024 kündigte die Aktivistin schließlich an, einen Bürgerrat gründen zu wollen. 50 repräsentativ ausgewählte Menschen sollen dort über 25 Millionen Euro entscheiden. Im Interview erklärt die Wienerin, wie das funktionieren soll und warum es ihr dabei um mehr als die 25 Millionen geht.

WirtschaftsWoche: Frau Engelhorn, Sie möchten Ihr Millionen-Vermögen gerne in demokratisch legitimierte Hände geben. In Deutschland gibt es doch bereits ein Konto, auf das man dem Staat Geld überweisen kann, das Schuldentilgungskonto. Ist Ihnen das nicht demokratisch genug? 
Marlene Engelhorn: Nur zur Klarheit, ich bin ja trotz meiner Doppel-Staatsbürgerschaft nicht in Deutschland, sondern in Österreich steuerpflichtig – und mein Anliegen dreht sich nun einmal um die Pflichtbesteuerung von Vermögen und Erbschaften. Wenn ein solches Konto die Lösung wäre, müssten im Sinne der Gleichberechtigung auch alle ihre Steuern freiwillig spenden. Aber Steuern sind eine Pflicht, die wir als Staatsbürger und Staatsbürgerinnen gegenüber unserem Sozialstaat haben, und diese Pflicht sollte für alle gelten. Wenn wir das der Freiwilligkeit unterordnen, dann haben wir ein ernsthaftes Problem.

Die Frage zielte nicht auf eine Alternative zu einer Vermögenssteuer, sondern als Alternative zu dem Bürgerrat, den Sie gerade gründen, und der Ihren Reichtum verteilen soll. Denn stattdessen hätten Sie das Geld auch einfach dem Staat überweisen können. 
Wir erleben weltweit eine krasse Vermögensungleichheit. Dass die meisten Vermögenden nur durch die Geburt diese Art von Macht bekommen, steht meines Erachtens im Widerspruch zum demokratischen Prinzip, wonach Macht gleich verteilt werden sollte. Wenn man Ungleichheit in Angriff nehmen möchte, braucht es strukturelle Lösungen, die sich mit der Machtfrage beschäftigen. 

Zur Person

Das heißt also, der Bürgerrat ist ein politisches, ein aktivistisches Instrument, mit dem Sie eine Debatte über Vermögensverteilung anstoßen wollen. Und wenn Sie jetzt nur still und heimlich an den Staat gespendet hätten, dann hätte das strukturell nichts verändert – richtig verstanden?
Ja, nur würde ich nicht sagen, es sei ein aktivistisches Instrument, sondern einfach ein demokratisches. In meinen Augen ist es ein wahnsinnig sinnvolles Mittel, um schwierige gesellschaftspolitische Debatten repräsentativ durchzukauen mit einer großen öffentlichen Wirksamkeit. Da werden auch Menschen drinsitzen, die mir widersprechen und sagen: Ungleichheit ist voll super. Aber sie haben genauso ein Recht mitzuentscheiden, wenn auch proportional zu ihrer Repräsentation in der Gesellschaft. Und das ist in Österreich die Minderheit, denn 70 Prozent halten die Vermögensungleichheit dort für ein Problem. 

In der Politik sind Bürgerräte bereits ein beliebtes Mittel. Das Problem ist: Ihre Schlussfolgerungen werden selten von politischen Institutionen umgesetzt, weil die Räte meist keinerlei Gestaltungsmacht haben.
Ein Bürgerrat ist keine Regierung, die man bildet, das muss man anerkennen. Es ist ein Ort, wo Debatten geführt werden. Die Kriterien der Repräsentation, der Transparenz und der Prozess der demokratischen Beteiligung stehen im Vordergrund – nicht das Ergebnis. Gleichzeitig gibt es Bürgerräte, die durchaus hervorragend gearbeitet haben und zu Ergebnissen geführt haben, zum Beispiel die irischen Bürgerräte zur Ehe für alle und zum Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. Auch der Klimarat in Österreich hat fantastische Arbeit geleistet, er hat 93 konkrete Empfehlungen auf den Tisch gebracht. Aber wir haben eine rechtskonservative Regierung, die nicht daran interessiert ist, sich mit Klimagerechtigkeit zu beschäftigen. 

Was ist bei Ihnen anders?
In meinem Fall hier kann der Rat nicht nur eine Debatte führen, sondern er hat auch Entscheidungsmacht. Dafür stelle ich 25 Millionen Euro aus meinem Vermögen zur Verfügung. Ich denke, dass dabei ganz großartige Sachen herauskommen werden. 

Über diese Entscheidung haben Sie wahrscheinlich lange drüber nachgedacht, oder? 
Ja. 

Hatten Sie dann noch andere Optionen im Kopf? Was ist mit einer Stiftung oder vielleicht sogar auch einem eigenen Sozial-Unternehmen? 
Mir geht es um die demokratische Herangehensweise. Das ist viel wichtiger, als dass ich mein Lieblingsergebnis bekomme. Es ist nicht zwangsläufig schlecht, was anderes zu machen. Ich finde es aber interessant, dass eine Stiftung oder ein Unternehmen eine Selbstverständlichkeit des Machterhalts hat. Warum gründen Vermögende nicht eine Verbrauchsstiftung oder ein Unternehmen in Verantwortungseigentum? 

