Merkel, Rösler & Co Die überforderte Koalition

Merkels Koalition kommt bei zentralen Themen nur im Schneckentempo voran. Dauerstreit lähmt die Regierungsarbeit. Die Koalitionsspitzen wollen heute ihre Differenzen ausräumen. Ob dies gelingt, ist allerdings fraglich.

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Zoff-Koalitionäre unter sich: Bundeswirtschaftsminister Rösler, Bayerns Ministerpräsident Seehofer und Bundeskanzlerin Merkel (v. li.). Quelle: dapd

Berlin In Berlin beraten heute die Vorsitzenden der schwarz-gelben Koalitionsparteien über den weiteren Kurs der Bundesregierung. Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel sowie ihre Kollegen von CSU und FDP, Horst Seehofer und Philipp Rösler, wollen unter anderem über inhaltliche Differenzen sprechen. Eine Einigung wird etwa über Details des von der CSU gewünschten Betreuungsgelds erwartet, das bereits am Mittwoch vom Kabinett auf den Weg gebracht werden soll. Themen könnten dem Vernehmen auch die Energiepolitik, die Vorratsdatenspeicherung und möglicherweise auch die Pkw-Maut sein. Allerdings zeichnete sich schon im Vorfeld ab, dass das Spitzengespräch wohl kein echter Befreiungsschlag werden wird.

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle dämpfte im ARD-„Morgenmagazin“ die Erwartungen mit dem Hinweis, dass die drei Parteichefs von CDU, CSU und FDP nicht innerhalb von zwei Stunden alle Probleme lösen könnten, vielmehr gehe es darum, den Fahrplan für die restlichen eineinhalb Jahre der Legislaturperiode aufzustellen.

Ruppiger im Ton äußerte sich FDP-Generalsekretär Patrick Döring. Er warf insbesondere der CSU vor, mit ihrem Eigensinn immer wieder für Unruhe zu sorgen. „Die Pkw-Maut taucht bei der CSU wie Nessie immer wieder auf, obwohl man selber weiß, dass es sie nicht gibt“, sagte Döring der „Welt“. So etwas beeinträchtige die öffentliche Wahrnehmung der Koalition. „Das könnten wir uns sparen“, sagte er. Dieses, so Döring, "Irrlichtern" müsse aufhören.

Die Sticheleien des liberalen Koalitionspartners sind für die Opposition eine willkommene Steilvorlage. Spitzenpolitiker von SPD und Grünen sehen sich in ihrer Einschätzung bestätigt, dass die Bundesregierung nichts zu Wege bringt. Schwarz-Gelb sei „zerstritten und konzeptionslos“, sagte der Vorsitzende der SPD in Schleswig-Holstein, Ralf Stegner, Handelsblatt Online. „Die reaktionäre und sinnlose Kita-Fernhalteprämie, die Weigerung, die Finanzmärkte an der Bewältigung der Krise finanziell zu beteiligen, der Dilettantismus bei der verspäteten Energiewende, der Streit über die Pkw-Maut und die Vorratsdatenspeicherung  etc. - all das zeigt, dass das Bündnis aus Konservativen und Egoisten nach 12 Niederlagen in den Ländern auch im Bund fertig hat.“


Polizeigewerkschaft attackiert FDP-Ministerin

Auch der Vize-Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Ulrich Kelber, hält die Bundesregierung für gescheitert. „Zu wenig zu spät“ gelte bei allen großen Politikvorhaben von Schwarz-Gelb, sei es die europäische Krise oder die Energiewende. „Überforderte Minister dilettieren bei der arabischen Revolution (Westerwelle), frühkindlicher Bildung (Schröder) oder Energiepolitik (Rößler)“, sagte Kelber Handelsblatt Online. „Verlässlich sind nur der Dauerstreit, der gegenseitige Neid und die peinliche Seehofer-Ego-Show.“ Selbst als Oppositionspolitiker könne er sich über die schlechte schwarz-gelbe Regierungspraxis nicht mehr freuen. „Sie macht mir Angst“, sagte Kelber.