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Nach welchen Kriterien wählen Sie denn die Leute für den Bürgerrat aus?
Ich wähle schon mal gar niemanden aus. Das Wiener Foresight-Institut hat eine Stichprobe von 10.000 Menschen aus dem Zentralen Melderegister für Österreich erhalten. Dafür wurde eine Anfrage beim Innenministerium gestellt und ein öffentliches Interesse begründet. Dem wurde stattgegeben. Die einzige Bedingung dafür, in der Stichprobe zu sein, ist ein Mindestalter von 16 Jahren und die Meldung in Österreich. Die Staatsbürgerschaft ist völlig irrelevant. Wenn man das erfüllt, dann gab es die Chance, einen Brief zu kriegen, auf den man sich bis zum 2. Februar zurückmelden konnte, entweder online oder telefonisch. Dann stellte man Daten zur Verfügung, etwa zu Einkommen, Alter, Geschlechtsidentität, Migrationsbiografie, Einstellung zu Vermögensverteilung, Wohnort und Bildungsgrad. Das Foresight-Institut hat daraus anhand eines repräsentativen Schlüssels 50 Menschen ermittelt, die die österreichische Bevölkerung am besten abbilden. Die werden den „Guten Rat“ bilden. Dazu kommen 15 Ersatzmitglieder, falls jemand nachrücken muss. 

Und wann geht es dann los?
Die erste Sitzung wird am 16. und 17. März sein. 

Was darf dieser Bürgerrat dann mit den 25 Millionen alles machen und was darf er nicht? 
Zunächst einmal ist wichtig zu betonen, dass die Hauptaufgabe des Bürgerrats nicht die Verteilung dieses Geldes ist. 

Seit Jahren kämpft Bill Gates gegen die großen Probleme der Menschheit – von globalen Krankheiten bis zum Klimawandel. Er hat eine Botschaft: Es gibt zahlreiche Innovationen – die oft zu wenig Beachtung finden.
von Horst von Buttlar

Sondern?
Medial haben sich alle auf diese Zahl der 25 Millionen gestürzt. Aber das Kernthema ist, die Verteilungsfrage zu diskutieren. Dass Vermögen ungleich verteilt ist, ist unstrittig. Aber, ist es gerecht oder nicht? Was bedeutet das politisch, soziologisch, ökologisch? Was sind die Dynamiken von Verteilung? Wie verhält sich Einkommen zu Vermögen? Und so weiter. Das ist die Hauptaufgabe. Und um dann einen Umgang mit den Erkenntnissen und Ideen zu finden, dafür stehen die 25 Millionen zur Verfügung. Aber die Ansage ist nicht „Verteilt 25 Mille“, sondern: „Diskutiert’s das mal aus, überlegt euch was Gescheites“. 

Letztlich geht es Ihnen also um eine Verständigung zur Verteilungsfrage. 
Genau diese Frage soll diskutiert werden, ohne dass ich oder jemand anders ein Ergebnis vorgeben kann. 

Und gibt es nun Regeln für die 25 Millionen?
Es gibt ein paar Regeln des guten Gewissens, aber der Rat darf im Prinzip frei entscheiden. Es darf nichts Demokratiefeindliches, Verfassungsfeindliches oder Lebensfeindliches damit unterstützt werden. Und es darf nicht wirtschaftlich profitorientiert sein. Das wäre dann ein Investment und keine Rückverteilung. Es darf auch keine Parteigründung oder Parteifinanzierung geschehen. 

Dürfen die Mitglieder das Geld theoretisch unter sich aufteilen? 
Sie können das eigentlich nicht, weil das dem Auftrag widerspricht. Der Auftrag des Bürgerrats ist es, die Verteilungsfrage zu debattieren, dafür als Gesellschaft Lösungen zu finden und das Geld entsprechend zu verwenden 

Sie vertrauen den Leuten, dass das Geld nicht missbraucht wird.
Das geht gar nicht. Das Geld wird treuhänderisch verwaltet und die Treuhänder und Treuhänderinnen sind vertraglich denselben Regeln verbunden. 

Werden Sie bei den Sitzungen dabei sein, quasi Mäuschen spielen? Und wie wird es ablaufen? 
Stellen Sie sich vor, Sie sollen etwas Heikles besprechen und da sitzen gefühlt hundert Paar Augen und Ohren daneben, das wäre wahnsinnig! Also nein: Ich werde auf keinen Fall Mäuschen spielen. Diese Sitzungen sind geschützt und geschlossen.

Dem Rat stellen Sie 25 Millionen zur Verfügung. Welchem Anteil an Ihrem Erbe entspricht das denn? 
Es entspricht 25 Millionen. 

Sie möchten also nicht sagen, wie viel Sie insgesamt geerbt haben?
Es ist der absolute Großteil meines Vermögens.

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Des jetzigen Vermögens – sie werden ja vermutlich noch mal erben. 
Das ist vermutlich absolut richtig. Ich hoffe es nicht, aber wir werden sehen. Mit etwas Glück gibt's dann schon eine sensationelle, wunderbar ausgetüftelte Erbschaftssteuer in Österreich.

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Anmerkung der Redaktion: Frau Engelhorn hat während des Interviews durchgehend geschlechtergerechte Sprache verwendet („Bürger:innenrat“). Aus Gründen der Lesbarkeit haben wir uns dazu entschieden, dies im Text durch das generische Maskulinum zu ersetzen („Bürgerrat“).

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