Harsche Kritik äußerte auch Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck. Union und FDP praktizierten eine „erfolgreiche Oppositionspolitik in der Koalition“, sagte Beck Handelsblatt Online. „Einer ist immer beleidigt, die anderen können oder wollen im Wechsel nicht liefern. Kein Projekt wurde bisher ordentlich umgesetzt.“ Was nicht der öffentliche Protest verhindere, wie etwa die Atomkraft, werde, wie das neue Wahlrecht, vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gestoppt oder in den eigenen Reihen blockiert. „Und sollte in der Koalition die Herdprämie eine Mehrheit finden, schicken  sie Rot-Grün nach der nächsten Bundestagswahl zurück in die 50er Jahre, wo sie hingehört“, fügte der Grünen-Politiker hinzu. Die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel sei „schon lange am Ende“, sagte Beck. „Sie sollte ihre Sachen packen und Platz machen für die sozial-ökologische Wende und starke Bürgerrechte.“

Auch aus der Gewerkschaftsecke hagelt es Kritik für die Koalition. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, zollte lediglich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) Respekt für dessen Arbeit.  Mit scharfen Worten attackierte Wendt hingegen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Das Ansehen der Koalition leide vor allem unter der „Halsstarrigkeit der Bundesjustizministerin, die das wichtige Thema Vorratsdatenspeicherung blockiert, ohne dass die Kanzlerin endlich mal auf den Tisch haut“, sagte er Handelsblatt Online. „In dieser Formation hat die Koalition nach 2013 keine Zukunft, auch wenn Angela Merkel Deutschland bislang gut durch die Krisen der Vergangenheit geführt hat."

Mit Blick auf Friedrich lobte Wendt, dass dieser „sehr rasch“ in seine Aufgabe hineingewachsen sei und auch neue Themen beherzt anpacke, etwa das Problem radikaler Salafisten oder die zunehmende Gewalt gegen die Polizei. Überdies sei ihm zu verdanken, dass wichtige Sicherheitsgesetze verlängert und entrümpelt worden seien und die Bundespolizei „schlagkräftig und erfolgreich“ sei. Zudem habe der Minister bei den Tarifverhandlungen für den Öffentlichen Dienst „gute Arbeit gemacht, und auch wenn er für seine Bundespolizisten immer noch nicht genügend Geld für eine angemessene Bezahlung durchgesetzt hat, genießt er zu Recht hohes Ansehen“.


Experte: Merkel hat faktisch keine Richtlinienkompetenz

Dass der CSU-Hardliner Friedrich bei der Polizeigewerkschaft punktet ist indes nicht verwunderlich. Dessen „Erfolge“ werden auch kaum die Schieflage der gesamten Koalition wettmachen können. „Die Koalition hat zu viele Baustellen, bei denen es nicht klar ist, ob sie sich überhaupt noch bis zur Sommerpause wird entscheiden können“, sagt daher auch der Parteienforscher Gerd Langguth. Dazu gehöre die Vorratsdatenspeicherung, aber auch das Betreuungsgeld. Einziger Lichtblick derzeit aus Langguths Sicht: die Energiewende, die jetzt sichtbar angepackt werde. „Insoweit dürfte sich der Hinauswurf Röttgens für die Kanzlerin auszahlen“, sagte der Professor an der Universität Bonn Handelsblatt Online.

Allerdings gibt Langguth zu bedenken, dass aktuell auch die Euro-Krise wieder in den Fokus rücke: „Die Verhandlungen mit der Opposition hinsichtlich der europäischen Finanzkrise sind besonders wichtig, wenngleich die Hoffnung, dass es in Sachen Finanztransaktionssteuer eine Einigung gibt, zur Zeit nicht sehr realistisch ist“, sagte er. Interessant dürfte seiner Ansicht nach vielmehr sein, ob sich die Kanzlerin mit ihrem Nein zur Maut durchsetzen könne. Denn: „Nur wenn die drängenden Entscheidungen bis zur Sommerpause beigelegt sind, gibt es eine Chance, dass sich das Meinungsklima verbessert“, ist sich Langguth sicher. Doch daran hat auch er große Zweifel.

Die Probleme des schwarz-gelben Bündnisses rührten auch daher her, erläutert der Politikwissenschaftler, dass in der Koalition drei Parteien handelten, wo jeder Parteivorsitzende für sich ein Vetorecht in Anspruch nehme und wo  auch die CSU in einem Wettstreit mit der FDP in Sachen Profilierung eintrete. „Faktisch gibt es die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin nur auf dem Papier“, sagte Langguth. Wenn Koalitionspartner sich dann auch noch öffentlich zur Koalition so äußern, wie dies etwa Seehofer getan habe, dann sei das kontraproduktiv.

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